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An der kurzen Leine

AUF DER FLUCHT „Ein Augenblick Freiheit“, das Spielfilmdebüt von Arash T. Riahi, erzählt von Iran-Flüchtlingen in Ankara

„Ein Augenblick Freiheit“ zu kritisieren, ist eine außerordentlich undankbare Aufgabe. Arash T. Riahis Spielfilmdebüt engagiert sich für ein politisch dringliches Thema, hat weltweit 21 Preise auf Festivals gewonnen, er ist gut gemeint und gut gemacht. Und trotzdem. Am Ende kommt weniger heraus als die Summe der einzelnen Teile.

Erzählt werden drei Geschichten von Iranflüchtlingen, die in Ankara aufeinandertreffen. Die Türkei ist für sie ein unsicherer Transitraum. Jenseits ihrer Heimat, aber nicht geschützt vor dem iranischen Geheimdienst, warten sie auf die Erlaubnis, in die EU einreisen zu dürfen. Ali und sein Freund Merdad begleiten Alis Nichte und Neffen auf ihrer gefährlichen Fahrt zu den Eltern nach Wien. Das Ehepaar Lale und Hassan sucht mit seinem Sohn Kian ein sicheres Leben vor Verfolgung. Und der Zweifler Abbas teilt sich in einer Absteige ein Zimmer mit dem optimistischen Kurden Manu. Die Ersparnisse schwinden, doch Geld dürfen sie als Flüchtlinge nicht verdienen. Stattdessen müssen sie immer wieder in den langen Schlangen vor dem UNHCR-Gebäudeauf die Anhörung ihres Falls warten.

Das Leben besteht aber nicht nur aus Trübsal. Ali und Merdad verlieben sich, Lale bekommt ein Radio, um Nachrichten aus der alten Heimat hören zu können, Abbas und Manu feiern ihre Freundschaft mit einem Festmahl, für das allerdings ein Schwan dran glauben muss. Immer wenn es in einem Erzählstrang ganz düster aussieht, gibt ein anderer wieder Hoffnung. Drei exemplarische Geschichten, die jeweils einen Aspekt von Flucht beleuchten, dazu verschiedene Generationen, unterschiedliche Familienkonstellationen, Tragik und Humor, Spannung und Drama, Poesie und Realismus und am Ende eine Mischung aus glücklichen Fügungen und bösen Überraschungen – Riahi spannt in jeder Hinsicht einen weiten Bogen, der das Thema so umfassend wie möglich abdecken soll. Im Jahr 2006 hat er mit „Exile Family Movie“ bereits einen Dokumentarfilm über die Flucht seiner eigenen Familie aus dem Iran vorgelegt. Jetzt möchte er damit abschließen: „Ich will mich nicht ein Leben lang mit dem Thema beschäftigen“, sagt er in einem Interview.

Mit einem Schlag alles sagen zu wollen, ist ein häufiges Problem von Debütfilmen. Bei Riahi kommt die Aufarbeitung der eigenen Fluchtgeschichte hinzu. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, ein für alle Mal das belastende Thema hinter sich lassen zu wollen. Doch weniger wäre mehr gewesen.

Riahi hat lange an „Ein Augenblick Freiheit“ gearbeitet: Sechs Jahre dauerte es, bis das Script perfekt austariert war. Insgesamt 14 Drehbuchfassungen durchlief das Projekt, während Riahi an verschiedenen renommierten Script-Workshops in Europa und Amerika teilnahm. Der Verdacht, dass zu viel am Drehbuch herumgedoktert wurde, liegt nahe. Jede einzelne Geschichte mag auf authentischen Begebenheiten beruhen, zusammengenommen wirken sie mit zunehmender Dauer konstruiert. Die Szenen entwickeln sich weniger aus den Figuren heraus, als dass jede Einstellung eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat: einen humoristischen Kontrapunkt setzen, das besondere Schicksal von Kindern auf der Flucht näher bringen, eine allgemeine Kritik europäischer Asylpolitik formulieren usw. Ausnahmen bieten einige wenige Momente am Ende von Szenen, in denen die Protagonisten einfach nur sitzen und ins Leere schauen. Aber auch hier sorgt die Musik dafür, dass es nicht allzu vage bleibt, was sie dabei fühlen. Der Zuschauer wird an kurzer Leine geradezu durch die Geschichte gezogen. Wie sehr einen das stört, hängt natürlich davon ab, wie stark man sich im Kino führen lassen will. SVEN VON REDEN

■ „Ein Augenblick Freiheit“. Regie: Arash T. Riahi. Mit Navid Akhavan, Fares Fares u. a., Österreich/Frankreich 2008, 110 Min.

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