piwik no script img

Berliner Vollkommen Gelassen

Der BVG-Streik bringt die Stadt nicht aus der Ruhe. Wer kann, steigt um auf Taxi und Fahrrad oder setzt sich ins Café, bis die U-Bahn wieder rollt

von LUC CAREGARI, NICOLE WELGEN und CHRISTO FÖRSTER

Der Eingang zum U-Bahnhof Gneisenaustraße ist mit einer Gittertür verschlossen, daran flattert ein Ver.di-Plakat. Vor der Dönerbude sitzt ein Obdachloser: „Die fahren heute nicht!“, freut er sich. Es ist sieben Uhr morgens. Ein paar verschlafene Radfahrer steuern stumm Richtung Mitte. Von den üblichen U-Bahn-Fahrgästen keine Spur. Auch von Streikenden ist weit und breit nichts zu sehen.

Letztere trifft man am Hermannplatz. Vier Mitarbeiter der BVG stehen unschlüssig am verschlossenen U-Bahn-Eingang in der Hasenheide. Plakate haben sie nicht dabei. Nur an ihrer Uniform sind sie zu erkennen. Den Kontakt zu ihren Kunden meiden sie heute. Wenn Passanten in den verschlossenen Schacht gaffen, schauen die BVGler beklommen zu Boden.

Ein Pariser Pärchen macht eine interkulturelle Erfahrung: „Die Deutschen können auch streiken!“ Nachdem sie im Mini-Wörterbuch die Begriffe „Warn“ und „Streik“ nachgesucht haben, brechen sie in heiteres Gelächter aus. In Paris streiken die öffentlichen Verkehrsmittel in der Regel alle drei bis vier Monate.

Am Bahnhof Friedrichstraße herrscht schon zu dieser Zeit hingegen reger Betrieb. „Zu?“, fragt eine ältere Dame auf der Treppe zur U-Bahn. „Ja, ja“, antwortet ein Passant. „Ach, das ist ja …“, seufzt die Dame. „Bis 10 Uhr“, erklärt der Passant. „Ich weiß“, sagt die Dame und trippelt von dannen.

Oben auf den Treppen zu den S-Bahn-Steigen drängeln sich die Menschen. Anders als U-Bahnen, Busse und Trams fahren die Züge der Bahn-Tochter regulär. „Mein Mann ist doch glatt mit dem Auto zur Arbeit gefahren“, erzählt einen Frau. „Wie will er denn da vorwärts kommen, an einem Tag wie heute?“, fragt sie ihre Kollegin.

Viele andere wissen es auch nicht. Zwei Mitarbeiter der Deutschen Bahn können ein Lied davon singen. Rund 300 Auskünfte pro Stunde erteilen sie, mehr als doppelt so viele als an anderen Tagen. „Eigentlich hätte sich jemand von der BVG hierhin stellen sollen. Jetzt müssen wir die Suppe auslöffeln, die sie uns eingebrockt haben“, klagen sie.

Auch einige Fahrgäste sind der Meinung, dass die BVG auf ihre Kosten streike. „Den Ärger, wenn wir zu spät zur Arbeit kommen, kriegen schließlich wir“, schimpft eine Frau, die auf einen Anschluss Richtung Tegel wartet. Die Mutter einer 14-jährigen Tochter ist eher verzweifelt als wütend: Sie hat gerade von ihrem Chef erfahren, dass sie die Zeit, die sie zu spät komme, abends nacharbeiten müsse.

Die meisten jedoch reagieren vollkommen gelassen, auch wenn sie an Streiks nicht so gewöhnt sind wie eine Gruppe italienischer Touristen. Als sie erfahren, dass die BVGler streiken, um auf 8 Prozent Lohn verzichten und im Gegenzug ihre Arbeitsplätze behalten zu dürfen, schmunzeln sie. Die Deutschen seien bescheidener als die Italiener, sagt einer. „Bei uns geht man nur auf die Straße, wenn man mehr Geld will.“

In Berlin hingegen bleibt man offenbar zu Hause, wenn die U-Bahn nicht fährt. Selbst am Bahnhof Zoo ist gegen 8 Uhr nicht mehr und nicht weniger los als an anderen Tagen auch. Sehr zum Leidwesen der Taxifahrer. Fahrgäste, die vom Streik überrascht werden, scheinen eher auf die S-Bahn umzusteigen, als sich ein Taxi zu leisten. „Die Leute haben kein Geld“, brummt ein Fahrer.

Auch das junge österreichische Pärchen denkt ökonomisch. Gerade sin die beiden aus dem Zug gestiegen und wollen jetzt einen Freund in der Bernauer Straße besuchen. Was denn eine Taxifahrt dorthin kosten würde, fragen sie den Mann hinterm Steuer. 15 Euro sind ihnen zu viel. Dann setzen sich die beiden lieber bis 10 Uhr in ein Café. „Das kommt uns günstiger“, sagen sie.

In der östlichen City ist es genau umgekehrt. Hier darbt das Gastrogewerbe. Yacob Cakir reinigt den Elektrogrill seiner Imbissbude. Seit über einer Stunde hat er geöffnet, aber heute ist kein guter Tag für ihn. „Eine Cola habe ich erst verkauft“, sagt Cakir und blickt über den menschenleeren Platz. „Mal sehen, ob es später besser wird.“

Dafür brummt das Taxigeschäft. Ein Geschäftsmann im karierten Sakko wartet gelassen am Straßenrand. An normalen Tagen könnte er hier mit dem nächstbesten Wagen direkt losbrausen, aber heute herrscht am Taxistand gähnenden Leere. Kaum biegt einer der weißen Mercedesse in die kleine Stichstraße an der Kaufhof-Baustelle ein, da winken schon die ersten Hände gen Fahrer. Günther Ruchholz freut das. Er kutschiert schon seit sieben Uhr verhinderte BVG-Kunden durch die Stadt. „Heute ist ein guter Tag“, sagt er.

Im Bahnhof unterm Fernsehturm fahren wenigstens die S-Bahnen. Auf Gleis 3 hängt an der Außenwand des Glaspavillons der Gleisaufsicht ein Poster mit den Verbindungen. Fahrgastbetreuer Uwe Seeger erklärt ratlosen Pendlern, wie sie per S-Bahn doch noch halbwegs zeitig zur Arbeit kommen. „Natürlich habe ich etwas mehr zu tun“, sagt Seeger, „aber auch wir haben heute weniger Fahrgäste. An so einem Tag hat doch keiner Lust, mit der Bahn zu fahren.“

Kathrin Schwiering ist gerade angekommen am Gleis 3. Vom BVG-Streik hat sie erst durch einen Punk am Ostbahnhof erfahren. Die junge Frau gibt sich dennoch optimistisch: „Vielleicht fährt meine U-Bahn ja doch.“ Tut sie nicht. „Dann laufe ich bis zum Rosenthaler Platz. Ist ja schönes Wetter“, sagt die Polylux-Praktikantin und zuckelt los.

Erst um halb zehn, eine halbe Stunde vor dem Ende des Warnstreiks, macht sich dieser auch in Kreuzberg bemerkbar. In einem Café am Marheinekeplatz dudelt „Streik bei der BVG!“ aus dem Radio – auf die Melodie von „Born in the USA“ von Bruce Springsteen. Und draußen auf den Straßen stehen mittlerweile Autos und Taxis Stoßstange an Stoßstange – von Tempelhof her über den Mehringdamm, Richtung Mitte. Immerhin versperren keine Busse die Sicht auf die nächste Ampel.

Weiter oben an der Friedrichstraße wälzen sich hunderte Fußgänger vom S-Bahnhof über die Bürgersteige Richtung Süden. Man hat es nicht wirklich eilig. Die meisten Geschäfte öffnen hier erst um 10 Uhr. Eine Mittvierzigerin zuckelt unsicher auf ihrem glänzenden Miniklapprad am Autostau vorbei zum Büro. „Sonst nutze ich das nur im Urlaub auf Sylt“, ruft sie fröhlich, rückt ihre Handtasche zurecht und radelt entspannt weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen