: Im freien Fall
MINISTERINNENSTURZ Niedersächsische SPD präsentiert neue Akten, die belegen sollen, dass die Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann GEW-Chef Brandt gezielt gemobbt hat
Das Disziplinarverfahren gegen den GEW-Vorsitzenden Eberhard Brand sei, schreibt der Focus, am 20. April 2009 eingeleitet worden.
■ Der Vorwurf: Brand sei seinen Unterrichtsverpflichtungen nicht nachgekommen.
■ Das Material: wörtliche Zitate aus einem internen Vermerk der Landesschulbehörde.
■ Die Reaktion: am selben Tag stellt Brandt Strafantrag gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen § 28 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes und § 203 Strafgesetzbuch (Verletzung von Privatgeheimnissen).
■ Das Disziplinarverfahren wird erst am 21. April nachgeschoben. Brandt erfährt am 22. April davon.
VON MICHAEL QUASTHOFF
Eine Ministerin will einen unliebsamen Kritiker mithilfe eines Disziplinarverfahrens mundttot machen. Der Regierungschef deckt dies, indem er Akten, die den Vorfall erhellen könnten, für „vertraulich“ erklärt und den Mitgliedern des Kultusausschusses unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen damit nicht nur die parlamentarische Kontrolle verweigert, sondern auch das Recht der Öffentlichkeit auf Information mit Füßen tritt.
So etwa lässt sich zusammenfassen, was der niedersächsische SPD-Vorsitzende Wolfgang Jüttner gestern mitzuteilen hatte. Wenn all das stimmt, bedeutet Jüttners Rede das Ende der Karriere der umstrittenen Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU). Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) dürfte es mindestens den Ruf als strahlender Saubermann kosten.
Es geht um einen Vorgang vom April. Damals warf Heister-Neumann dem Niedersachsen-Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eberhard Brandt, vor, er habe über der gewerkschaftlichen Arbeit seine Unterrichtspflichten vernachlässigt. Experten aus dem eigenen Haus hatten Heister-Neumann von dem Schritt abgeraten. Denn die Vorwürfe gegen Brandt – Studienrat an einer Gesamtschule und härtester Kritiker der niedersächsischen Schulpolitik – standen auf tönernen Füßen. Richtig unangenehm wurde die Geschichte, weil Brandt von den Beschuldigungen aus dem Focus erfuhr. Das Magazin berichtete peinlicherweise von einem Disziplinarverfahren, das aber zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch gar nicht anhängig war, sondern erst einen Tag später begann. Zudem präsentierte Focus einen internen Vermerk, den nur jemand aus der Landesschulbehörde oder dem Kultusministerium preisgegeben haben konnte.
Der GEW-Vorsitzende musste sich in den folgenden Wochen als „Schulschwänzer“ (Bild) durch die Medienlandschaft treiben lassen. Die seriösen Vertreter des Gewerbes suchten derweil fieberhaft nach einer E-Mail, die Heister-Neumann oder ihr damaliger Staatssekretär Peter Uhlig (CDU) an die Landesschulbehörde gesandt haben sollen. Deren Inhalt: Brandt muss etwas angehängt werden. Sie ist bis heute nicht aufgetaucht. Aber es verdichteten sich auch Gerüchte, dass der Schriftverkehr zwischen den Behörden Sätze ähnlicher Provenienz enthielt.
Im Mai verlangten die Oppositionsparteien im Kultusausschuss erstmals die Offenlegung und Überstellung der Akten, wurden aber von der Regierungskoalition überstimmt. Wulff ließ einen Teil versenden, imprägnierte sie jedoch mit dem Siegel „vertraulich“. Außerdem mussten die Abgeordneten eine „Verpflichtungserklärung“ unterschreiben, die ihnen bei Öffentlichmachung des Inhalts mit justiziablem Geheimnisverrat drohte. Bisher, argumentierten SPD, Linke und Grüne, habe die Landesregierung nur illegal Geheimnisse aus dem Leben des GEW-Chefs publik gemacht.
Man verlor die Sache aus den Augen, weil Heister-Neumann in der Folgezeit aufgrund ihrer Schulpolitik ohnehin vom Ministersessel zu kippen drohte, zum Leidwesen der Opposition aber nicht fiel. Nun soll die Affäre Brandt ihren „längst überfälligen Rücktritt“ (Jüttner) einleiten.
Das Problem dabei: Beweislastige Dokumente konnte die SPD auch gestern nicht auf den Tisch legen. Stattdessen präsentierte Jüttner eine Liste von Akten aus den Beständen des Kultusministeriums und der Landesschulbehörden, deren Studium „unseren schon länger geäußerten Verdacht schlüssig erhärtet hat“. Jüttner, einem vorsichtigen Mann, darf man das glauben. Wofür spricht, dass es dem Kultusministerium und der Staatskanzlei angesichts seiner Ausführungen die Sprache verschlug.
Wie lange die Regierung ihre Mauertaktik durchhält, wird sich zeigen. Zur Offenlegung der Akten kann sie von Jüttner nicht gezwungen werden. Das kann nur ein Urteil des Staatsgerichtshofes oder ein Untersuchungsausschuss.
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