: Unterwegs zu Gott
So wie er gelebt hat – offensiv –, geht der Papst seinem Tod entgegen. Er selbst hat sein öffentliches Leiden immer wieder gerechtfertigt
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Bis in die Agonie, bis in den nahenden Tod ist Johannes Paul II. sich treu geblieben. Er war der erste Papst in der Geschichte der katholischen Kirche, der radikal auf Kommunikation setzte, auf Medienpräsenz, der sich selbst als ersten und wichtigsten Öffentlichkeitsarbeiter der Kirche begriff. Er wird als der erste Papst in die Geschichte eingehen, an dessen Sterben die Weltöffentlichkeit unmittelbar Anteil hatte.
Fast in Echtzeit erfuhr die Welt am Donnerstagabend, dass es schlecht steht um den Papst. Schon bald sprachen die offiziellen Kommuniqués des Vatikansprechers Joaquín Navarro-Valls von einer schweren Krise, von septischem Schock, Fieber, Kreislaufkollaps. Das hatte es bei keinem der Vorgänger Karol Wojtyłas gegeben. Die Wochen, Monate, manchmal Jahre des Siechtums durchlebten die Päpste fernab der Öffentlichkeit – und erst recht ihr Tod war ein Ereignis, der zur völligen Abschottung des Vatikans führte, bis die Nachricht offiziell bekannt gegeben wurde.
Auch unter Johannes Paul II. hatte es eine Phase gegeben, in der die Kurie auf Verstecken, auf Herunterspielen des körperlichen Verfalls setzte. Als in den Neunzigerjahren die parkinsonsche Krankheit ausbrach, sorgten zum Beispiel die Medienmänner des Vatikans dafür, dass die zitternde Hand des Papstes nicht von den TV-Kameras eingefangen wurde. Doch dann, mit dem Fortschreiten der Krankheit, erfolgte ein Kurswechsel. Der Papst, der über Jahre als vitaler, sportlicher Mann, als kraftvoller, stimmmächtiger, schlagfertiger Redner aufgetreten war, durchlebte nun ganz öffentlich auch Siechtum und Verfall. Die Welt gewöhnte sich an seine gebeugte Haltung, dann daran, dass er an den Rollstuhl gefesselt war, dass er oft mit kaum hörbarer Stimme sprach.
Und er tat es bis in seine letzten Tage. Die Feierlichkeiten der Osterwoche konnte er nicht mehr zelebrieren. Aber er war dabei. Die Via Crucis am Karfreitag hatte er aus seiner Privatkapelle heraus verfolgt, gefilmt von hinten über die Schulter, und zur Papstmesse am Ostersonntag zeigte er sich am Fenster seiner Wohnung über dem Petersplatz. Den Versuch, wenigstens den Segen zu sprechen, musste er abbrechen; statt seiner Stimme hörten die Gläubigen nur ein hilfloses Röcheln, sahen dann seine wütend-verzweifelte Handbewegung. Dennoch zeigte er sich am Mittwoch wieder am Fenster und machte nach einem erneuten Versuch, zu sprechen, stumm das Kreuzzeichen.
Derweil mehrten sich weltweit Stimmen, die von einer makabren Inszenierung sprachen, die den Papst als Opfer seines engsten Kreises sahen. Die teils bemühten Bilder der letzten Wochen – etwa die von der Rückbank des Wagens aus gefilmte Heimkehr des Papsts aus dem Gemelli-Krankenhaus in den Vatikan – gaben dieser Kritik Auftrieb. Doch der Papst selbst hat sein öffentliches Leiden immer wieder gerechtfertigt. So schloss er Rücktrittsgerüchte kategorisch mit den Worten aus, auch Christus sei nicht vom Kreuz gestiegen.
Eher schon stand der demonstrative Optimismus des Vatikans in eigenartigem Kontrast zu einer Realität, die öffentlich zu verfolgen war. Je schlechter es dem Papst ging, desto hartnäckiger sprach Joaquín Navarro-Valls von „Rekonvaleszenz“, davon, dass „die Situation unter Kontrolle“ sei. Selbst der letzte Eingriff, das Legen einer Magensonde am Mittwochnachmittag, wurde noch als Routineoperation dargestellt.
Auch daran war nach Eintreten des Kollapses am Donnerstag sofort zu bemerken, wie ernst es um Johannes Paul II. steht: Von einer Minute auf die andere sprachen, in ebenfalls nie gesehener Deutlichkeit, nun diverse Kardinäle vom nahenden Tod des Heiligen Vaters. Und während gestern Vormittag zunächst unbestätigte Meldungen – zum Beispiel die, der Papst sei ins Koma gefallen, oder die, alle Kardinäle seien schon dringend nach Rom gerufen worden – und auf dem Fuß folgende Dementis die Runde machten, hatte der Vatikan bald wieder die Kommunikation unter Kontrolle. Das Sterben Johannes Pauls II. zog keinen Nachrichtenstopp nach sich, sondern eine auf Offenheit setzende Informationspolitik.
Gestern Mittag trat Navarro-Valls vor die Presse. Den Tränen nahe, referierte er die Situation in einer Weise, die völlig konform war mit der Vision des Papstes von seinem ganz persönlichen Kreuzweg. Johannes Paul II. werde zwar künstlich beatmet, sei aber bei vollem, klarem Bewusstsein und „sereno“ – sprich heiter-gelassen; er selbst habe, aufgeklärt über seine Situation, die Einlieferung ins Krankenhaus abgelehnt, am Donnerstag die Letzte Ölung empfangen, am Freitagmorgen dann die Messe gefeiert und sich anschließend die 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu vorlesen lassen; jede Station habe er mit der Andeutung eines Kreuzzeichens begleitet.
Außerdem habe er, der von fünf Ärzten und zwei Schwestern umsorgt werde, einige der wichtigsten Kurienvertreter empfangen: Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, den Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, den „Innenminister“ des Vatikans, Leonardo Sandri, den Vikar des Papstes für die Diözese Rom, Camillo Ruini, den Kardinal Mario Francesco Pompedda. Ruini und Pompedda äußerten sich anschließend vor der Presse in ähnlichen Worten wie Navarro-Valls; auch sie sprachen von einem gelassenen Papst, zeichneten das Bild eines Menschen, der bei vollem Bewusstsein und im Frieden mit sich und Gott Abschied nimmt. Worauf dieses Bild zielt, machte eine Journalistin des italienischen Staatsfernsehens mit ihrem Kommentar klar. Selbst dem Tode nah präsentiere sich der Papst, „als ob er diesen Übergang in seiner Hand hätte“: „Er ist nie Unterlegener.“
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