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BDE-Präsidentin über Baustoffrecycling„Ich sehe ein Rohstofflager“

Für Anja Siegesmund ist ein Haus nicht nur ein Haus. Die Präsidentin des Wirtschaftsverbandes BDE über die Bedingungen einer Kreislaufwirtschaft.

„Wenn wir Häuser abreißen, müssen wir dabei die Rohstoffe so weit wie möglich trennen“, sagt BDE-Präsidentin Anja Siegesmund Foto: SKATA/imago

taz: Frau Siegesmund, die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) des Umweltministeriums hängt – wie so vieles andere auch – im Finanzministerium fest. Wäre es sehr tragisch für Ihre Branche, wenn sie in dieser Legislatur nicht käme?

Anja Siegesmund: Ja, es wäre eine verpasste Chance. Es ist aber fest davon auszugehen, dass die NKWS schnell kommt, und sie kommt zur richtigen Zeit. Wir müssen neue Technologien und Investitionen entfesseln, um wirtschaftlich stark zu bleiben. Einerseits stehen wir vor den Herausforderungen begrenzter Ressourcen und unterbrochener Rohstofflieferketten. Andererseits verfügen wir in unserem starken Wirtschaftsstandort Deutschland über die Fähigkeit, solche Krisen zu meistern. Das diskutieren wir derzeit viel zu zurückhaltend. Wir brauchen eine intensiv geführte Debatte zu der Frage, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesrepublik stärken und zugleich die Themen Ressourcenverbrauch und Rohstoffsicherung von unserer Produktionsweise entkoppeln.

Marc Vorwerk/BDE
Anja Siegesmund

ist Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft. Von 2014 bis 2023 war die Grünen-Politikerin Umwelt­ministerin in Thüringen.

taz: Das ist zurzeit nicht mehrheitsfähig. Die Bauindustrie etwa läuft Sturm gegen die NKWS und sagt, damit würde die Wohnungswirtschaft weiter ausgebremst und Wohnungsbau verhindert. Sprechen Sie eigentlich miteinander?

Anja Siegesmund: Natürlich sprechen wir miteinander, aber es gibt eben auch unterschiedliche Interessen. Ich halte nichts von sich-selbst-erfüllenden Prophezeiungen zur Frage, was alles nicht geht. Wir sind klug beraten, angesichts der Klimakrise und der globalen politischen Entwicklungen stärker in Kreisläufen zu denken und zu bauen. Schauen Sie mal hier aus dem Fenster …

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taz:da steht ein Haus …

Anja Siegesmund: … das kann man so sehen. Ich sehe ein Rohstofflager. Wenn wir Häuser wieder abreißen, müssen wir dabei die Rohstoffe so weit wie möglich trennen. Beim Neubau sollte so viel Recyclingmaterial eingesetzt werden wie möglich. Mineralische Baustoffe lassen sich schon effizient trennen und recyceln, aber die Märkte für diese Produkte funktionieren noch nicht. Das gilt es zu ändern. Die öffentliche Hand vergibt in der Bundesrepublik Bauaufträge von rund 500 Milliarden Euro pro Jahr. Im Tiefbau, im Hochbau, im Hochwasserschutz, in der Sanierung von Gebäuden. Wenn wir es schaffen, in den Ausschreibungen dem Einsatz von Recycling-Rohstoffen Vorfahrt einzuräumen, dann wäre das ein riesiger Hebel für die Kreislaufwirtschaft im Bau. Mineralik ist übrigens der größte Stoffstrom, den wir haben.

taz: Der Widerstand gegen Recyclingbaustoffe kommt auch aus den Naturschutzbehörden. Wie lösen wir Zielkonflikte zwischen Gewässer- und Bodenschutz und Kreislaufwirtschaft auf?

Anja Siegesmund: Durch gute Technik und kluge Vorgaben. Das haben wir doch längst gelöst. Viel wichtiger als diese Frage ist doch, ob die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie auch ausfinanziert wird. Dass im Bundeshaushalt Mittel für grüne öffentliche Beschaffung bereitstehen, dass jene, die kluge Technologien entwickeln, finanziell auch unterstützt werden können. Wird das Thema im Bundeshaushalt überhaupt nicht untersetzt, wäre das halbherzig.

taz: Die Unternehmen, die die Transformation zur Kreislaufwirtschaft stemmen sollen, kommen traditionell aus der Abfallwirtschaft. Sind sie nicht eher Teil des Problems als der Lösung? Sie leben doch vom Abfall …

Anja Siegesmund: Unsere Branche umfasst knapp 800 Mitgliedsunternehmen, vom Start-up, das für bestimmte Stoffströme Digitalisierungslösungen entwickelt, großen Unternehmen, die aus Abfall Wasserstoff produzieren möchten, Konsumgüterherstellern, die schon jetzt an der Kreislaufführung ihrer Verpackungen arbeiten, bis hin zu großen klassischen Entsorgern. Unsere Branche ist einerseits sehr traditionsreich, kennt und lebt aber andererseits den Wandel.

taz: Wenn ich wissen will, was die beiden großen Entsorgungsunternehmen Remondis oder Alba denken, dann rufe ich beim BDE an.

Anja Siegesmund: Können Sie machen, Sie können aber auch anrufen, wenn Sie etwas über den Mittelstand oder Start-ups wissen wollen. Es geht längst nicht mehr nur darum, mehr Abfälle einzusammeln, sondern aus Abfall den Rohstoff der Zukunft zu machen. Zum Beispiel in der Textilindustrie, da liegt viel Potenzial, auch in der Automobilindustrie. Auf der Weltleitmesse für Umwelttechnologien in München, der IFAT, hatte das Thema „Circularity for E-Mobility“ in diesem Jahr eine Sonderfläche. Wir brauchen solche Bündnisse, in denen Entsorger, Recycler und Hersteller im Sinne des Ökodesigns zusammenarbeiten. Das Potenzial für einen umfassenden Rezyklateinsatz in Fahrzeugen ist sehr groß – nicht zuletzt bei den Metallen. Es geht jetzt darum, was wir technisch schon können, auch umzusetzen, Märkte zu öffnen, das auf die Straße zu bringen. Dazu brauchen wir die ordnungspolitische Flankierung. Wir wollen kluge Umweltgesetze, weil sie das Ökosystem für Innovation im Bereich Kreislaufwirtschaft überhaupt erst ermöglichen. Kluge Regulatorik rockt.

taz: Das klingt sehr nach der grünen Umweltministerin, die Sie bis 2023 in Thüringen waren. Wie begegnet man Ihnen in Ihrem Verband, haben Sie es schwerer als gedacht?

Anja Siegesmund: Ich bin einstimmig gewählt worden, Parteipolitik spielt hier keine Rolle. Das Thema ist so groß, da gibt es Verbündete und Partner auf allen Seiten. Das gilt auch für die gesamte politische Landschaft in Berlin. Bewegen lassen sich Dinge am besten gemeinsam.

taz: Sie sagen, wir brauchen kluge Regulatorik und nicht weiter geduldige Papiere. Ist die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie nicht genau das, ein weiteres geduldiges Papier?

Anja Siegesmund: Der Weg zum Hochlauf der Kreislaufwirtschaft ist ein Marathon. Er beginnt mit dem ersten Schritt. Die Strategie benennt Hebel, die direkt im Anschluss in Gesetze, Verordnungen, Förderrichtlinien gegossen werden müssen. Und das in direkter Verzahnung mit europäischem Recht.

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