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„Der jüdische Terror ist für Israel gefährlicher als der palästinensische“, sagt Ariel Merari

Geheimdienst und Polizei müssen mehr unternehmen, um Terrorakte gegen israelische Politiker zu verhindern

taz: Der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth, Awi Dichter, spricht von „Dutzenden“, die bereit wären, Premierminister Ariel Scharon zu ermorden. Ist Israel heute wieder dort, wo es vor zehn Jahren war, als Regierungschef Jitzhak Rabin von einem jüdischen Extremisten erschossen wurde?

Prof. Ariel Merari: Die Atmosphäre und die politische Aufgeregtheit sind sehr ähnlich. Die Hetzparolen sind zum Teil sehr radikal und rufen zur Gewalt gegen Politiker auf, die den Friedensprozess vorantreiben wollen und speziell den Abzug aus dem Gaza-Streifen. Und es gibt den Aufruf zur Gewalt gegen die Soldaten, die die Siedler evakuieren müssen. Unterschiedlich ist, dass es vor zehn Jahren einen Friedensprozess gab, aber noch nicht über die Evakuierung bestimmter Siedlungen gesprochen wurde. Das ist aber jetzt akut, deshalb spüren die Siedler, dass sie unter konkreterer Bedrohung stehen. Hinzu kommt, dass damals eine linksliberale Regierung an der Macht war, heute haben wir eine konservative Regierung. Wir sollten uns daran erinnern, dass damals einer der Kernredner, die sich gegen den Friedensprozess erhitzten, Ariel Scharon hieß. Heute ist die Rechte gespalten in das Lager, das Scharon unterstützt, und in seine Gegner.

Der Schin Beth hat sich trotz der bedrohlichen Lage grundsätzlich gegen die Administrativhaft ausgesprochen. Glauben Sie, dass das eine weise Entscheidung ist?

Ich bin grundsätzlich gegen die Administrativhaft, weil ich sie für keine demokratische Maßnahme halte. Das gilt im Übrigen gleichermaßen für die Administrativhaft, die gegen Palästinenser wie gegen jüdische Terroristen verhängt wird. Wenn es Beweise für das Fehlverhalten eines Menschen gibt, dann sollte er vor Gericht gebracht und entsprechend verurteilt werden. Das Verfahren der Administrativhaft birgt Gefahren. Man weiß, wo es anfängt, aber nicht, wohin es führt. Obschon ich glaube, dass die israelische Gesellschaft insgesamt eine gesunde demokratische Gesellschaft ist, und ich konkret keine Gefahr sehe, dass hier morgen massenweise Leute verhaftet werden als politische Maßnahme, um sie zum Schweigen zu bringen. Es gibt sicher Situationen, in denen mit Blick auf die mögliche Enthüllung nachrichtendienstlicher Informationen ein Gerichtsprozess nicht sinnvoll ist, trotzdem sollte man mit dem Prinzip der Administrativhaft sehr vorsichtig umgehen.

Sie haben selbst die sehr konkreten Warnungen gegen den Premier angesprochen. Was muss noch passieren, damit die Polizei etwas unternimmt?

Was heißt das denn in diesem Zusammenhang konkret? Wenn der Schin Beth eine konkrete Aktion oder die Planung und Organisation zu einem konkreten Anschlag aufdeckt, dann ist völlig klar, dass die Leute vor Gericht müssen. Auch Hetze ist, wie Aufruf zum Mord, ein Verstoß gegen das Gesetz.

Sind Ihnen Wandaufschriften, wie „Scharon, Rabin wartet auf dich“, noch nicht konkret genug?

Ich glaube auch, dass der Schin Beth nicht genug unternimmt, um den jüdischen Terror zu untersuchen. Das ist ein Fehler, denn der jüdische Terror ist für den Staat Israel sehr viel gefährlicher als der palästinensische.

Das müssen Sie erklären.

Ganz einfach: Wenn der Schin Beth den Willen hat, dann ist er sehr effektiv. Das sehen wir an der Arbeit in den Palästinensergebieten. Wenn man den gleichen Aufwand bei der Bekämpfung des jüdischen Terrors betriebe, würde man entsprechend Früchte ernten können, sprich: Die Leute, die offen zur Hetze aufrufen, vor den Richter bringen.

Warum halten Sie den jüdischen Terror für den gefährlicheren?

Ich bin überzeugt, dass der palästinensische Terror niemals den Staat Israel zerstören kann. Der jüdische Terror kann das unter bestimmten Umständen schon.

Wie?

Durch das Kreieren eines Risses in der Gesellschaft, der so tief ist, dass er nicht mehr repariert werden kann. Ein Zermalmen des Staates von innen – unter bestimmten Umständen.

Kommt Israel diesen Umständen näher?

Nein, wir sind vorläufig noch davon entfernt. Aber es gab die Situation in der Geschichte: In der Zeit des Zweiten Tempels konnte der jüdische Staat der römischen Besatzung aus einem Grund nicht standhalten: interne Konflikte. Auch damals gab es Rechtsextremisten, die ihre politischen Gegner, die, die im Verdacht der Kollaboration standen, exekutierten. Ich glaube nicht, dass wir uns heute in einer auch nur annähernd ähnlichen Situation befinden, trotzdem halte ich den jüdischen Terror grundsätzlich für gefährlicher.

Gibt es ein Profil des jüdischen Terroristen?

Ich habe über die Extremisten heute keine Informationen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

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