: Wenn es ein paar Kilo mehr sein dürfen
ELEKTROANTRIEB Immer mehr Fahrräder mit Motor, immer mehr Motoren mit stärkerer Leistung. Mit Übergewicht auf die Überholspur? Die Aufrüstung hat ihren Preis. Haftpflicht und Helm sind zumindest dringend empfohlen
VON HELMUT DACHALE
Das Trommeln für die hilfsmotorisierten Fahrräder – Pedelecs oder auch Hybrid-Bikes genannt – hat nun endlich auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag vernommen. Auf seiner diesjährigen Tagung widmete er ihnen einen Arbeitskreis. Und was in Goslar dann beschlossen wurde, lässt die Hersteller halbwegs aufatmen: Ein Pedelec, dessen akkugespeister Motor eine Nenndauerleistung von nicht mehr als 250 Watt erbringt und bis maximal 25 Stundenkilometer unterstützt, soll weiterhin ein Fahrrad bleiben. Also zulassungsfrei. Den Fahrern wird lediglich „dringend empfohlen“, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und einen Helm zu tragen. Und Kinder bis zu 14 Jahren sollten ausschließlich der eigenen Muskelkraft vertrauen, meinen die Verkehrsexperten.
Bei den schnellen Pedelecs, die erst bei Tempo 45 abregeln und offiziell zu den Leichtmofas gerechnet werden, halten sie jedoch die Einführung der gesetzlichen Helmpflicht für notwendig. Noch dürfte das nur wenige betreffen. Höchstens 7 Prozent aller verkauften Pedelecs sollen zurzeit Highspeed-Boliden sein, schätzt Stephan Schreyer vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Insgesamt sind 2011 rund 300.000 Pedelecs in Deutschland abgesetzt worden – von etwa 4 Millionen Fahrrädern aller möglichen Modelle. „Mittelfristig werden sich die Pedelecs einen Marktanteil von 10 bis 15 Prozent erobern“, meint Schreyer.
Neben der Biketec AG, dem Pedelec-Trendsetter aus der Schweiz, der nich nie vor höheren Geschwindigkeiten zurückschreckte, setzt jetzt auch Riese und Müller sehr betont auf eine Unterstützung bis zu 45 Stundenkilometern. An gleich mehreren Rädern seiner breiten Hybridkollektion ist ein 350-Watt-Elektromotor von Bosch zu finden oder der BionX-Antrieb mit gar 500 Watt. An der Steuereinheit am Lenker lassen sich die Unterstützungsmodi einstellen, bis zu 300 Prozent sind bei einigen Modellen möglich.
Und um noch besser in die Gänge zu kommen, ist immer eine hochgängige Ketten- oder Nabenschaltung verbaut, auch die 14-Gang-Nabenschaltung aus dem Hause Rohloff kommt zum Einsatz. Für ein derartiges High-End-Bike sind dann rund 5.000 Euro mitzubringen, so zum Beispiel für das Homage hybrid rohloff oder das Culture hybrid rohloff. Fast alle Modelle von Riese und Müller sind auch ohne unterstützenden Motor zu bekommen. So lässt sich der ein oder andere Tausender sparen.
Ein und dasselbe Modell wahlweise mit oder ohne Motorkraft? Nicht gerade der Trend der Saison. Dabei zeigt die Utopia Velo GmbH, dass so etwas machbar ist. Und zwar für die gesamte Modellpalette eines Herstellers: Bei Utopia kann sich der Kunde immer zwischen mehreren Komponentenprodukten entscheiden – und insofern auch, ob sein Wunschrad mit E-Antrieb oder konventionell ausgeliefert wird.
Zum Prinzip Custom-Made gehört zudem, dass jedes neue Rad auch innerhalb von acht Jahren nachgerüstet wird. Bei älteren Rädern aus dem eigenen Stall bietet Utopia einen Test an, ob eine nachträgliche Elektrifizierung technisch möglich ist. Verbaut wird in jedem Fall ein Motor der modernsten Art: Ab 25 Stundenkilometern macht er Pause. Aber auch hier schlägt der zusätzliche Elektroantrieb mit rund 2.000 Euro und mehr zu Buche und führt zu einem Mehrgewicht zwischen 7,6 und 11 Kilo. Ausschlaggebend, so der Hersteller, sei die Art des Akkus und ob man sich einen oder zwei an dem speziell angefertigten Hinterradträger hängt.
Das erste und bisher einzige elektrifizierte Modell der taz-Rad-Flotte heißt „easy rider“, hat einen Bosch-Motor (250 Watt), der ebenfalls nur bis 25 Stundenkilometer unterstützt, und eine achtgängige Shimano-Nabenschaltung. Kosten: rund 2.500 Euro.
Gehobenes Preisniveau und ein nicht zu unterschätzendes Mehrgewicht. Dennoch habe sich das Interesse am motorisierten Fahrrad innerhalb von zwei Jahren verdoppelt, so das Ergebnis einer Sinus-Befragung von 2011. Andererseits dürften die 300.000 real verkauften Exemplare kaum dem schon seit Längerem entfachten E-Bike-Hype entsprechen. Und auch nicht den gewaltigen Anstrengungen, immer mehr Fahrradtypen mit einem Motor zu beglücken – und den auch noch leistungsstärker zu gestalten. Nach den Stadt- und Trekkingrädern hat sich der kleine Helfer ja auch schon bei MTBs, den Liege- und den Falträdern eingenistet. Zu haben ist sogar ein Hybridtandem, auf dem sich nebeneinander sitzen lässt. Und bald scheint das Rennrad fällig zu sein. Die Firma Haibike hat kürzlich eine Studie vorgestellt – einen Racer mit 350-Watt-Motor und einem Gesamtgewicht von etwa 16 Kilo.
Da fehlt nur noch, wovor dem Deutschen Verkehrsgerichtstag grausen dürfte: das Kinderrad mit Stützrädern und Unterstützungsmotor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen