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St.-Pauli-Präsident über Genossenschaft„Wir legen uns ganz bewusst Fesseln an“

Ab Sonntag verkauft der FC St. Pauli Anteile an seiner Fußball-Genossenschaft. Oke Göttlich erklärt die Vorzüge gegenüber Investoren.

St. Pauli Fans im Millernstorstadion in Hamburg am ersten Spieltag der Bundesligasaison 2024/2025 Foto: imago
Jan Kahlcke
Interview von Jan Kahlcke

taz: Herr Göttlich, ist der FC St. Pauli in der Bundesliga angekommen?

Oke Göttlich: Die Mannschaft hat bewiesen, dass sie mithalten kann. Wir bemühen uns eben, das ökonomische Defizit spielerisch auszugleichen.

Foto: imago
Im Interview: Oke Göttlich

49, ist Musik­unternehmer und seit 2014 Präsident des FC St. Pauli. Bis 2006 war er Sport­redakteur der taz

taz: Welches Defizit?

Göttlich: Wir haben 13 Jahre nicht Bundesliga gespielt, in turbodynamischen Jahren. Es gab wahnwitzig hohe Einnahmesteigerungen aus den in­ter­na­tio­na­len Wettbewerben. Und der nationale Verteilungsschlüssel ist einseitig darauf ausgerichtet, dass die oberen fünf bis acht die Liga finanziell dominieren und die anderen immerhin noch mitspielen dürfen. Uns fehlen allein knapp 30 Millionen Euro pro Jahr, die Klubs wie Mainz oder Augsburg für ihren Spielerkader mehr zur Verfügung haben.

taz: Und jetzt gründen Sie eine Genossenschaft, die einmalig 30 Millionen aufbringen soll?

Göttlich: Um da gleich Wasser in den Wein zu gießen: Was wir mit der Genossenschaft einwerben, wird nicht in den Kader fließen. Es soll dem Verein helfen, sich mittel- und langfristig zu entschulden, um dann Investitionen zu ermöglichen.

taz: Akut bringt das nichts?

Göttlich: Doch, eine geringere Zinslast. Aber das sind nicht die großen Sprünge hin zu 30 Millionen per annum. Das bekommt man nur hin, wie es der SC Freiburg immer wieder vormacht: mit Kontinuität und eigenen Talenten und entwicklungsfähigen Spielern viel zu machen und sie dann weiterzuverkaufen.

taz: Können Sie das Kapital nicht aus dem Fußball erwirtschaften?

Göttlich: Der FC St. Pauli hat Fesseln, die wir uns ganz bewusst selbst anlegen, die wir zum Teil auch vermarkten – was uns Manche als Scheinheiligkeit vorwerfen. Diese vermeintliche Scheinheiligkeit kostet uns 5 Millionen Euro im Jahr. Und das machen wir gern, weil wir ein mitgliedergeführter Verein sind. Diese Community ist uns viel wert, weil sie uns als Fußballstandort St. Pauli so viel gegeben hat.

taz: Mehr als in anderen Klubs?

Göttlich: Die Fans haben den FC St. Pauli in seiner jetzigen Form begründet. Dafür zeigen wir uns dankbar, indem wir seit zehn Jahren an der demokratischsten, partizipativsten, gemeinwohlähnlichsten Organisationsform rumdenken – der Genossenschaft. Wie kommen wir damit möglichst nah an die deutlich profitorientierter aufgestellten Gesellschaftsformen heran? Was packen wir in diese Genossenschaft? Bis wir gesagt haben: Es ist das Stadion, das ist deren Heimat.

taz: Sie hätten auch Sta­dion­an­teile an stille Gesellschafter verkaufen können.

Göttlich: Die Genossenschaft ist die die solidarischste Form der Selbstverantwortung. Dinge selbst in die Hand zu nehmen – das muss eines der größten Themen für den FC St. Pauli sein.

taz: Auch über die St.-Pauli-Bubble hinaus?

Göttlich: Für den kommer­ziel­len Fußball ist die Genossenschaft der richtige Ansatz. Weil der Fußball seine Grundzüge verloren hat, wo wir alle eingetragene Vereine waren, wo viel über das Engagement läuft. Weil der Profifußball sich so schnell weitergedreht hat, wird dieses Engagement allein nicht mehr reichen. Das, was dem am nächsten kommt, ist die Genossenschaft.

Die Fußball-Genossenschaft

Die Football Cooperative St. Pauli von 2024 eG wurde am 5. Juni ins Handelsregister eingetragen. Im Vorstand sind, neben Miriam Wolframm, der Besitzer des St. Pauli Theaters, Thomas Collien, der Wirtschaftsprüfer Andreas Borcherding und Christopher Heinemann, Geschäftsführer einer Bäckereikette.

Interessierte Mitglieder wurden am gestrigen Dienstag in einer Veranstaltung über die Genossenschaftspläne informiert. Die Zeichnung der Anteile soll noch im Herbst beginnen.

taz: Als Gegenentwurf zu Investoren?

Göttlich: Für uns war immer klar: Wir gliedern unsere Profiabteilung nicht aus. Das heißt, wir können keine Kapitalzufuhr durch Investoren zulassen. Es ist kein Geheimnis, dass der FC St. Pauli mit einem Stadion mitten in der Stadt, mit einer so starken Marke, wahnsinniges Interesse generieren könnte. Bis jemand sagt: Ich gebe gern Geld, um da möglichst mehrheitlich einzusteigen. Wo das passiert ist, sieht man: Auch wenn du noch mal 100 Millionen generierst, ist das keine Garantie für nachhaltige sportliche Entwicklung.

taz: St. Pauli hat den Aufstieg ein paarmal knapp verpasst. Waren Sie zu vorsichtig?

Göttlich: Diese Frage taucht immer wieder auf. Wir geben das Maximum in den Sport. Meine Kol­le­g:in­nen können einen Spruch von mir nicht mehr hören: Jeder Euro, der nicht in den Sport geht, ist eigentlich ein verlorener Euro.

taz: Oha …

Göttlich: Da sagen natürlich Menschen: Oke, aber wir müssen für unsere gesellschaftliche Verantwortung auch Geld ausgeben! Das eine bedingt für mich das andere: Wenn du klug in den Sport investierst, kannst du dich aufs nächste Level heben. Dann kannst du deine Wirkung für gesellschaftliche Themen breiter an den Start bringen. Ist das eine marktlogische, ökonomische Sichtweise? Ja, das ist sie. Werfe ich mir das als Mensch, der durchaus seine Kritik an diesem System hat, auch mal vor? Ja, das tue ich. Ist es trotzdem die beste für eine Organisation, die sich als politische, gesellschaftliche Organisation sieht und etwas bewirken will? Ja, weil ich keine bessere kenne.

taz: Und doch verzichten Sie auf 5 Millionen Euro?

Göttlich: Wir verzichten auf Sponsoring für den Stadionnamen und die Tribünen oder Eckstöße. Wir stören die Leute zehn Minuten vorm Spiel nicht mehr mit Werbeeinblendungen. Und wir lehnen auch immer wieder Partner ab. Trotzdem leisten wir uns auch viel gesellschaftliches Engagement. In den letzten Jahren haben wir immer 150.000 bis 200.000 Euro an Ini­tia­tiven beispielsweise aus dem Stadtteil gespendet. Auch gern mal im Stillen.

taz: Sie haben im DFL-Vorstand dazu beigetragen, dass der Investorendeal der Liga geplatzt ist. Ein Eigentor?

Göttlich: Wenn Geld irgendwo reinregnet, dann ist die Frage, wo regnet es hin? Bei jedem Deal hat die Liga bisher eher an die größeren Klubs gedacht. Das führt dazu, dass immer dieselben oben stehen.

taz: Die großen Klubs sagen, sie wären sonst in Europa nicht wettbewerbsfähig.

Göttlich: Die Rhetorik von Leipzig, Bayern oder Dortmund wird auf einmal ganz sanktpau­lianisch, wenn sie sich mit ManCity oder Paris Saint-Germain im Wettbewerb befinden. Sie fühlen sich ungleich behandelt, weil da Staatsfonds beteiligt sind. Ich sage dann immer: Leute, da habt ihr dieselben Punkte wie wir. Ihr müsst doch verstehen, dass es auf allen Ebenen eine fairere Verteilung geben muss, um den Wettbewerb zu stabilisieren.

taz: Und, verstehen sie es?

