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Fußballtrainer auf VersorgungspostenDie Beamten starten durch

Rangnick, Nagelsmann, bald Tuchel: Große Namen betreuen die Nationalteams. Ist das ein Zeichen von Attraktivität oder Bequemlichkeit?

Vom Verein zum Verband: Thomas Tuchel (l.) und Julian Nagelsmann teilen das Schicksal Foto: Robert Michael/Jan Woitas/dpa

E ine Welle der Verbeamtung erfasst den Fußballlehrbetrieb. Noch vor ein paar Jahren schickten sich deutsche Trainer in seltener Vorreiterrolle an, die Leit­linien im europäischen Klubfußball mitzubestimmen, nun aber, offenbar verschlissen oder sonst wie derangiert, streben sie auf die geruhsameren Posten. Jürgen Klopp hat sich quasi als aktiver Privatier auf den Bürostuhl eines Fußballassessors zurückgezogen und wurde dafür von seinen Fans in den Redaktionsstuben in bitterer Enttäuschung gescholten.

Ralf Rangnick tut als österreichischer Nationaltrainer so, als könne er mit der Truppe K.-u.-k.-Format erreichen und hat sogar ein Angebot des FC Bayern abgelehnt. Thomas Tuchel wird nun ab Januar Geschicke und Gekicke der englischen Nationalmannschaft anleiten. Julian Nagelsmann lässt sich vom Deutschen Fußball-Bund in ähnlicher Weise sein Bundestrainertum vergüten – mit etwa 6 Millionen Euro im Jahr.

Man muss die Herren verstehen. Eben noch wirbelten sie im hektischen Betrieb bei Manchester United, dem FC Chelsea, beim „Deutschen Rekordmeister“ (dpa) oder FC Liverpool. Jetzt ist zur Erholung erst mal Verwaltung angesagt. Der Terminplan ist überschaubar. Ein paar Lustreisen sind jederzeit drin. Das Spesenkonto ist gut gefüllt. Arbeitsintensiv wird es nur bei offenen „Eventfenstern“, also alle zwei Jahre im Sommer mal.

Ansonsten kann viel Geschäftigkeit simuliert werden, was keiner besser konnte als der Jogi, dem man aber jederzeit ansah, dass er zwei Espressi brauchte, um dem Ennui zu entfliehen. Nun mögen manche behaupten, all das hier Dargelegte stimme nicht und der plötzliche Magnetismus von Nationalmannschaften auf Großtrainer sei vielmehr Ursache von Attraktion und Modernität.

Naseweise Belehrungen

Wer weiß, jedenfalls haben sich die Arbeitsweisen der Klubs und der Nationalteams angenähert. In den vergangenen zwei Dekaden hat dieser Prozess stattgefunden. Man erinnere sich nur an die Disruptionsoffensive eines Jürgen Klinsmann und dessen naseweisen Belehrungen, die sämtliche Bun­des­liga­klubs über sich ergehen lassen mussten. Kurz einmal hatte sich das Verhältnis beider Sphären umgekehrt, doch dann wurden wieder jene Teams zu Innovationstreibern, die sich täglich im Wettbewerb beweisen müssen.

Noch wie vor gilt: Wer als junger Fußballmensch Ambitionen hat, geht erst mal nicht zum DFB oder FA, dem englischen Verband. Der schaut, wie es sich an der Basis anfühlt, wo um Fans und die Geldtöpfe in den Wettbewerben gekämpft wird, unerbittlich und ellbogenhart. Dann, wenn sich der junge Prätendent die Hörner abgestoßen hat und seine Schäfchen im Trockenen, dann kann er auch mal philanthropisch werden oder sich in die Verwaltung begeben, also quasi in den öffentlichen Dienst wechseln.

Ein Posten in der Nationalmannschaft dient durchaus der Rehabilitation und dem Luftholen. Wie lang diese Phase geht, das bestimmt der von verzückten Verwaltungsbeamten angeheuerte Großtrainer, der nun umworben wird von ihnen wie Julian Nagelsmann von Rudi Völler. Der Großtrainer signalisiert hier und da sein Wohlwollen und gibt vor, aktuell das mit Abstand interessanteste Projekt seiner Karriere zu verfolgen, dabei bleibt der Nationalmannschaftsfußball ein seltsames Relikt: Das Nationale feiert wie in keinem anderen Lebensbereich fröhliche Urständ – und der mediokre Fußball sowieso.

Nirgendwo wird ein so schlechter Fußball feilgeboten wie bei Weltmeisterschaften, Nations-League-Spielen und oft auch Europameisterschaften. Der Klubfußball ist um Längen besser. Das wissen die neuen Fußballbeamten natürlich – und dass ihre Innovationen angesichts dieser Schwäche todsicher greifen. Das ist doch toll: Sie können sogar glänzen in ihrer neuen Rolle als Nati-­Normis.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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1 Kommentar

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  • Hier wird ja nicht mal über Fußball gesprochen, sondern über die Arbeitssituation von Multimillionären. Mit dem Schlußabsatz wird dann deutlich wie unterkomplex hier schwadroniert wird. Aber hey, Männerthema geht immer und die Fans schaun eh nicht genau hin