Plattform mitgeldundverstand.de: „FDP-Inhalte“ getarnt als Bildung
Finanzminister Lindner und Bildungsministerin Stark-Watzinger bringen ihre „Initiative Finanzielle Bildung“ voran. Sie ernten sehr gemischte Reaktionen.
![Aktivisten mit Schultüten und Flagge von Attac stehen vor einem Banner mit der Aufschirft: Vorsicht: Finanzfänger ! Bremst euch Marktradikale Aktivisten mit Schultüten und Flagge von Attac stehen vor einem Banner mit der Aufschirft: Vorsicht: Finanzfänger ! Bremst euch Marktradikale](https://taz.de/picture/7300326/14/36780204-1.jpeg)
Und so sind Finanzminister Christian Lindner und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger schon ziemlich weit mit ihren erklärten Zielen zur Stärkung der Finanzbildung: Die Plattform „mitgeldundverstand.de“, die künftig umfassend Bildungsangebote bündeln soll, gibt es schon seit Monaten. Ein erstes großes Forschungsprojekt zum Thema hat das Bildungsministerium (BMBF) im Sommer in Auftrag gegeben. Und das Finanzministerium (BMF) hat soeben einen Gesetzentwurf vorgelegt, um „dauerhafte Strukturen“ für eine nationale Finanzbildungsstrategie zu schaffen. Unter anderem soll eine neue Stiftung entstehen.
Wie viel Resonanz Lindner und Stark-Watzinger damit in der Branche auslösen, zeigt das „Festival der Finanzbildung“, das am Dienstag in Berlin stattfand. Mehr als 200 Organisationen, Vereine, Unternehmen und Verbände, aber auch Forschende oder andere Expert:innen haben nach Angaben der Veranstalter Beiträge eingereicht. Unter den 120 Redner:innen sind Banker:innen, Unternehmer:innen, „Finfluencer:innen“ (financial influencer:innen) und Verbraucherschützer:innen.
„Dass so viele unserer Einladung gefolgt sind […] zeigt uns: Sie sehen auch die Bedeutung des Themas“, freute sich Lindner zur Begrüßung. Stark-Watzinger lobte die „ganz tolle Bandbreite“ an Festivalbeiträgen, von „Stereotypen im Rahmen der Finanzen“ bis hin zu „ganz konkret: fünf Punkte, wie lege ich an?“. Mit Finanzbildung könne man nicht früh genug beginnen, so die Bundesbildungsministerin.
Jugendliche wollen mehr Alltagsbezug
Rückenwind erhalten die beiden FDP-Politiker:innen von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). In einem im Mai veröffentlichten Bericht schlägt sie unter anderem vor, die Finanzbildung bei jungen Menschen zu stärken. So wünsche sich eine Mehrheit der 14- bis 24-Jährigen, in der Schule mehr über Finanzanlagen oder Altersvorsorge zu lernen.
Diese Leerstelle bestätigt auch die Bundesschülerkonferenz. „Wir fordern schon lange mehr alltagsbezogenen Unterricht“, sagt Generalsekretär Fabian Schön der taz. Etwa, auf was man bei Handyverträgen achten müsse. Die Initiative von BMF und BMBF begrüße der Gymnasiast deshalb.
Doch es gibt auch Kritik an dem Vorstoß. Holger Oppenhäuser ist eigens nach Berlin gereist, um beim „Festival“ kritische Flugblätter zu verteilen. Oppenhäuser ist bei der Nichtregierungsorganisation Attac für Bildungsmaterialien zuständig. „Mit diesem vermeintlichen Bildungsprojekt werden FDP-Inhalte wie Schuldenbremse oder Aktienrente beworben“, so Oppenhäuser. Dass die Steuerzahler:innen in diesem Jahr dafür rund zehn Millionen Euro bezahlen, nennt er einen „Skandal“.
Am Freitag hat Attac zusammen mit der Otto-Brenner-Stiftung eine Studie zur Initiative Finanzielle Bildung veröffentlicht. Das Fazit: BMF und BMBF wollen damit die Bevölkerung zum Investieren an den Finanzmärkten bewegen. „Ein ausgewogenes Bildungskonzept fehlt komplett“, sagt der Berliner Erziehungswissenschaftler und Studienautor Thomas Höhne der taz. So sei der Fokus einseitig auf die finanzielle Bildung gelegt, dabei umfasse die ökonomische Bildung beispielsweise auch sozialwissenschaftliche Konzepte. Dieser Aspekt komme jedoch so gut wie gar nicht vor.
KMK-Präsidentin skeptisch
Es ist jedoch fraglich, ob Lindner und Stark-Watzinger mit ihrem Anliegen überhaupt an den Schulen landen. Die Bundesländer begegnen der Initiative mit einer gewissen Skepsis. Entsprechend zurückhaltend äußerte sich die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) gegenüber der taz. Kooperationen mit Banken oder Versicherungen würden dabei helfen, Finanzwissen praxisnah zu vermitteln, so Streichert-Clivot. Allerdings müssten diese Kooperationen „transparent und im Sinne der Bildungsziele“ gestaltet werden.
In ihrem Ministerium würden daher die Vorbehalte an der Initiative geteilt. Vor allem die Ausrichtung der geplanten Stiftung werde kritisch gesehen, da diese die Beteiligung am Kapitalmarkt fördern wolle, um damit Wirtschaftswachstum zu generieren. „Finanzbildung sollte jedoch den Finanzmarkt differenziert und kritisch beurteilen und dabei vielmehr die Eigenverantwortung und den verantwortungsvollen Umgang mit Geld auch im gesamtgesellschaftlichen und globalen Kontext in den Mittelpunkt stellen“.
Am Montag hatte bereits die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor einer verengten Finanzbildung gewarnt. Wer junge Menschen als künftige Käufer:innen auf Finanzmärkten in den Fokus stelle, so GEW-Vorsitzende Maike Finnern, betreibe „ideologische Schmalspurbildung“.
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