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Busfahrer Völlig Genervt

Beim BVG-Streik kämpfen die blau gewandeten Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze. Die rot Uniformierten schauen zu und hoffen auf mehr Geld

VON ULRICH SCHULTE

Hier regiert die BVG, die alte BVG, und mit ihr das alte Westberlin. Über dem Omnibus-Betriebshof Britz, Gradestraße 10, wehen gelbe Fahnen, drei Doppeldecker-Busse sind wie Panzer dicht an das geschlossene Werkstor gefahren, davor beißt ein Busfahrer in dunkelblauer Joppe in seine Schinkenstulle. Arbeitskampf macht hungrig, schließlich geht es um sieben Stunden Stehen, von drei bis zehn Uhr morgens.

Knapp 100 Kollegen, nur wenige Frauen sind darunter, stehen an diesem sonnigen Morgen vor dem Tor, halten Ver.di-Fahnen in die Luft, hinter die Frontscheiben der Busse haben sie rot-schwarze Ver.di-Plakate geklebt. „Heute: Warnstreik!“, steht darauf. Mehr nicht. Es ist eine kleine, eigene Welt hier auf dem Gehweg zwischen den Busfahrern, Personalräten und KFZ-Mechanikern des Traditionsbetriebs. Eine Welt, in der es nach Filterkaffee aus Plastikbechern duftet, in der die Empörung groß, der Finanzsenator ein „durchgeknallter Hirni“ und die Wortwahl plakativ, knapp und wütend ist.

Mit den Streikenden ins Gespräch zu kommen, ist nicht leicht. Sie sind misstrauisch, weil die Medien oft nicht ihrer Meinung sind, die B.Z. hat sich gestern über den Ohrring des Ver.di-Streikführers Frank Bäsler lustig gemacht. Viele grinsen verlegen, wenn man sie anspricht, drehen sich weg und zeigen auf den Personalrat, der ein D’Artagnon-Bärtchen und einen großen Ver.di-Plastiksack trägt und schon vor 10 Minuten deutlich gesagt hat, dass er „wirklich überhaupt nichts“ sagt.

Die BVGler verstehen nicht, warum so viele gegen sie sind. Der Senat, der Vorstand, die unzufriedenen Fahrgäste. Sind sie nicht zum Verzicht bereit? 8 Prozent weniger Lohn durch Arbeitszeitverkürzung, kein Urlaubsgeld mehr, bis 2007 keine Lohnerhöhungen, ist das nichts? Natürlich finden sich dann doch welche, die ruhig, sachlich und mit guten Argumenten erklären, warum sie hier stehen. Michael Müller zum Beispiel, der als KFZ-Elektriker in den Buswerkstätten arbeitet. „Einschnitte müssen gemacht werden. Aber das heißt nicht, dass der Kapitän das Schiff vor die Kaimauer fahren lassen darf. Wir fürchten um unsere Arbeitsplätze, und Sarrazin hat sich in seiner Sturheit verrannt.“

Während Müller, mit 22 Jahren einer der Jüngsten hier, redet, mischt sich von links ein alter Mann mit kurzem grauem Haar und tropfenförmiger Brille ein. „Es ist doch pervers, dass unsere Leute hier stehen für weniger Geld. Das glaubste doch nicht!“ Dieter Saschewag, 71, weiß, wie es früher war bei der BVG. 45 Jahre hat er für die Firma gearbeitet. Die Solidarität mit den ehemaligen Kollegen hat ihn hergeführt, ihn und seine Frau, auch eine ehemalige BVGlerin. „Heute wird doch alles von Fremdfirmen gemacht, zum Beispiel die Reinigung der Busse. Die BVG hat seit langem das Know-how entwickelt, inzwischen muss es nur noch billig sein.“ Er redet sich in Rage, tippt dem Jüngeren an die Schulter: „Oder glaubst du, dein Vermieter sagt, gut, dann zahl halt 50 Euro weniger, wenn du weniger verdienst? Glaubst du das?“ „Nee“, sagt Michael Müller leise, „natürlich nicht.“

