Autorin über Debütroman: „Liebe und Schmerz nicht verbinden“

Gewaltvolle Liebesverhältnisse und die Grenzen der Leidenschaft: Ruth-Maria Thomas' Roman „Die schönste Version“.

eine Frau hält ein Pappschild, auf dem steht "man(N) tötet nicht aus Liebe"

So kann im schlimmsten Fall enden, was als gewaltvolle Beziehung begonnen hat Foto: Christophe Gateau/dpa

taz: Frau Thomas, worum geht es in „Die schönste Version“?

Ruth-Maria Thomas: Es geht um Jella und Yannick. Eine vermeintlich große Liebe, die alles richtig machen will, bis sie an ihre Grenzen gerät: Was ist noch intensiv, was schon gefährlich? Und was tun, wenn Grenzen überschritten werden? Es geht um häusliche Gewalt, um die Fallstricke weiblicher Sozialisation und um das Aufwachsen als Mädchen in einer Zeit vor MeToo, um die späten Nullerjahre und die Lausitz.

taz: Was hat Sie zu Ihrem Debütroman inspiriert?

Thomas: Die Geschichten aus den Nullerjahren vor MeToo erstrecken sich noch bis ins Heute. Über vieles wurde damals nicht gesprochen. Ich wollte versuchen, meinen Beitrag zu leisten, dass Leerstellen mit Geschichte und Sprache gefüllt werden. Es ist kein Portrait der Millennials, aber eine Geschichte aus dieser Zeit, die versucht, viel davon einzufangen.

taz: Warum greifen Sie auch zur radikalen Darstellung sexualisierter Gewalt?

Thomas: Es ist einfach radikal, was Jella passiert. Wenn es um häusliche und sexualisierte Gewalt geht und um das Überleben, weiß ich gar nicht, wie ein Buch aussehen würde, das nicht radikal ist. Ich finde es gefährlich, wenn das ausgespart wird. Wenn wir über Konsens und Grenzen reden, finde ich wichtig, das aufzuzeigen. Gerade wenn es um Sex geht, wird oft viel ausgespart. Ich wollte meiner Protagonistin unbedingt zugestehen, dass sie denken darf, was sie eben denkt in diesen Situationen, dass das ehrlich ist und ich ihr da nichts verbiete. Für sie ist das wichtig, dass sie sich das alles genau anguckt.

Jahrgang 1993 und in Cottbus aufgewachsen. Schriftstellerin und Mitgründerin des erotischen Literaturmagazins „Hot Topic“. Mit ihrem Debütroman „Die schönste Version“ war sie nominiert für den deutschen Buchpreis und den aspekte-Literaturpreis 2024.

taz: Was haben Sie beim Schreiben über Ihre eigene Sozialisation gelernt?

Thomas: Einen Blick für die leisen Zwischentöne. Bei häuslicher Gewalt ist es oft so, dass Täter und Opfer klar benannt werden. Für Jella ist das aber nicht so klar. Sie fühlt sich auch als Täterin, weil sie im Buch die Erste ist, die körperlich übergriffig wurde. Aber diese verbale und vor allem patriarchale stille Gewalt, die hat ja schon viel früher angefangen. Diese patriarchalen Ansprüche, das Mitdenken von ihrem Partner, diese Einengung und die ständige Kontrolle. Das war schon gewaltvoll, wurde aber nicht als Gewalt erkannt, weil es quasi normal war in so heterosexuellen Beziehungskontexten.

taz: Wie können wir die Grenze zur Gewalt in Beziehungen besser erkennen?

Thomas: Es hilft, sich erst mal von toxischen Liebesbildern zu verabschieden, von Sätzen wie: „Wahre Liebe muss wehtun.“ Wenn wir Liebe und Schmerz und damit auch Gewalt zusammen denken, dann ist die Gefahr groß, dass man die Gewalt nicht realisiert. Liebe und Schmerz und Leid, das gehört nicht zusammen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

taz: Hat sich die Wahrnehmung von sexualisierter Gewalt nicht verändert?

Thomas: Es gibt heute ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein für sexuelle Gewalt. Es gibt auch eine differenziertere Sprache und das schafft auch eine differenziertere Welt. Begriffe wie „red flag“ oder „struktureller Sexismus“, die hatte Jella in ihrem Kosmos nicht. Sie helfen, Gefühle zu beschreiben und für sich selbst zu bewerten. Darüber zu sprechen ist mehr im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Dennoch gibt es mehr Femizide und mehr Fälle häuslicher Gewalt: Im vergangenen Jahr ist jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem Ehe-, Ex- oder Lebenspartner umgebracht worden.

Lesung

„Die schönste Version“: Mo, 14. 10., 19.30 Uhr, Schleswig-Holstein-Haus Schwerin; Di, 15. 10., 19 Uhr, Der Buchladen - Reingelesen, Blutstr. 33, Parchim

taz: Was möchten Sie den Le­se­r*in­nen mitgeben?

Thomas: Was ich mir wünschen würde, wäre, dass das Buch dazu beiträgt, nicht mehr automatisch zu fragen: Warum hat die Protagonistin das mit sich machen lassen? Warum ist sie denn nicht gegangen? Und dass es zum Reflektieren über sich selbst anregt. Dass man sich traut, hinzuschauen und darüber zu sprechen. Dass wir dagegenhalten, wenn wir das bei anderen sehen. Ich würde mir auch sehr wünschen, dass Männer dieses Buch lesen und mit ihren Kumpels darüber sprechen, Verantwortung übernehmen und sich anschauen. Was kann es mit Frauen machen, in diesen Strukturen groß zu werden und zu leben.

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