Schönheitsideale: Falten und der Fluch der Eitelkeit
Manchmal sind Falten schön, oft aber lästig. Doch die Gegenmittel sind teuer. Über den Stress mit dem ewigen Streben nach Perfektion.
E s gibt Falten, die mag man: Lachfalten, Bunny Lines – und die Zornesfalte, weil die verschafft Respekt. Und es gibt Falten, die findet man nicht so toll wie Nasolabialfalten oder Stirnfalten; mir sind Marionettenfalten seit Kindertagen ein Graus. Vermutlich, weil sie mich an die Klavierlehrerin erinnern, die mich ein Mal pro Woche mit Tonleitern folterte.
Ärgerlicherweise entwickele ich nun eine ähnliche Furche zwischen Mundwinkel und Kieferpartie. Vor allem rechts, von wo ja alles Schlechte kommt: die plattere Seite meiner Frisur, zwei, drei Hexenhaare – und Nazis natürlich. Wenigstens bevölkern die nicht auch noch mein Gesicht.
Spätestens hier wird sich sicher jemand fragen, ob so etwas wirklich in einer seriösen, linken Tageszeitung stehen muss. Kann ich gut verstehen. Aber ich bin gekommen, um zu bleiben – na, welcher Millennial kennt diesen Song? Wer ihn zuerst errät, kriegt eine Retinol Creme von Paula’s Choice. Die fliegt noch bei mir rum.
Vor meinem ersten Falten-Monolog hatte ich übrigens fast so viel Respekt wie vor den Falten selbst. Denn entweder liest sich so etwas so heuchlerisch wie in der Glamour: LOVE YOURSELF, ABER GEH BOTOX SPRITZEN, DU HÄSSLICHE BITCH!
Oder eloquent, aber eher deprimierend wie bei Simone de Beauvoir, die Altersdiskriminierung en détail aufschlüsselt, aber auch keine innovativere Idee hat, als faltige Haut zu ertragen und sich wichtigeren Dingen zuzuwenden. Schon auch richtig.
Die Schriftstellerin Siri Hustvedt findet immerhin, dass Falten besser zu ihrem Intellekt passen und sie damit auch ernster im Beruf genommen wird. Nicht so ist das leider nach wie vor bei Schauspielerinnen, die müssen spätestens mit 40 ins Callcenter.
350 Euro in einer kleinen Tasche
Zum Glück ist die Bühne nicht meine Baustelle, und trotzdem will ich jung und frisch und begehrenswert bleiben. Allerdings hauptsächlich für mich selbst und die hotten ein Prozent, für die ein „Nein heißt Nein“ ebenso selbstverständlich ist wie für mich das Pfefferspray im Park.
Mal angenommen, es gäbe ihr perfides Pimmelsystem nicht, das uns seit Jahrtausenden den Verstand penetriert: Dann würde ich mir in der Parfümerie vermutlich jetzt auch keine aufwendige Pflegeroutine aufschwatzen lassen. Die einzelnen Schritte könnten die Falten zwar nicht ungeschehen machen, sagt die freundliche Verkäuferin – danke, ich bin kein Dummi, auch wenn ich keine D******-Karte besitze. Sie könnten aber gepflegte Falten aus ihnen machen. Und gepflegt – das will ich sein.
Also kaufe ich mir ein Tonikum, zwei Seren, eine Tages- sowie eine Nachtpflege, Sonnenschutz, Augencreme und Abschminkzeug von einer „ganz wunderbaren Dermatologin“ mit Adelstitel aus dem mittleren Preissegment. „Das macht dann 350 Euro“, sagt die Kassiererin. Ich muss schlucken.
Mit einer lächerlich kleinen Tüte schleiche ich die Friedrichstraße entlang und überschlage, was jetzt nicht mehr drin ist: auf Konzerte gehen, Essen kaufen und morgens vom Bett schnurstracks in die U-Bahn hüpfen.
Ich google die Dermatologin: „Diese Creme hat heftigen Ausschlag bei mir verursacht …“ Sofort umtauschen!, schreit Galaktika. Doch das geht laut Kassenbon nicht ohne Weiteres. Und jetzt? Ein bisschen Hand aufkratzen und Allergie vorspielen. Was tut man nicht alles für die Schönheit.
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