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„Alles bleibt anders“

Wie Christian Wück, der Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft, sein erstes Länderspiel gewinnen will und welche Lehren er in der Vorbereitung schon gezogen hat

„Altersspezialist“ sattelt um: Christian Wück (M.), umrahmt von DFB-Chef Neuendorf (r.) und DFB-Sportdirektor Rettig, war, wie man sieht, mit der U17 der Männer sehr erfolgreich Foto: Fo­to: Eibner/imago

Aus Frankfurt am Main Frank Hellmann

Das Warten hat ein Ende. Mehr als sieben Monate sind inzwischen vergangen, seit Christian Wück zum neuen Bundestrainer ernannt wurde. Der lange Vorlauf bis zum ersten Länderspiel unter seiner Regie war nützlich. „Es war eine unheimlich lange Zeit, aber es war auch ein Glücksfall für mich, weil ich genug Zeit hatte, um in die Thematik Frauenfußball zu kommen“, sagt der zuvor mehr als ein Jahrzehnt im männlichen Nachwuchsbereich arbeitende Coach. Wück hat sich mit Akribie an die Arbeit gemacht: Spielerinnen sichten, sich im In- und Ausland einen Überblick verschaffen und Gespräche führen.

Dass nach der Interimslösung Horst Hrubesch erneut ein Mann die DFB-Frauen trainiert, weil der Markt zu wenig qualifizierte Trainerinnen hergibt – dafür kann der ehemalige Bundesliga-Stürmer nichts. „Es ist doch komplett egal, ob eine Frau oder ein Mann im Männer- oder im Frauenfußball arbeitet. Wichtig ist, welche Qualität die Arbeit hat und wie es bei der Mannschaft ankommt“, sagt der 51-Jährige.

Er habe sich lange Zeit als „Altersspe­zia­list“ bezeichnet, „weil ich mich einfach in der Altersklasse U15 bis U17 super auskenne; weil ich weiß, wie ich mit den Spielern umzugehen habe“. Nach dem Gewinn des EM- und WM-Titels mit den U17-Junioren war die Zeit für einen Perspektivwechsel gekommen. „Jetzt möchte ich Frauenspezialist werden. Wenn das funktioniert, glaube ich, dass wir die Ziele erreichen, die wir uns vorstellen.“ In Sachen Menschenführung orientiert sich Wück gern an seinem Vorgänger Hrubesch: „Wie Horst mit der Mannschaft umgegangen ist, war außergewöhnlich.“ Einerseits wolle er einiges erhalten, anderseits auch vieles verändern – daher gelte für seine Arbeit auch das Motto: „Alles bleibt anders.“

Am Sonntag versammelt Wück zunächst das Funktionsteam in Frankfurt, am Montag treffen dann die Spielerinnen ein, um sich auf die Testspiele gegen England in Wem­bley (Freitag, 20.30 Uhr, ARD) und dann drei Tage später gegen Australien in Duisburg (18.10 Uhr, live, ZDF) vorzubereiten.

Nach dem Gewinn von Bronze bei den Olympischen Spielen muss Wück einen Neuaufbau gestalten: In Duisburg wird Alexandra Popp ihr Abschiedsspiel bestreiten. Mit dem 145. Länderspiel der 33 Jahre alten Fußballerin endet eine Ära. Zuvor hatten bereits Torhüterin Merle Frohms (29) und Abwehrchefin Marina Hegering (34) ihren Rücktritt eingereicht. Damit fehlt die gesamte Achse vom VfL Wolfsburg, die bei der EM 2022 das Gerüst bis zum Finaleinzug gebildet hatte.

Der Bundestrainer ist selbst gespannt, wer sich jetzt für die Führungsrolle bewirbt. Bis Lena Oberdorf als Chefin im Mittelfeld wieder fit ist, wird es Monate dauern. „Ich will schauen, wie die Strukturen innerhalb der Mannschaft sind“, sagte Wück, in dessen Aufgebot Giovanna Hoffmann von RB Leipzig die größte Überraschung ist. Die Mittelstürmerin erfülle das Profil auf dieser Position „zu 100 Prozent“.

Dass es beim Einstand gleich zur Wiederauflage des verlorenen EM-Finals 2022 kommt, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Würde er in Wembley gewinnen, scherzte Wück bei seiner Vorstellung, müsste er eigentlich sofort aufhören. Um auf heiligem Rasen zu reüssieren, will er sich an jenen Leitlinien orientieren, die Hansi Flick einst als Sportdirektor entwarf: fünf für die Offensive, fünf für die Defensive. „Unabhängig vom System: Wenn man sich danach richtet, sehen wir ein gutes Spiel“, behauptet er.

„Jetzt möchte ich Frauenspezialist werden“

Christian Wück, bisher ein Kenner des Jugendfußballs, wechselt das Genre

Das Ziel für das nächste Turnier wird defensiv formuliert. Der Bundestrainer hält nichts davon, laut nach dem neunten EM-Titel zu rufen, obwohl das Sport-Geschäftsführer Andreas Rettig gern gehabt hätte. „Ich möchte da in kleinen Schritten gehen.“ Ungeachtet des dritten Platzes bei den Sommerspielen mahnte auch Sportdirektorin Nia Künzer: „Wir wissen auch, dass es weitere Entwicklungsschritte braucht, um uns dauerhaft auf Topniveau zu etablieren.“

Bundesligaspitzenreiter Eintracht Frankfurt ist bereits in der Champions-League-Qualifikation gestrauchelt, dabei stellen die Hessen mit acht Spielerinnen das größte Kontinent fürs Nationalteam. Seine Rolle als wichtigster Zulieferer hat der Pokalsieger VfL Wolfsburg eingebüßt, der in der Königsklasse nach der Heimniederlage gegen Olympique Lyon (0:2) noch ohne Punkt ist. Es könnte eine Menge Arbeit auf Christian Wück warten.

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