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„Das Theater ist ein Seismograf der Krise“

INTENDANZ Ulrich Khuon, der künftig das Deutsche Theater Berlin führt, im taz-Gespräch

Ulrich Khuon

Der Schwabe: Khuon, 1951 in Stuttgart geboren, studierte Jura, Germanistik und Katholische Theologie in Freiburg. ■ Der Intendant: Seine erste Intendanz hatte er ab 1988 am Stadttheater Konstanz. Fünf Jahre später wechselte er ans Schauspiel Hannover. Ab 2000/2001 leitete er das Thalia Theater in Hamburg. ■ Der Entdecker: Jedes dieser Häuser brachte er ins Gespräch, gewann neue Zuschauergruppen und half Regiehandschriften auf den Weg. Autoren wie Dea Loher, Lukas Bärfuß und Roland Schimmelpfennig hat er dabei ebenso gefördert wie die Regisseure Michael Thalheimer, Andreas Kriegenburg, Armin Petras, Nicolas Stemann und Stephan Kimmig.

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Herr Khuon, Sie kommen vom Hamburger Thalia Theater als Intendant ans Deutsche Theater nach Berlin. Gibt es für Sie schon wichtige Orte in der Stadt außerhalb des Theaters? Ulrich Khuon: Wir ziehen Ende Juli um, in die obere Hälfte des Prenzlauer Bergs. Ganz gut kenne ich Mitte, Kreuzberg und die Umgebung des Theaters. Das ist im Grunde eine Theaterkrankheit, man kennt zwar viele Städte, aber meistens nur Bahnhof, Hotel, Theater.

Ich habe eine Geschichte von einem anderen Intendanten gehört, der in Berlin wohnt. Bei Besetzungsproblemen, sagte er, müsse er nur einmal um den Kollwitzplatz gehen, dann hat er so viele Schauspieler getroffen, dass ihm wieder etwas einfällt. Wir haben immer den Anspruch, die Welt zu erzählen; die Gefahr ist aber, dass einen das Theater so in Besitz nimmt, dass man das Theater für die Welt hält. Am Theater kann man sein ganzes Leben verbringen, morgens rein, nachts raus, zwischen Probebühne, Bühne und Kantine. In Hamburg bin ich oft mit dem Rad ins Theater gefahren, vorbei an einem Kinderspielplatz und einem Jugendtreff. Da habe ich oft gedacht: Ist schon komisch, dass man im Theater dauernd Auskünfte erteilt, zum Beispiel über die Jugend, aber im Grunde ist der Zugang zu dieser Welt doch sehr punktuell.

Wie kann das Theater dem begegnen? Deshalb sind für das Theater die dokumentarischen Arbeitsweisen so wichtig geworden, weil sie die Theatralik und das Fiktionale erhalten und gleichzeitig einer Realität begegnen. Wir haben am Thalia eine Reihe von Projekten in diese Richtung entwickelt, beispielsweise mit HSV-Fans oder über prekäre Stadtteile, und so eine andere Begegnung mit dieser Realität erfahren.

Haben Sie für Berlin solche Projekte ins Auge gefasst, die sich in lokale Geschichten hineinbegeben? Zum Beispiel das Klassenzimmerstück: In der ersten Spielzeit gehen wir mit „Friendly Fire“ der Schweizer Autorin Pamela Dürr in die Schulen und spielen dort. Mit Frank Abt, mit dem wir in Hamburg die Reihe „Stadtnotizen“ gemacht haben, will ich die Geschichte des Deutschen Theaters selbst befragen. Da wollen wir bei den Werkstätten anfangen und kulturelle Geschichtsschreibung über das Handwerk erzählen. Die letzte Premiere des Thalia-Theaters war eine Koproduktion mit Köln, „Die Kontrakte des Kaufmanns“ von Elfriede Jelinek in der Inszenierung von Nicolas Steman. In diesem Stück haben Banker, Berater, Anleger wenig aus der Krise gelernt. Halten Sie diese dunkle Sicht für realistisch? Ja. Die Frage ist, ob Menschen, deren Maxime der Profit sein muss, überhaupt freiwillig lernen – da wäre ich skeptisch. Ich glaube, dass Wertediskussionen und Moralappelle im Kontext von Unternehmen, die klare Zielausrichtungen haben, nicht fruchtbar sind. Selbstständigkeit, Teamfähigkeit werden vom Management meistens auf dem Hintergrund der Erfolgssteigerung diskutiert. Deswegen ist es besser, da über Kontrolle einzugreifen. Insofern teile ich Jelineks Skepsis und setze eher auf eine steuernde Kraft des Staates. Die Moraldiskussionen, die jetzt am lautesten von denen geführt werden, die vorher die Sache an die Wand gefahren haben, sind schon ein erstaunlicher Vorgang.

Könnte man aus dem Erfolg der Inszenierung schließen, dass das Theater auch ein Krisengewinnler werden kann?

Eher glaube ich, dass das Theater ein Seismograf der Krise ist. Vielleicht ist das Theater ein Krisengewinnler, weil die Menschen wieder ein paar andere Fragen an das Leben richten, nach etwas anderem als Konsum und Genusssteigerung suchen. Ich denke, dass der Mensch sich in Wellen bewegt und auch ohne Krise nach einiger Zeit merkt, dass die Sucht nach Reizen und Steigerung an eine Grenze kommt. Dann stellt er neue Fragen und bildet eine andere soziale Energie aus.