Als ein orangefarbener Pritschenwagen der Berliner Stadtreinigung vorbeifährt, hupt der Fahrer und winkt herüber, man ist solidarisch, so von Landesbetrieb zu Landesbetrieb. Zwischen den Wartenden sind die Reihen sowieso fest geschlossen, im Wortsinn, aber auch gedanklich. „100 Prozent.“ Nur die zwei Worte sagt Thomas Sendel, 47, auf die Frage, ob alle BVGler hinter dem Streik stünden, zur Not gar den unbefristeten Ausstand gut heißen würden. Dabei schaut der Mann mit ergrauter Igelfrisur und Schnäuz fest, fast starr durch seine Sonnenbrille. Sendel ist Personalrat der Buswerkstätten, er weiß um die Entschlossenheit der Basis. „Wir machen Sarrazin ein Angebot, und der lässt uns ins Leere laufen. Eine Hand wäscht die andere, das Prinzip ist hier nicht mehr gegeben.“

Sendel erzählt von den Verschlechterungen, die seine Kollegen in den vergangenen Jahren hinnehmen mussten. Die Besetzungen der Schichten sind ausgedünnt, statt sechs Schlossern sind es oft nur noch zwei, drei. Die Leute müssen öfter am Wochenende ran, die Dienstpläne sind kaum noch zu füllen. „Wenn Freitag der Anruf kommt, ‚Du musst Sonntag kommen‘, freut das natürlich keinen Kumpel.“ Die Busse werden inzwischen „auf Verschleiß“ gefahren, sagt Sendel, das heißt, die Werkstatt wechselt die Bremse erst, wenn sie kaputt ist, nicht vorausschauend. Lange Rede, kurzer Sinn: „100 Prozent.“

Aller Geschlossenheitsmetaphorik zum Trotz offenbaren sich auch vor dem Britzer Werkstor die Sollbruchstellen im BVG-Universum. Sie sind ein paar Meter weiter rechts sichtbar. 30, 40 Busfahrer stehen hier, die anders als ihre Kollegen in Dunkelblau weinrote Jacken tragen. „Die Roten da drüben“, wie einer abfällig sagt, kutschieren für die Berlin Transport GmbH. Die betriebswirtschaftlich getrimmte BVG-Tochter zahlt ihnen ein Drittel weniger Lohn als echte BVGler bekommen. Sie hätten durch den strittigen Nahverkehrs-Tarifvertrag sogar zwei Euro mehr pro Stunde, meint einer. Es ist schon absurd. Die Blauen streiken für weniger Geld, die Roten, für die die Gewerkschaft gar nicht zuständig ist, streiken ungewollt mit und würden profitieren.

Gegen halb elf am Vormittag hat sich die kleine BVG-Welt am Betriebshof aufgelöst, die wirkliche ist an der nächsten Bushaltestelle, Gradestraße/Britzer Damm zu besichtigen. Ein Dutzend Leute wartet auf den Bus M 44. „Janüscht. Ick sach aba ma janüscht“, meint ein Rentner, auf den Streik angesprochen. Dann redet er fünf Minuten am Stück. Gegen ordentliche Anliegen habe er nichts, nein, aber ständig warte er auf den Bus, Frechheit, allen ginge es schlechter, ihm auch, nur die, die könnten streiken, er könne das nicht, trotz weniger Rente. Eine Frau sagt ruhig: „Die haben wenigstens noch einen guten Job. Ich verstehe nicht ganz, warum sie überhaupt streiken.“ In Neukölln sind die Forderungen der BVGler eben schwer vermittelbar.

Die Busfahrer stehen längst vor dem Büro der Einsatzleitung um Busschlüssel an, ein Straßenkehrer kümmert sich um die Zigarettenkippen auf dem Gehweg. Im Stehcafé an der Ecke ist die Glasvitrine bis auf ein paar Obstteilchen leer geräumt. Es war ein guter Tag, „ordentlich Umsatz“, sagt die Besitzerin. Sie hat vom Streik profitiert. Ob es die BVGler tun, ist ungewiss.

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