Göttlich: Natürlich will der FC Bayern immer Nummer eins sein und kämpft um die spitzeste Geldverteilung, die möglich ist. Und der FC St. Pauli kämpft darum, dass der entgrenzte Profifußball sich ein bisschen reguliert – Stichwort: Kadergrößen-Reduzierung, Gehaltsobergrenzen, keine Multi-Club-Ownerships oder wenigstens eine Limitierung.

taz: Was ist das Problem daran?

Göttlich: RB Leipzig hat zuletzt einen Klub in Japan gekauft. Sie haben schon Klubs in Brasilien, in Salzburg und in New York. Wenn sie jetzt zehn 16-Jährige kaufen und einer davon durchkommt, dann ist es egal, was mit den anderen neun passiert. Die Besten kommen bei Leipzig an, und die nächsten bei Red Bull New York. Und die anderen? Mal gucken. Wir müssen da eine Begrenzung reinkriegen. Wir sollten uns selbst regulieren, bevor das die Regierung tut wie derzeit in England.

taz: Das Bundeskartellamt hat die 50-plus-eins-Regel bestätigt, nach der die Stammvereine mindestens 50 Prozent plus eine Aktie an Fußball-Kapitalgesellschaften halten müssen. Kann man die noch durchsetzen?

Göttlich: In der Entscheidung des Bundeskartellamts steckt so ein Spin in Richtung DFL: Seht mal zu, dass ihr eure Ausnahmen erklärt – und dort, wo es schiefläuft, wie bei Hannover 96, auch mal sanktioniert …

taz: … weil Investor Martin Kind nach Gutdünken entscheidet, auch gegen die Vereinsgremien.

Göttlich: Auf die Gefahr hin, dass Martin Kind ein Gericht anruft – ich würde mir wünschen, dass wir es in der DFL darauf ankommen lassen. Wenn wir verlieren, dann ist das so – wie im Sport.

taz: Mit Ihrer Genossenschaft treten Sie diesen Fehlentwicklungen jetzt entgegen. Muss man St.-Pauli-Fan sein, um einen Anteil zu zeichnen?

Göttlich: Jeder in Freiburg oder wo auch immer darf gerne einen Anteil kaufen, ein Stück Millerntor sein Eigen nennen. Ich würde mich über viele Leute freuen, die sagen: Das ist ein Schritt, der nicht nur für den Profifußball ein gesellschaftliches Zeichen setzt. Gewinne zu verallgemeinern, das ist unser Thema in einer Gesellschaft, in der ansonsten Kosten verallgemeinert werden und Gewinne privatisiert.

taz: Müssen Sie Gewinne ausschütten?

Göttlich: Wir wollen nicht nur die Hand aufhalten, sondern auch etwas zurückgeben. Ich glaube auch, dass unser Genossenschaftsmodell nicht das letzte sein wird, das wir im Fußball sehen. Auf Schalke gibt es ja auch schon eine Initiative. Es gibt einen großen Hunger nach Mitgliederpartizipation.

taz: Könnte der Fußball irgendwann wieder denen gehören, die ihn lieben?

Göttlich: Der Fußball gehört den Menschen. Weil es am Ende diese Menschen sind, die sagen: Ich möchte mir diesen Fußball gerne angucken, ich kaufe ein Trikot, ich kaufe mir vielleicht auch mal ein TV-Abo, denn ich möchte mich identifizieren. Und ich möchte 17-mal im Jahr in ein Stadion gehen, das mehr ist als eine Eventstätte. Es ist ein Zeichen, mitten in dieser Stadt dafür einzustehen, dass wir diese unsere Gesellschaft ein Stück weit verändern und verbessern wollen.

taz: Auch wenn Sie damit vielen auf den Keks gehen.

Göttlich: Klar stimmen uns nicht alle zu. Im Gegenteil, momentan ist das politische Klima schwierig. Wir werden an den wenigsten Orten mit offenen Armen empfangen. Auch deshalb war Freiburg, neben dem ersten Bundesliga-Sieg, eine schöne Auswärtsfahrt, weil die AfD schon selbst behauptet: In diesem Landstrich haben wir nichts zu suchen, das ist ein No-Go-Land für uns. Ich würde mir wünschen, es gäbe mehr Regionen wie Südbaden oder St. Pauli.

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1 Kommentar

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  • Da krieg ich fast nochmal Lust, dem Profi-Fußball ne Chance zu geben. Danke für den Versuch nach Hamburg!