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„Der Kinderschutz geht vor“

SUCHT Der eine schaut auf die Kinder, der andere auf deren abhängige Eltern. Dennoch sind sich der Psychiater John Koc und der Kinderarzt Stefan Trapp einig. Ein Gespräch

John Koc

■ 54, ist Arzt für Psychiatrie und Suchtmedizin. Gemeinsam mit sechs weiteren Ärzten betreut er in einer Praxis 350 substituierte Drogenabhängige.

Interview: Eiken Bruhn

taz: Der runde Tisch „Substitution“, an dem Sie beide sitzen, diskutiert, ob sich Eltern minderjähriger Kinder ihr Methadon täglich in der Arztpraxis abholen müssen und nicht mehr mit nach Hause nehmen können. Wie denken Sie darüber?

Stefan Trapp: Das geht gar nicht anders, wenn man verhindern will, dass Kinder absichtlich oder unabsichtlich vergiftet werden. Es handelt sich bei Süchtigen um Menschen, denen man nicht vertrauen kann – das ist keine Stigmatisierung, sondern einfach Teil ihrer Erkrankung.

Herr Koc, wie sehen Sie das?

John Koc: Ich bin ohnehin kein Freund von Take-Home, weil eine beträchtliche Menge auf dem Schwarzmarkt landet und damit auch Erwachsene gefährdet. Außerdem ist die Unfallgefahr hoch, weil die Opiate mit Fruchtsäften gestreckt sind und dadurch für Kinder interessant sind. Es hat sich gezeigt, dass Kindersicherungen keinen ausreichenden Schutz bieten und es gibt bekanntlich kein Versteck, das Kinder nicht finden würden.

Behindert man damit nicht das Zusammenleben als Familie, wenn die Eltern jeden Tag in die Praxis müssen?

Trapp: Wenn Kinder gefährdet sind, muss man im Zweifelsfall auch mal den unbequemeren Weg gehen. Und eingeschränkt sind die Eltern wegen ihrer Erkrankung – und der Entscheidung, mit ihren Kindern zusammen zu leben.

Koc: Es lässt sich in Bremen einrichten, dass sie in Wohnortnähe kompetent substituiert werden. Für das Wochenende muss man sich etwas überlegen, darüber diskutieren wir noch, ob man dafür eine oder auch zwei zentrale Vergabestellen einrichtet.

Herr Trapp, Sie sind neulich sehr wütend geworden, als bei einer Diskussion zum Thema „Drogenfunde in Kinderhaaren“ die Theorie in den Raum gestellt wurde, Kinder hätten Methadon über den Schweiß der Mutter aufgenommen.

Trapp: Die Erklärung, dass ganz kleine Kinder gerne kuscheln und deshalb so viel stärker belastet sind als ältere, die hat mir nicht gereicht, das finde ich blauäugig. Gerade Säuglinge, die schon während der Schwangerschaft Methadon bekommen, machen nach der Geburt einen schweren Entzug durch und schreien sehr viel, die sind wirklich anstrengend. Da liegt die Erklärung nahe, dass Eltern ihnen etwas geben, um Ruhe zu haben.

Koc: Das gibt es ja nicht nur bei Substituierten, dass Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt werden. Denken Sie an den berüchtigten „Tropfen Eierlikör auf dem Schnuller“. Ich finde die Schweiß-Theorie wissenschaftlich spannend, aber bei Kindern hat man nicht die Zeit, so lange zu warten, bis das geklärt ist.

Sie sind sich sehr einig.

Trapp: Das ist ja das Besondere in Bremen, dass hier die Beteiligten miteinander sprechen und versuchen, sich im Sinne des Kinderschutzes zu vernetzen. Dass Kinder in einem Umfeld aufwachsen, in dem Drogen genommen werden oder Methadon – das gibt es überall in Deutschland. Nur in Bremen wird das thematisiert und genau hingeguckt. Das gibt es woanders nicht, dass systematisch Haarproben genommen werden! Was aber immer noch verbessert werden muss, ist der Informationsaustausch untereinander.

Sie meinen, dass die substituierenden Ärzte wissen, wer ihrer Patienten Kinder hat?

Trapp: Oder dass die Gynäkologen stärker und verbindlich mit einbezogen werden – die betreuen die Mütter ja schon in der Schwangerschaft. Was uns Kinderärzte vor allem beschäftigt, ist der Rückfluss der Informationen vom Jugendamt. Das ist noch nicht institutionalisiert und hängt sehr vom Einzelnen ab. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel schildern. Ich bekam vor kurzem den Anruf einer Case-Managerin, die sich nach einem Kind erkundigte, von dem sie wusste, dass wir es betreuen. Sie wollte wissen, ob wir dem ein Beruhigungsmittel verschrieben hätten, weil ihr jemand berichtet hatte, der Vater hätte dem Kind irgendwelche Substanzen in die Milch gemischt. Mit den Worten: „Damit es ruhig ist.“ Das Erschütternde war, dass ich das Kind gerade in einer Vorsorgeuntersuchung hatte, einen sechs Monate alten Säugling, den ich gar nicht untersuchen und beurteilen konnte, weil der so müde war! Wenn ich aber gewusst hätte, dass schon Kinder aus der Familie genommen worden waren, dass der Vater schwer drogenabhängig ist, dann hätte ich das Kind ganz anders beurteilt.

Was stellen Sie sich vor?

Trapp: Es wäre gut, wenn man, sobald so ein Kind auf die Welt kommt, mit allen Beteiligten in Kontakt tritt und gemeinsam mit den Eltern einen Vertrag macht, das sie ganz engmaschig betreut werden, auch zum Kinderarzt häufiger kommen als zu den normalen Vorsorgeuntersuchungen. Die Kommunikation mit anderen, beispielsweise uns Ärzten, hilft dem Jugendamt, die Situation realistisch einzuschätzen. Wenn das von den Eltern als Hilfe und nicht als Repression erlebt wird, ist das in ihrem Interesse, weil sie ja mit ihren Kindern zusammenleben wollen.

Und darüber reden wir fünf Jahre nach Kevin?

Stefan Trapp

■ 47, ist Kinder- und Jugendarzt in einem sozialen Brennpunkt in Huchting sowie Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Trapp: Es ist schon vieles sehr viel besser geworden, aber es fallen immer noch Kinder durch die Ritzen, zum Teil auch deshalb, weil nicht in jedem Fall alle verabredeten Abläufe eingehalten werden. Mich hat schon sehr erschüttert, was jetzt in den Haaren der Kinder einmal quer durch die Apotheke gefunden worden ist.

Was halten Sie von den Forderungen, bei dem Verdacht auf Drogenmissbrauch von Substituierten sofort die Kinder aus der Familie zu nehmen?

Koc: Ich finde auch, dass man strengere Maßstände zugrunde legen muss, wenn Kinder mit betroffen sind. Man sollte aber im Einzelfall entscheiden, ob der Kindesentzug das richtige Mittel ist oder eine Therapie sinnvoll sein kann. Es gibt Einrichtungen, die auch Familien betreuen. Damit wir uns aber nicht falsch verstehen: Was man nie machen darf, ist den Mantel der Nächstenliebe darüber breiten und sagen, das wird schon wieder.

Trapp: Es ist doch klar, dass Drogen, auch wenn sie nur gelegentlich genommen werden, die Aufmerksamkeit auf das Kind einschränken. Aber ich wehre mich auch gegen Automatismen. Ein Kind hat das Bedürfnis, eine enge Bindung zu seinen nahesten Bezugspersonen – und das sind meistens die leiblichen Eltern – zu haben. Und nur, weil man ein Kind aus der Familie nimmt, heißt das nicht, dass es dann unter idealen Bedingungen aufwächst. Aber gerade kleine Kinder, denen eine regelmäßige Zuwendung fehlt, erleiden schwerste Traumatisierungen, da kann man nicht drei Jahre zusehen und dann das Kind entziehen, da ist der Schaden doppelt. Deshalb müssen solche problematischen Familienkonstellationen eng betreut und beobachtet werden.

Koc: Man muss einfach immer damit rechnen, dass die Eltern es nicht schaffen. Selbst wenn es eine Weile gut läuft, kann es passieren, dass sie ein Schicksalsschlag zurückwirft und sie wieder Drogen nehmen.

Unter welchen Bedingungen kann es gut gehen?

Koc: Wenn die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, vorhanden ist – bei vielen Abhängigen ist die zerstört oder stark eingeschränkt. Und wenn sie Hilfe annehmen können: Dann können sie es schaffen. Mit Unterstützung und Kontrolle – beides soll ja jetzt verstärkt werden.

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