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Spurensuche in der UkraineIn der Steppe der Erinnerung

Familie, Italien und die Ukraine im Krieg: Nina Kunzendorf liest „Kalte Füße“ der italienischen Bestseller-Autorin Francesca Melandri.

Francesca Melandri, Schriftstellerin, auf der Frankfurter Buchmesse am 16.10.2024 Foto: Hannelore Förster/imago

Francesca Melandri ist eine Schriftstellerin, die ihr Land hartnäckig nach seiner Vergangenheit befragt. In bisher drei Romanen – zur Südtirolproblematik („Eva schläft“), zu den Jahren des Terrorismus („Über Meereshöhen“) und zum italienischen Kolonialismus („Alle, außer mir) – hat sie diese Introspektionen aber nie zur pompös-sterilen Geschichtsstunde genutzt, sondern immer auf die Zumutungen der Gegenwart gezielt.

Zumutungen: Denn wozu brauchen wir Intellektuelle, wenn sie nicht den Mut haben, sich zu den großen Fragen der Zeit zu positionieren, analysierend, erzählend, zweifelnd?

Der russische Überfall auf die Ukraine war Anlass, die eigene Familiengeschichte – die immer ein Wust von Anekdoten und Mythen ist – zu lichten. Melandris Vater Franco kämpfte als Soldat der italienischen Armee in eben jenen Gegenden, die heute wieder in den Nachrichten auftauchen als Schauplätze des ukrainischen Abwehrkampfs.

„Kalte Füße“

18 Folgen, in der ARD-Mediathek.

Wie hängt das zusammen? Damals, der Vater, Faschist und Offizier, Teil des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion; und heute, die russischen Gräuel gegen die souveräne ukrainische Nation, die – daran erinnert Melandri immer wieder – eben auch ihren eigenen, sehr großen Anteil an der Niederlage des Faschismus hat.

Gewiefte Erzählerin

„Kalte Füße“ hat sie diese auf Deutsch gerade bei Wagenbach erschienene Spurensuche genannt; und so, als Suche, ist sie, eingelesen von Nina Kunzendorf, als Produktion von NDR und BR zu hören.

Zum Vorbeiplätschernlassen eignet sich die Produktion nicht. Melandri ist eine gewiefte Erzählerin – sie hat lange als Drehbuchautorin gearbeitet –, aber „Kalte Füße“ ist eine Recherche in der erbarmungslosen Eissteppe der Erinnerung ebenso wie in den grausamen Youtube-Videos der Gegenwart.

Meldandri schält Erkenntnis heraus und fordert ihr Publikum dabei auch heraus. Nina Kunzendorf bringt das brechtisch im Gestus, liest mal fast kühl prüfend, mal den Text mit ihrem Timbre zum Glühen bringend.

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3 Kommentare

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  • >amals, der Vater, Faschist und Offizier, Teil des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion; und heute, die russischen Gräuel gegen die souveräne ukrainische Nation, die – daran erinnert Melandri immer wieder – eben auch ihren eigenen, sehr großen Anteil an der Niederlage des Faschismus hat.

    Bandera? Nie gehört. In welchem Land wurden die deutschen Truppen so oft mit Ehrenpforten in den Dörfern empfangen wie dort?

    • @Martin August:

      Holodomor? Nie gehört?



      Man sich bei der Bevölkerung schon mächtig geliebt gemacht dass man diese die Nazis mit offenen Armen empfängt.



      Aber Moskaus hat es geschafft.

      BTW, es gehört zur modernen Geschichtsfälschung dass die Russen die Ukrainer die gegen die Nazis gekämpft haben zu Sowjets und Russen umtituliert und Ukrainer im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg ausschließlich als "Banderisten" existieren. Ansonsten wird die ukrainische Identität einfach verleugnet.

      • @Waagschale:

        Wieviele Soldaten aus dem Westen der Urkaine, dem eigentlichen Kernland der Ukraine, haben der für die Sowjets gekämpft? Und wie viele für die andere Seite?



        Und war bzw der Faschist Bandera wirklich nur ein Nationalheld, weil er gegen Stalin war oder kann es sein, dass viele Ukrainer die faschistische Ideologie anziehend fanden?



        Letztendlich hätte ja auch ein nicht-faschister Freiheitskämpfer Zulauf haben können.