Die Verschweinung des Ostens: Über die Gigantomanie in Sachen Schnitzelproduktion
VON HELMUT HÖGE
Westberlin wird von Wildschweinen aus dem Osten heimgesucht: 5.000 leben in der Stadt, 1.000 wurden zum Jahreswechsel erschossen. In den Kinderbauernhöfen leben außerdem etwa 20 Hausschweine, wovon zwei hochqualifizierte Zirkussauen sind. Das sich von Menschen entleerende Umland wird dagegen von West-Schweinen überrollt.
Im nahen Eberswalde gab es zu DDR-Zeiten den größten Fleischverarbeitungsbetrieb Europas, er beschäftigte 3.000 Leute. In der dazugehörigen Mast- und Zuchtanlage wurden 200.000 Schweine jährlich aufgezogen. Lange regte man sich im Westen über diese Gigantomanie auf, nach der Wende musste der Betrieb aus ökologischen Gründen verkleinert werden. Im Jahr 2000 wurde die abgespeckte Anlage mit 300 Mitarbeitern an den Megakulaken Eckhard Krone verscherbelt. Heute ist sein Schweinekonzern wieder der „größte Hersteller von Fleisch- und Wurstwaren in Brandenburg“.
Ständig wird nun aber in Ostelbien versucht, ihn zu übertrumpfen. 2006 fand dazu eine Ausstellung im Schloss Neuhardenberg statt. Darin ging es exemplarisch um die von einem holländischen Investor im uckermärkischen Haßleben geplante „industrielle Schweinemastanlage“. Daneben aber auch um das gesunde Schwein als „Ersatzteillager“ für Menschen.
Für die Mastanlage in Haßleben mussten die Menschen ökonomisch manipuliert werden: Vor dem 20 Fußballfelder großen Objekt standen Schilder mit der Aufschrift: „Ja zur Schweinemastanlage! Für Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich!“ Flankiert von zwei Pappschweinen, die den Autofahrern fröhlich zuwinken. Auch zu DDR-Zeiten wurden hier schon Schweine gemästet: 146.000 Tiere jährlich mit 800 Mitarbeitern. Im Dorf selbst gründete sich um die neue Anlage – mit 850.000 Schweinen und 54 Mitarbeitern – eine Bürgerinitiative, die sich „Pro Schwein“ nennt, und eine, die „Kontra Industrieschwein“ heißt, in ihr ist auch ein Veterinär aktiv, er sagte: Die frühere Anlage war „katastrophal, da wollte keiner gerne als Tierarzt arbeiten“.
Dies galt auch für unsere mit 8.000 Schweinen kleine Anlage in der LPG „Florian Geyer“, Saarmund, wo ich zuletzt arbeitete: Es war laut und stank, jeden Morgen musste man einige tote Tiere rauskarren, und eigentlich waren alle froh, als eine winzige Dorfinitiative eine Demo mit 12 Leuten vor dem Tor organisierte – woraufhin die Ämter in Potsdam 1990 die sofortige Schließung der Schweinemast verfügten – und 15 Leute ihren Arbeitsplatz verloren.
In Haßleben geht dagegen der „Schweinekrieg“ (Bild) nun schon ins achte Jahr. Ähnlich sieht es zur Zeit in Tollenseetal aus, wo der „berüchtigte Herr Straathof“, ein holländischer Investor, der bereits eine Schweinemastanlage in Medow für 15.000 Schweine betreibt, nun „Europas größte Ferkelfabrik“ errichten will – mit 10.000 Sauen und 40 Mitarbeitern. Die lokale Bürgerinitiative schreibt: „Die Riesenanlage vernichtet Arbeitsplätze im Tourismus und ruiniert die kleinen Schweinezüchter in der Umgebung, Wohnungen und Häuser verlieren an Wert, die Lebensqualität in der Region geht verloren“. Auf einem „Sternmarsch“ war 2009 von einer „Verwurstung des ganzen Landes“ die Rede, im Jahr darauf wurde die Riesensauerei dennoch genehmigt. Aber noch ist hier nichts entschieden.
Der Freitag kam des ungeachtet zu dem Ergebnis: „Immer mehr Züchter aus Holland gründen große Schweinemastanlagen in Ostdeutschland. Hier ist erlaubt, was ihnen zu Hause längst verwehrt ist – sie können viel Fleisch fabrizieren, ohne auf die Umwelt über Gebühr Rücksicht nehmen zu müssen.“ Einer hat sein „Schweine-Imperium“ bereits bis nach Tschechien und in die Ukraine ausgedehnt, sein hiesiger Verwalter meint: „Zu Hause in Holland wirst du als Schweinezüchter ständig wie ein Krimineller behandelt. Das ist in Ostdeutschland anders. Hier kannst du noch Unternehmer sein. Umweltkosten spielen keine Rolle.“
Dagegen mucken jedoch immer mehr Bürger auf. Ihnen ist inzwischen klar: „Wer Countrymusic spielen will, muss eine Menge Mist gerochen haben!“ (Hank Williams)
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