: Politik in Plastik
WAHLKAMPF Bei RTL stellen Zuschauer Fragen an den Kanzlerkandidaten – Frank-Walter Steinmeier würde gerne antworten. Es kommt ihm aber so viel anderes dazwischen
VON DANIELA ZINSER
Wie mit Plastikfolie überzogen kommt einem dieser Wahlkampf 2009 vor. Hochglanzbearbeitete Plakate, emotionsfreie Debatten, langweilige Seitenhiebe – alles wirkt schon so unecht, dass Fantasiefiguren wie Hape Kerkelings Horst Schlämmer die viel realitätsnäheren – und volksnahen ohnehin – Politiker zu sein scheinen.
Wie aus Plastik wirkt es dann auch, wenn einer, der besonders lange hinter irgendwelchen Mauern weltweit sich und anderen die Welt erklärt hat, aufs Fernsehvolk losgelassen wird. „2009 – wir wählen. Zuschauer fragen – Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier antwortet“, so war es grundsätzlich gedacht bei RTL am Sonntagabend. Nur SPD-Kandidat Steinmeier wollte nicht so recht antworten. Er dankte und dozierte lieber.
Herr Rose, seit 30 Jahren Verkäufer bei Hertie und nun arbeitslos, zum Beispiel hat die ganz einfache Frage: Warum wird für Opel gekämpft, für Hertie aber nicht? Statt zu antworten, beginnt der patex-lächelnde Außenminister lieber sperrig zu menscheln. Das sei eine schwierige Situation, so eine Arbeitslosigkeit, da gebe es nichts zu beschönigen, eine Zäsur sei das. Und auch noch Kinder, oh ja, das kenne er, da sei die Verantwortung noch größer. „Ich fahre bei vielen Hertie-Filialen vorbei. Da ist es jetzt dunkel“, bringt Steinmeier noch mehr persönliches Flair rein. Aber es gibt Hoffnung, denn Mitte 40, das sei doch kein Alter, wo das Ende der Welt droht. Also den Kopf nicht hängen lassen und denen bei der Bundesagentur für Arbeit mal so richtig Druck machen. Und immer nach vorne schauen!
Wo Kanzlerin Angela Merkel bei RTL eine konkrete, nützliche Lebensberatungssprechstunde abhielt, gibt Steinmeier Weisheiten von sich, die wie von der Yogi-Tee-Packung abgeschrieben wirken: „Wir müssen uns selbst ein bisschen ernst nehmen! Und wir brauchen Visionen“ – zur Frage, ob sein Vollbeschäftigungsversprechen nicht absurd sei wie Kohls blühende Landschaften. „Ich weiß es aus der eigenen Familie: Kurzarbeit ist auch nicht schön“ – zu einem Mechaniker, der nach der Kurzarbeit die Arbeitslosigkeit fürchtet. „Wir haben damit eine Brücke über die Krise gebaut“ – zur Abwrackprämie. Die ist denn auch eine prima Gelegenheit, endlich mal die große Koaltion zu loben, in der alles Gute natürlich „aus der Ideenfabrik der SPD“ kommt. Viel mehr fällt ihm aber nicht ein als Erklärung, warum er denn der bessere Kanzler sei.
Ein mittelständischer Unternehmer hat daran auch so seine Zweifel und variiert die Hertie-Frage: Warum engagiert sich die Politik bei Opel und Arcandor und lässt den Mittelstand allein in der Krise? Da wird Steinmeier grundsätzlich: „Ich bin außerordentlich dankbar für Menschen wie Sie.“ Und er sei ja seit Jahren für den Mittelstand engagiert und mit ihm als Kanzler gäbe es einen Mittelstandsbeauftragten im Kanzleramt. Auf sein Beharren, die Frage sei aber noch nicht beantwortet, kriegt der Unternehmer schließlich die ultimative Antwort auf alles: „Wenn Sie meine Rede bei der Karl-Schiller-Stiftung gehört haben …“. Ah, wohl eher nicht.
Dankbar ist Steinmeier dann auch noch den Soldaten in Afghanistan und der Nichtwählerin, die Volksabstimmungen fordert, für ihr Engagement für die Demokratie. Ein unzufriedenes SPD-Mitglied, das Hartz IV kritisiert, wird ermahnt: „Lasst uns nicht die Schlachten von gestern schlagen“ – und auch gleich geduzt, schließlich seien sie doch beide Gewerkschafter.
Wenn die Moderatoren Maria Gresz und Peter Kloeppel meist hilflos versuchen, kritisch mal Umfragewerte oder nicht eingehaltene Wahlversprechen einzuwerfen, über-redet Steinmeier sie einfach. Denn hier hat nur einer das Wort. Das klingt dann schon mal so: „Dann habe ich gesagt und dann habe ich ein Zweites gesagt“ (Thema Steuerentlastungen – derzeit nein), oder (zum Thema Mittelstand fördern): „So mach ich’s, so will ich’s, so will ich es tun“. Nun denn.
Selten kam einem die SPD so traurig vor. Dabei rief Steinmeier gleich zu Anfang: „Wahlkampf macht Spaß“, na ja, wenigstens einem. Ein bisschen beleidigt wirkte er, dass da Merkels CDU nicht recht mitspielen will und sich dem Wahlkampfhickhack verweigert. Da sei noch einiges drin für die SPD, sagt Steinmeier. Wie jetzt, nach unten? Er müsse ein bisschen mehr so draufhauen, ein bisschen schärfer werden, so wie Schröder, riet ihm ein Zuschauer – aber das macht ja jetzt schon Müntefering.
Das Publikum quälte sich sehr, als die Moderatoren dazu aufforderten, Steinmeier zum Schluss mal noch was Persönliches zu fragen. Immerhin, die Frage danach, ob das Grau seiner Haare im Gegensatz zum Schwarz Schröders echt sei, beantwortet Steinmeier direkt: „Ich färbe jeden Tag nach, weil das Schwarze immer rauskommt.“ Da hat die Plastikfolie mal ganz kurz geraschelt.
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