Die Wahrheit: Zwei Herzen im Großtrappentakt
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (204): Die scheuen Großtrappen gibt es nur in der Ex-DDR, nicht im existierenden Wessi-Land.
Es gibt 27 Trappenarten auf der Welt. In Deutschland kümmert man sich vor allem um Großtrappen, die wie so viele Tierarten nur noch in der DDR überlebt hatten. Nach der Wiedervereinigung waren sie aber plötzlich auch dort gefährdet, weil „Bonn“ unter anderem eine neue Bahntrasse von Berlin nach Hamburg durch ein Großtrappengebiet plante. Nach Protesten wurde ein halbwegs trappenfreundlicher Kompromiss gefunden.
Zwar gibt es auch heute noch keine Großtrappen in Westdeutschland (sie werden schon wissen, warum), aber auf dem Territorium der DDR leben laut „Förderverein Großtrappenschutz e. V.“ nun 302 Großtrappen, davon im Havelländischen Luch 124, in den Belziger Landschaftswiesen 46 und im Fiener Bruch 119 Individuen. Im Zerbster Land, wo in den vergangenen zwei Jahren Jungvögel im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojekts ausgewildert wurden, leben 13 Großtrappen.
Großtrappen sind die allerschwersten flugfähigen Vögel, die es hierzulande gibt. Bis zu 17 Kilo können die mächtigen Hähne auf die Waage bringen. Wenn sie zu viel Luzerne, dito Schneckenklee, oder Insekten gefressen haben, kommen sie nicht mehr hoch. „Aufgrund ihrer Tarnfarbe und des Gewichts, das nötig ist, um die Flucht ergreifen zu können, fallen viele Trappen mit ihren Eiern Mähdreschern und Traktoren zum Opfer,“ heißt es in Gabi Martínez Bericht „Wahrer Wandel. Eine Rückkehr zum Ursprung im Hirtenland“ (2024).
Der Reiseschriftsteller Martínez arbeitete als Schafhirte im Biosphärenreservat La Siberia der spanischen Extremadura, wo er eine Großtrappe beobachtete: „Ihr stets gerader Hals verleiht ihrem schwankenden Gang etwas Würdevolles, und wenn sie ihren Schwanz wie einen Fächer ausbreitet, sieht sie so vornehm aus wie ein etwas fülliger Aristokrat. Sie ist so kokett, dass sie Gift frisst, um sich attraktiver zu machen, vor allem das Männchen, das, wenn es ein Weibchen erobern will, giftige Insekten verspeist, die es als Einlauf benutzt, um sich zu reinigen und eine schlankere Figur zu erreichen.“
Martínez behauptet, dass die Großtrappe auch sehr widerstandsfähig gegen giftige Chemikalien geworden sei, was daher komme, dass sie die Steppen der Extremadura durchstreife, die ständig besprüht werden. Bewusst nehme das Männchen jedoch die natürlichen Gifte zu sich, vor allem in der Paarungszeit fresse es jede Menge Ölkäfer und schwarze Käfer mit roten Bändern, die reich an Cantharidin sind, ein giftiges Monoterpen, „das schon Menschen getötet hat.“
Der Großtrappe aber „dient es dazu, sich von Parasiten, Nematoden und Bakterien zu befreien. Und dann, wenn er schön sauber ist, kommt der Augenblick, dem Weibchen, das er verführen will, seine Kloake zu zeigen.“
Das kennt man von den Reichen, die in ihren Villen auch gerne ihre schicken Toiletten vorführen. Der Großtrappe „breitet das prächtige Schwanzgefieder aus, das Weibchen späht in die Öffnung ihres möglichen Liebhabers, inspiziert sie, prüft dabei das makellose Weiß der Federn, die frei von ansteckenden Erregern sind, und antwortet, wenn alles hübsch glänzt, so etwas wie ‚Los geht’s‘.“
Dies waren nebenbei bemerkt auch die Worte von Juri Gagarin, als seine Rakete ihn ins All schoss. Das war noch in der Sowjetunion, wo es ebenfalls Großtrappen gab. Der in Baku aufgewachsene „Geopoet“ Alexander Ilitschewski, der in Moskau Mathematik und theoretische Physik studierte, besuchte nach einigen Auslandsaufenthalten seinen in Aserbaidschan gebliebenen Schulkameraden, genannt „Der Perser“. Und so hieß dann auch sein 2016 veröffentlichtes Buch über ihr Wiedersehen im Nationalpark Shirvan an der aserbaidschanischen Küste des Kaspischen Meeres, wo „Der Perser“ als Brigadier einer Gruppe von Wildhütern arbeitete. Sie sollten unter anderem die dort lebenden Großtrappen schützen.
Schwäne gegen Lebensmittel
Der Leiter des Parks war ein Deutscher, der in Baku lebte und sich nur selten bei ihnen blicken ließ. Ebenso selten bekamen die Ranger ein Gehalt. Sie waren deswegen fast Selbstversorger und fingen zum Beispiel Falken, die sie für viel Geld auf dem Falkenmarkt im pakistanischen Quetta verkauften. Oder sie tauschten in Baku Schwäne gegen Lebensmittel.
Wegen der immer fanatischeren Hinwendung der müßigen Saudis zur Falkenjagd wurden die Großtrappen auf der arabischen Halbinsel und in Marokko ausgerottet. Die Saudis erkauften sich schließlich bei der aserbaidschanischen Regierung das Recht, mit ihren Falken im Schutzgebiet Shirvan zu jagen. Sie wollten mit 100 Falken kommen. Das mache dann für die Dauer ihres Jagdausflugs 2.000 Trappen, rechnete „Der Perser“ seinen Wildhütern vor. Heimlich brachten sie daraufhin so viele Zuchttrappen wie sie fangen konnten auf eine unbewohnte iranische Insel im Kaspischen Meer.
Die saudischen Falken erwischten darob nicht mehr viele Trappen im Nationalpark. Ihre Scheichs beschwerten sich bei der aserbaidschanischen Regierung. Diese veranlasste den Umweltminister, den Nationalpark Shirvan zu schließen, was dem deutschen Leiter recht war, er konnte nun endlich wieder zurück nach Deutschland. Aber die Wildhüter hatten fortan keine Arbeit mehr und zerstreuten sich. Was ihr Brigadier, „Der Perser“, daraufhin machte, habe ich vergessen oder Ilitschewski hat es nicht erwähnt. Jedenfalls sind die sowjetischen oder postsowjetischen Großtrappen Aserbaidschans nun im Iran.
Dafür haben die DDR- oder Post-DDR-Trappen, vor allem die im Fiener Bruch Lebenden, nun eine Perserin. Sie heißt Anna Marinko, kommt aus Schweden und lebt im Fiener Großtrappenschutzgebiet. Seit zehn Jahren zieht sie von April bis Oktober die Jungvögel im Gehege der dortigen Vogelschutzwarte auf und im Herbst wildert sie sie aus. Darüber berichtet sie in einem Blog.
Ein Vogel der Mythen
Ihre Trappenleidenschaft begann schon vor 22 Jahren: „Es passierte in meiner Kindheit, als ich ungefähr 13 Jahre alt war. Ich war in einem Camp, wo wir auch Trappen gesehen haben. Ich wollte mehr wissen über diesen Vogel. Damals gab es bei uns noch kein Internet und ich bin von einer Bibliothek zur anderen gegangen, ohne richtigen Erfolg. In Ungarn waren Trappen immer weit weg. So unnahbar, unerreichbar, scheu … ein Vogel der Mythen … die Könige der Felder. Ich habe nicht gleich gemerkt, dass ich in den Trappen verliebt bin.“
Aber dann schrieb Marinko ihre Bachelor- sowie Masterarbeit über die Großtrappen. Mittlerweile schlagen in ihr „zwei Herzen. Auf der linken Seite – wie gewohnt – ist das Herz und auf der rechten Seite gibt es ein Herz für die Großtrappen“.
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