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Potenzielle Freilassung ÖcalansNützlicher Staatsfeind Nummer 1

Kommentar von Wolf Wittenfeld

Erdogan stellt eine Freilassung des PKK-Führers Öcalan in Aussicht – doch das Angebot ist nicht seriös. Die Mehrheit der TürkInnen ist dagegen, der Präsident spielt nur.

Anhänger des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan im März in Istanbul Foto: Umit Bektas/reuters

D er türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat ein Problem: Bei den kommenden Wahlen 2028 muss er seine politische Laufbahn nach 25 Jahren an der Macht beenden, weil laut Verfassung keine dritte Amtszeit erlaubt ist.

Doch wie andere Autokraten auch, denkt Erdoğan statt an Rückzug eher darüber nach, wie die Verfassung zu ändern ist. Um es nicht zu platt zu machen, wirbt Erdoğan seit Längerem für eine ganz neue „zivile Verfassung“, weil die derzeit gültige noch auf die Zeit nach dem Militärputsch 1980 zurückgeht.

Diese neue Verfassung soll nicht nur die Begrenzung seiner Amtszeit abschaffen, sondern gleichzeitig die Türkei wieder in einen islamischen Staat verwandeln. Für eine neue Verfassung hat Erdoğan aber keine Mehrheit im Parlament und da kommt plötzlich der Staatsfeind Nummer Eins, der auf der Gefängnisinsel Imrali seit 25 Jahren inhaftierte historische Führer der PKK, Abdullah Öcalan, ins Spiel.

Erdogan spielt mit den Kurden

Öcalan, so das verwegene Spiel von Erdoğan und seinem de facto Koalitionspartner Devlet Bahçeli, dem Führer der rechtsradikalen MHP, soll die kurdische Partei DEM dazu bringen, eine neue Verfassung zu unterstützen. Dafür bieten sie Öcalan vielleicht seine Freiheit an, wenn er zuvor dem Terror abschwört und die PKK auflöst.

Öcalan hat schon einmal versucht, mit Erdoğan einen Deal zu machen, um seine Freiheit wiederzuerlangen, darauf setzt der Präsident jetzt wieder. Das Duo Erdoğan/Bahçeli ist seit Jahrzehnten in der Politik und mit allen Wassern gewaschen. Ihnen gegenüber steht ein vom Knast vermutlich völlig zermürbter Öcalan und eine neue, unerfahrene Führung der neugegründeten kurdischen DEM-Partei.

Erdoğan spielt mit den Kurden, sagen politische Beobachter in Istanbul, das Angebot ist nicht seriös. Erdoğan weiß, dass eine große Mehrheit der TürkInnen gegen eine Freilassung Öcalans ist, für eine innere Friedenspolitik gibt es keinerlei Vorbereitung. Eine islamische Verfassung und Erdoğan auf Lebenszeit sind ein hoher Preis für ein paar vage Versprechungen an die Kurden. Die DEM sollte sich nicht über den Tisch ziehen lassen.

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