Übergriffig gegen Lieferando-Rider: Schwach, schwächer, am schwächsten

Lieferando-Fah­re­r*in­nen werden ausgebeutet. Doch die Übergriffe gegen sie kommen von Kun­d*in­nen und Restaurantangestellten.

Lieferando Fahrer fährt durch den Regen

Lieferando Fahrer Foto: Jochen Tack/imago

Männer empfangen sie nackt an der Tür oder lassen ihr Handtuch im letzten Moment fallen. Sie werden unangemessen nach Dates gefragt und verbal sexuell belästigt – sei es auf der Straße, im Restaurant oder in Privatwohnungen. Davon berichten Berliner Lie­fe­rando-Kurier*innen.

Die sexuelle Belästigung bei Ridern ist kein hauptstadtspezifisches Pro­blem. Von Bremen über Karlsruhe bis nach Köln berichten Ku­rie­r*in­nen der taz von Vorfällen. „Ich habe noch nie eine Frau bei Lieferando getroffen, die nicht belästigt wurde“, erzählt Anne Gardiner (Name von der Redaktion geändert), eine Kurierin aus Bremen, die sich bei der Interessenvertretung Lieferando Workers Collective engagiert. Die Verantwortung sieht sie bei Lieferando: „Wenn die Firma die Rechte der Mit­ar­bei­te­r*in­nen nicht schützt, dann tun andere es auch nicht.“

Der orangefarbene Lieferdienst steht seit Langem wegen niedriger Löhne, Verletzung von Ar­bei­te­r*in­nen­rech­ten, Gewerkschaftsfeindlichkeit und einer „Hire & Fire“-Unternehmensführung in der Kritik. Die meist migrantischen Ku­rie­r*in­nen sind dem schutzlos ausgeliefert. „Die meisten von uns sprechen kein Deutsch und wissen nicht was ihre Rechte sind“, berichtet Anne. „Außerdem wollen sie kein Stress riskieren, aus Sorge ihr Visum zu verlieren.“ Lieferando profitiere von dieser Tatsache.

Die Ausbeutung der wehrlosen Kuriere ist integraler Bestandteil des Geschäftsmodells. Der systematisch Machtmissbrauch durchzieht das gesamte Unternehmen, das wie eine undurchsichtige Black Box agiert. In den meisten Städten, den sogenannten Remote-Städten“ gibt es keine An­sprech­part­ne­r*in­nen, sondern nur eine Mail-Adresse, an die sich die Ku­rie­r*in­nen wenden können. In den sogenannten Hub-Städten wie Berlin und Hamburg hingegen gibt es wenigstens in der Theo­rie Ansprechpartner*innen.

Perfides Katz- und Maus-Spiel

In der Praxis entpuppt sich diese „Unterstützung“ jedoch als ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, um Ku­rie­r*in­nen ihre Rechte vorzuenthalten. So ist etwa das Büro des Betriebsrats am Berliner Ostkreuz nicht einmal ausgeschildert, bis vor Kurzem gab es keinen Briefkasten. Daher ist der Betriebsrat für die Rider kaum zu finden.

Dabei ist es angesichts der auf Entrechtung basierenden Unternehmensstruktur essenziell, dass es mittlerweile vereinzelt Betriebsräte sowie eine Interessenvertretung gibt. Ihre Forderungen – Verifikationsmechanismen, um Kun­d*in­nen bei Fehlverhalten zu blockieren, die Möglichkeit, Fahrten bei Sicherheitsbedenken abzubrechen, sowie die Etablierung einer sensibleren Firmenkultur – sind richtig und wichtig.

Allerdings gehen die Übergriffe gegen Rider nicht von der Firma aus, sondern von Re­stau­rant­mit­ar­bei­te­r*in­nen, Kun­d*in­nen und Ver­kehrs­teil­neh­me­r*in­nen, die offenbar eine Genugtuung in der Erniedrigung wehrloser Menschen finden. Diese Übergriffe offenbaren die Abgründe einer Gesellschaft, die solche Praktiken nicht nur ungestraft duldet, sondern möglich macht.

Es steht außer Frage, dass Lieferando ein unmoralisches Unternehmen ist, das die Graubereiche im Arbeitsrecht ausreizt wie Cum-Ex-Banker das Steuerrecht. Aber ihr Machtmissbrauchssystem kann die Firma nur aufrechterhalten, weil es von außen gestützt wird.

Es braucht daher nicht nur schärfere Regelungen innerhalb des Unternehmens, um Ku­rie­r*in­nen besser zu schützen. Es bedarf einer Entpatriarchalisierung, eines gesellschaftlicher Wandels, sodass migrantische Menschen, die sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden, nicht zur Zielscheibe der Erniedrigung werden. Ein Mindestmaß an Menschlichkeit ist gefragt.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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