piwik no script img

Endlich wieder Single!

In den Zeiten vom MP3 und iPod hat sich der Ton vom Träger gelöst. Trotzdem feiert nun der urtümlichste aller Tonträger eine Renaissance: die Vinylsingle

VON RENÉ MARTENS

Am Anfang, darüber kann es keinen Zweifel geben, war die Single. Ob wir, um mal ein paar Eckpunkte der Popgeschichte zu streifen, nun über Elvis reden, die Beatles, Soul, Glamrock, Punk, Post-Punk oder die frühe Deutsche Welle – die Musik, die diese Genres begründet beziehungsweise Jugendbewegungen ausgelöst hat, ist zuerst auf jenen kleinen Platten erschienen, die, ihrem Durchmesser gemäß, von ihren Liebhabern in der Regel 7-inches genannt werden. Bis in die frühen Achtzigerjahre war es unumgänglich, 7-inch-Singles zu kaufen, wenn man die Entwicklung der Popmusik verfolgen wollte, dann begann sich die 12-inch-Single, in Deutschland auch Maxi genannt, durchzusetzen, die Ende der Achtzigerjahre in der Techno- und Housemusik zum dominierenden Format werden sollte.

An diverse Gründerzeitphasen fühlt man sich derzeit erinnert, wenn man in den besseren Plattenläden der Republik stöbert. Alte Kameraden wie Morrissey oder Die Ärzte veröffentlichen wieder Vinylsingles auf 7 inch, aber auch all die Franz Ferdinands und „The“-Bands, die in dieser und der vergangenen Saison durch den Hype-Wolf gedreht wurden, hauen regelmäßig welche raus. Die Bremer Garagenpop-Gruppe Trashmonkeys, die bei L’Age d’Or unter Vertrag ist, brachte es im letzten Jahr auf drei Singles innerhalb von fünf Monaten. Das Indie-Traditionslabel aus Hamburg-Altona veröffentlicht 7-inch-Singles vor allem dann, „wenn wir mit einer Band auf den englischen Markt schielen“, sagt Marketingchef Stepahn Rath. „Das hat uns unser Auslandsvertrieb nahe gelegt, weil in England Newcomer durch Singles gebreakt werden.“ Die 7-inches der Trashmonkeys seien aber „auch in Italien und Japan“ gut gelaufen.

Zwischendurch, als die Welt mal an den Siegeszug der CD glaubte, war die 7-inch aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden, jetzt, ein paar Jahre nach dem Comeback des Vinylalbums, erlebt sie eine kleine Renaissance. Im Übrigen zu einem Zeitpunkt, da die CD-Single – eine der unattraktivste Erfindungen in der Geschichte der Kulturindustrie – immer mehr an Bedeutung verliert. Bei vielen aktuellen Bands, die sich auf Post-Punk beziehen, also auf Gruppen, die sich ihren Status durch Singles erarbeitet haben, liegt es nahe, 7-inches herauszubringen. Imagepolitisch klug war es, dass Franz Ferdinand gemeinsam mit den Fire Engines – eine vor einem Vierteljahrhundert aktive Band, die Franz Ferdinand inspirierte – eine Splitsingle aufnahmen. Auf der einen Seite coverten die Jungen die Alten, auf der anderen war es umgekehrt.

Stephan Rath tut sich allerdings „schwer damit, von einem neuen Retro-Phänomen zu sprechen, denn verschwunden war die 7-inch-Single ja nie“. Unter wertkonservativen Underground-Punkbands oder Garagenrockern galt es selbstverständlich, dem Urformat der Rockmusik treu zu bleiben – und über Mail Order limitierte Auflagen zu vertreiben. Und im Reggae war die 7-inch immer das Medium schlechthin, weil sie schnell und billig zu produzieren ist. „Singles sind auch praktisch, weil man weniger zu schleppen hat, wenn man auflegt“, sagt der Reggae-DJ Ingo Schepper. Weniger Rückenprobleme haben möglicherweise auch einige Star-DJs der englischen Northern-Soul-Szene. Dort, so Stephan Rath, gebe es einige, die für ein Traditionsbewusstsein bekannt sind, das an Totalitarimus grenzt: „Die legen nur 7-inches auf, mit jemandem, der LPs, CDs oder MP3s spielt, reden die gar nicht.“ Da sowohl die Reggae- als auch die Northern-Soul-Szene stets vital geblieben sind – beziehungsweise ein paar Mini-Revivals hinter sich haben –, ist die 7-inch auch vielen Musikfans vertraut, denen gemeinhin nachgesagt wird, sie würden von der Existenz solcher Tonträger nur aus den Erzählungen ihrer Eltern wissen.

Neu ist, dass die Singlefächer der Plattenläden wieder vergleichsweise umfangreich sind – in England sogar in den großen Tonträgersupermärkten, in Deutschland nur bei Tante Emma. Kein Wunder: Die Hamburger Indie-Ladenkette Zardoz meldet als Rekord aus der jüngeren Vergangenheit 50 verkaufte Exemplare einer Morrissey-Single. Klingt piefig auf den ersten Blick, aber wenn man bedenkt, dass Mitte April bereits 250 verkaufte Singles reichten, um in Deutschland in die Top 100 zu kommen, erscheint die Zahl in einem anderen Licht.