Ihr Kollege Roberto Ciulli vom Theater in Mülheim/Ruhr fordert, dass ein Prozent dessen, was zur Rettung der Banken ausgegeben wird, in die Kultur fließen soll. Was halten Sie davon? Jetzt, wo die Krise zurückschlägt auf die öffentlichen Haushalte und im Ruhrgebiet schon einige Städte davon bedroht sind, ihre Theater zu verlieren, ist diese Zuspitzung richtig. Man muss deutlich sagen, dass manche Theater am Rande ihrer Existenz stehen. Die Städte leben davon, dass es in ihrem Gemeinwesen einen interessensfreien Diskurs gibt. Wirtschaft und Politik vertreten ihre Interessen, Kunst und Kultur benötigen den Raum, um sich auf diese Interessen zu beziehen, der aber auch geschützt sein muss.

Sehen Sie die Besetzung des öffentlichen Raums der Städte durch privatwirtschaftliche Repräsentation als Problem?

In Stuttgart wurde jetzt das Porschemuseum eröffnet. Jede Automarke, Daimler, BMW, Volkswagen, hat inzwischen ihre gläsernen Fabriken, Tabernakel des Konsums. Die beauftragen hochinteressante Architekten, deren Bauten oft viel gelungener sind als das, was in komplizierten demokratischen Prozessen zustande kommt. Aber ihr Kern dient etwas sehr Profanem: dem Verkauf von Autos.

Sie sind auch als katholischer Theologe ausgebildet, haben sich aber fürs Theater entschieden. Bereuen Sie dies manchmal? Nein. Die Äußerungen des Papstes im Zusammenhang mit Aids in Afrika, das Nachgeben gegenüber der Pius-Bruderschaft, die Stellung der Frau in der katholischen Kirche, das ist katastrophal. Ich bin sehr geprägt durch Johannes den XXIII. Seine Losung, Aggiornamento, heißt ja: verheutigen. Etwas, was wir im Theater auch versuchen.

„Ich teile Jelineks Skepsis und setze eher auf eine steuernde Kraft des Staates. Die Städte leben davon, dass es in ihrem Gemeinwesen einen interessensfreien Diskurs gibt“

Sind Sie von der Retrobewegung hin zu den Kirchen und der politischen Macht der Religionen heute überrascht?

Dass es so viel an politisch aufgerüsteter Religion gibt oder Politik, die sich religiös definiert, in Amerika genauso wie in bestimmten Teilen des Islam, das hätte ich mir vor dreißig Jahren nicht träumen lassen. Wir waren von dem Wunsch nach Interkulturalität, danach, alles nebeneinander gelten zu lassen, bewegt. Dann merkt man, was das alles für die Lebenspraxis heißt. Ich muss dann ja nicht nur die katholische Kirche befragen, wie sie mit Frauen umgeht, sondern auch die anderen Religionen. Auch da ist die Welt voller Überforderungen und es ist wichtig, weder davor zu kapitulieren, noch zu glauben, das wäre durch drei Gesprächsrunden zu lösen.

Sie eröffnen Ihre Intendanz am Deutschen Theater mit einer Romandramatisierung nach Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ in der Regie von Andreas Kriegenburg. Warum? Einige Stücke der ersten Spielzeit, wie „Herz der Finsternis“, „Öl“ von Lukas Bärfuss oder „Das Goldene Vlies“ berühren sich darin, dass sie uns, die wir erzählen, einer gewissen Fremdheit aussetzen. Wir verhalten uns nicht zum Fremden hier, sondern schauen, wie ist es denn, selbst in der Fremde zu sein. Die Reise von Marlow im „Herz der Finsternis“ ist eine metaphorische und eine ganz reale Reise den Kongo hinauf. Das Bild des Flusses, der undurchdringlichen Ufer und der Welt, die sich dahinter verbirgt, die mögliche Ankunft in der Dunkelheit der eigenen Seele – das ist schon ein großes Thema für das Theater. Lukas Bärfuß, der mit seinem Buch „100 Tage“ einen sehr hellsichtigen Ruanda-Roman geschrieben hat, beschreibt in „Öl“, wie wir Europäer immer irgendwo fürsorglich einfallen, im Zweifel Demokratie, Kultur oder Zivilisation bringen; aber eigentlich danach schauen, welche Ressourcen es gibt. Und „Das Goldene Vlies“ ist die brachialste Geschichte: Jason kommt nach Kolchos und entführt Medea, die dann auch noch ihre eigenen sozialen Zusammenhänge zerschlägt, und dann wird sie selbst von Jason zerstört.

Ihr Spielzeitheft enthält Zeichnungen des Künstlers Marcel van Eeden. Düster, rätselhaft, das hat was von großer Schauerromantik.

Dem Theater wird oft vorgeworfen, andere Künste aufzusaugen, wenn Filme und Romane inszeniert werden. Ich finde eher, dass die Künste zu wenig miteinander zu tun haben. Ich habe Marcel van Eeden nach Assoziationen zu unseren Stücken und Stoffen gefragt. Seine Zeichnungen sind emotional, absolut rätselhaft, haben eine eigenartige Patina, und darin ähneln sie dem, was mich auch am Theater interessiert.

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