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DIE SPD WIRD SICH ERNSTHAFT MIT LAFONTAINES KRITIK BEFASSEN MÜSSENBefreiungsschlag oder schlappes Manöver

Als Franz Müntefering seine Polemik gegen die „Macht des Kapitals“ lostrat, stand er im Schatten eines „einfachen Sozialdemokraten“, dessen Name ihm kein einziges Mal über die Lippen kam. Diese Unperson verbreitet periodisch Schrecken unter den Sozialdemokraten. Sie erinnert an längst überwunden geglaubte Einsichten und Emotionen. Besonders jetzt, wo die SPD in der heißen Phase des NRW-Wahlkampfs plötzlich zu ahnen beginnt, dass sie auf dem Altar des Kapitalismus alles, was ihr an Prinzipien geblieben war, umsonst geopfert hat.

Oskar Lafontaine ist auf einer Gewerkschaftsversammlung in Krefeld aufgetreten und hat erklärt, es bringe nichts, die Übel des Kapitalismus in wohlfeilen Metaphern zu beklagen und vom Fehlverhalten einzelner Manager zu reden. Damit ist er umstandslos zum Kern des Problems vorgestoßen. Münteferings Attacke verlangt zwingend die Umsetzung in praktische Zielvorstellungen. Unterbleibt dieser Schritt, so bleibt nichts als ein Einfangmanöver mit dem NRW-Wahltag als Schlusstermin. Schlimmer noch: Gerade erweckte Hoffnungen werden enttäuscht, das Gefühl der Vergeblichkeit aller Politik verstärkt sich zusammen mit einer diffusen Wut, die in Abwesenheit einer zielklaren Alternative links von der SPD leicht ins rechtsradikale Fahrwasser geraten kann.

Politische Vorschläge liegen auf dem Tisch. Natürlich geht es nicht um die „Überwindung“ der kapitalistischen Produktionsweise, sondern um die Rolle des Staates in der Ökonomie, sprich um Maßnahmen, die die Reste des rheinischen Kapitalismus retten und die der Währungs- und Finanzspekulation Grenzen setzen – also um zeitgenössischen Reformismus, wie ihn Attac vorträgt oder eben – Oskar Lafontaine. Wenn die SPD einen Befreiungsschlag wagen will und nicht nur ein schlappes Manöver, wird sie sich mit diesen Vorschlägen befassen müssen. Der erwartbare Einwand, das alles sei populistisches Gerede ohne Verwirklichungschance, zieht nicht mehr. Dennoch wird er erhoben, und die SPD wird die ihr gebotene Öffnungschance nicht nutzen. Sie ist einfach zu weit vom Wege abgekommen. CHRISTIAN SEMLER

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