Ungewöhnlich auch, dass mittlerweile wieder aus fast allen Genres 7-inches angeschwemmt kommen. Es gibt massenweise Soul und Funk im Stil der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre – mal frisch eingespielt, mal als Wiederveröffentlichung, beispielsweise aus dem oberbayerischen Fahrenzhausen, wo Tramp Records residieren, die gerade die dritte Single einer Reissue-Reihe aufgelegt haben. Aber auch eine Jazz-HipHop-Newcomerin wie Tiombe Lockhart wird mit einer Single aufgebaut, und das renommierte Techno-Haus Underground Resistance aus Detroit schätzt das Format ebenfalls, bevor ein Stück dort als Maxi erscheint, kommt eine 7-inch heraus. Die Hamburger Gruppe Helgoland produziert sogar Musik, die sich per se nur auf Single veröffentlichen lässt. Ihre neue 7-inch „Your Success“ enthält 46 jingle-artige Miniaturen, jeweils nur ein paar Sekunden lang. „Wir können ja nicht 3.000 davon machen“, sagt Schlagzeuger Michele Avantario.

Der Mikrotrend zur 7-inch garantiert, dass der Kulturgeschichte der Typus des Plattensammlers erhalten bleibt. In einer Ausgabe von „Rock Session“ – einem Musikmagazin im Buchformat, das 1979 und 1980 ein halbes Dutzend mal im Rowohlt Verlag erschien, mit herausgegeben übrigens vom heutigen Harry-Potter-Verleger Klaus Humann – durften einst Plattensammler die Geschichte ihrer Abhängigkeit erzählen. Einer, der sich zunächst von fast seinem kompletten Bestand getrennt hatte, schrieb damals über seinen Neueinstieg: „Ich kaufe mir jetzt wieder einige Platten, meist Singles, aus den diversen alliierten Neuen Wellen. 1989 werden einige wieder begehrte Raritäten sein“, das sei „Sammlerschicksal“.

Auch die heute angebotenen 7-inches sind fast zwangsläufig Wertanlagen, denn die Auflagen sind klein, teilweise nur dreistellig. Die Label versuchen Sammlertypen zudem durch Gimmicks zu animieren: farbiges Vinyl, unterschiedliche B-Seiten auf unterschiedlich farbigen Singles, unbespielte B-Seiten, im Tourbus aufgenommene Alternativversionen usw. Die Zielgruppe überschneidet sich mit der, die auf den Bonusschnickschnack abfährt, mit dem Plattenfirmen CD- und DVD-Sonderausgaben aufmotzen.

Ein Sonderfall ist die gefakete 7-inch. Universal bewirbt gerade „Volume 3“ einer Edition, in der Reproduktionen von neun Rolling-Stones-Singlecovern enthalten sind. In den originalgetreuen Hüllen stecken allerdings keine Vinylsingles, sondern CDs. Wer so etwas kauft, braucht wahrscheinlich einen guten Therapeuten. Gewiss, auch manche 7-inches sind ein Fall von Halsabschneiderei. Muss die wieder aufgelegte Debütsingle der Einstürzenden Neubauten, wie damals in eine schlichte Papierhülle eingetütet, 9,80 Euro kosten? Und das drei Singles umfassende Werk der 1969 umtriebigen Instrumental-Funk-Combo Soul Toronados als, nun ja, Gesamtausgabe 22,90 Euro? In der Regel lässt sich mit einer Single indes nicht viel verdienen – zumindest nicht direkt. „Singles sind Promo-Tools für Alben“, sagt Stephan Rath. Deshalb kosten sie in England oft nur 99 Pence – und hier zu Lande im günstigsten Fall 2,80 oder 3,80 Euro.

Zwar lässt sich die kleine Renaissance eines uralten Tonträgerformats auch als Reaktion auf das immer mal wieder aufkeimende Gerede vom Ende des physischen Tonträgers interpretieren. Eine nostalgische Angelegenheit ist die 7-inch-Single dennoch nicht. Das Format passt gut in eine Zeit, in der die gebeutelten Plattenfirmen günstige Marketingstrategien finden müssen. Weil viele Singles bei Konzerten verkauft werden, sorgen sie zudem für eine bessere Künstler-Fan-Bindung, von der mittelbar die gesamte Branche profitiert. Hinzu kommt, dass der Vertrieb übers Internet für kleine Labels wichtig ist, weil es wegen der ohnehin niedrigen Gewinnspannen nahe liegt, direkt an den Kunden zu verkaufen. Nicht zuletzt macht es das Internet möglich, dass der durch eine Single ausgelöste Geldkreislauf erheblich aufgeheizt werden kann.

Ein Mitarbeiter des Virgin Megastores in London erzählte dem Züricher Tages-Anzeiger, in England gebe es „Spekulanten“, die limitierte Singles im Dutzend aufkaufen würden: „Die verkaufen sie per eBay weiter, meist in die USA.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen