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Alle wollen klare Verhältnisse

Die Aussicht auf Bundestagsneuwahlen nervt in Köln so manchen SPD-Politiker. In Bergisch Gladbach will die Nachricht zunächst keiner ernst nehmen, in Rüttgers‘ Wahlkreis Pulheim freut‘s nur die CDU

VON FRANK ÜBERALL, CLAUDIA LEHNEN und THOMAS SPOLERT

Alfred Schultz guckt verdutzt. Seit ein paar Wochen ist er Schatzmeister der Kölner SPD. Kein leichter Job in den Zeiten nach dem Spendenskandal, doch irgendwie hat er die letzten Euro für den NRW-Landtagswahlkampf zusammen gekratzt. Jetzt aber zuckt er nur noch mit den Achseln: „Wie soll ich jetzt das wieder finanzieren?“ stöhnt er. „Die Mitglieder werden spenden müssen, sonst haben wir kein Geld für einen vorgezogenen Bundestagswahlkampf.“

Auch Kölns SPD-Vorsitzender Jochen Ott ist „total überrascht“ vom Ansinnen Münteferings und Schröders, bereits im Herbst Bundestagswahlen abzuhalten. Nicht nur, dass er in seinem Wahlkreis verloren hat und nun weiter als Pauker arbeiten muss. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo seine politische Karriere einen Knick bekommen hat, muss er „seinen“ Unterbezirk für eine Neuwahl auf Linie bringen. „Da müssen wir erst mal drüber beraten“, meint Ott. Ähnlich sieht das Martin Dörmann, seit dieser Legislaturperiode für die SPD im Bundestag. „Ich erwarte, dass Schröder und Müntefering der Fraktion in Berlin bald Rede und Antwort stehen.“

Etwas irritiert ist auch der Kölner DGB-Vorsitzende Wolfgang Uellenberg-van Dawen. Die vorgezogene Neuwahl hält er für Unsinn. Die SPD müsse viel mehr darauf setzen, sozialer zu werden. Dazu gehörten auch Korrekturen bei Hartz IV. Die Kölner Jusos schließen sich dieser Forderung an, sie wollen einen schnellen und konsequenten Kurswechsel: „Die SPD hat die Interessen der Lohnabhängigen vernachlässigt, ihre Politik zu sehr an den Interessen der Unternehmen ausgerichtet“, erklärte Juso-Chef Klemens Himpele.

„Bankrotterklärung“

Vor dem Kreishaus in Bergisch Gladbach halten es die meisten für ein Gerücht. Als ein CDU-Mann hier erzählt, was er eben im Fernsehn gehört habe, winken die Parteifreunde nach kurzem hysterischen Lachen ab. Da ist die Rede von „falsch verstanden“, „so nicht gemeint“ und „der Schröder geht doch nicht freiwillig“. Dann widmet man sich wieder Bier und Siegerlaune. Die Hochrechnungen versprechen über 44 Prozent im Land, im Rheinisch-Bergischen Kreis I kommt die CDU auf 44,9 Prozent, im Rheinisch-Bergischen Kreis II gar auf 49,2 Prozent.

Ein FDP-Mitglied hält alles für einen Mediengag. „Neuwahlen? Wer glaubt das denn?“ Seine Parteifreundin ist zwar auch verwirrt ob Münteferings Neuwahlplänen. Sie geht aber davon aus, dass das durchaus ernst gemeint ist. „Die Deutschen neigen zu Irrationalität“, sagt sie lachend.

Uwe Pakendorf von der Jungen Union Rösrath geht von einem Husarenstreich aus, den sich die SPD nur im Fieber der Enttäuschung ausdenken konnte: „Das kommt einer Bankrotterklärung gleich.“ Auch bei der SPD herrscht Verwunderung. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll“, sagt Helene Hammelrath, enttäuschte SPD-Direktkandidatin für Bergisch Gladbach und Rösrath. Im Biergarten der Gastwirtschaft „Schwäke“ genügt den Genossen ein Biertisch. Niemand hier mag den Vorschlag der Parteiführung als klug bezeichnen. Jürgen Wilhelm, SPD-Parteichef des Rheinisch-Bergischen Kreises, meint, Schröder überschätze seine Popularität, wenn er davon ausgehe, im Herbst als Gewinner aus einer vorgezogenen Neuwahl hervorzugehen. „Schauen Sie nach Düsseldorf! Steinbrück hat sein Popularitätsvorsprung auch nichts genützt.“

„Endlich abgewählt“

„Das werden die sich gut überlegt haben“, meint in Jürgen Rüttgers‘ Wahlkreis Pulheim SPD-Chef Rolf Uebach zum Coup seiner Parteiführung. Bei der SPD im Rathaus ist die Stimmung verhagelt. „Wir werden nicht feiern“, sagt Uebach bitter. Der SPD-Fraktionsvorsitzende ist geschockt von den schlechten Ergebnissen. Minus 8,5 Prozentpunkte. „Mit diesen Verlusten hatten wir nicht gerechnet.“ Besonders ärgert den Sozialdemokraten, dass Rüttgers seinen Wahlkreis direkt gewonnen hat. „Seit 1975 hat der hier immer jede Wahl verloren“, sagt Uebach.

Diesmal holt der designierte Ministerpräsident souverän mit 47,5 Prozent sein erstes direktes Mandat. In Pulheim kann sich daher am Wahlsonntag nur eine Partei so richtig freuen. „Das ist wunderbar“, kommentiert mit zufriedener Miene CDU-Fraktions- und Parteichef Werner Theisen die Hochrechnungen des Abends. Überschwänglich ist sein Jubel am Wahlabend aber nun auch wieder nicht. „Ich habe damit gerechnet“, verrät der CDU-Politiker.

Auch wenn im Fraktionsbüro der Pulheimer FDP Sekt getrunken wird, ist die Enttäuschung hier deutlich spürbar. Die Mienen sind lang. „Wir haben mit mehr gerechnet, so um die 8 Prozent“, gibt Fraktionschef Hans Umpfenbach zu. Mit dem Möllemann-Effekt hatte die FDP bei der letzen Wahl noch ein zweistelliges Ergebnis eingefahren. In ihrer Hochburg im Wahlkreis Rhein-Erft I – dem Rüttgers-Wahlkreis – bekommt die FDP am Ende gerade mal 7,3 Prozent. „Aber endlich ist Rot-Grün abgewählt“, freut sich Umpfenbach trotzig. Die von Franz Müntefering angekündigten vorgezogenen Bundestagsneuwahlen überraschen alle. Einhelliger Kommentar: „Dann gibt es wenigstens bald klare Verhältnisse.“

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