Hamburg bekommt Anna-Politkowskaja-Platz: Die Mutige

Die Investigativ-Journalistin und Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja wurde 2006 in Moskau ermordet. In Hamburg wird nun ein Platz nach ihr benannt.

Anna Politkowskaja

Recherchierte zum Tschetschenien-Krieg, zu Korruption und Umweltzerstörung: Anna Politkowskaja, hier im Jahr 2005 Foto: dpa/dpaweb | Wolfgang Langenstrassen

Rendsburg taz | Wladimir Putins Nachruf auf Anna Politkowskaja war knapp und höhnisch: „Äußerst unbedeutend“ sei die Journalistin gewesen, die am 7. Oktober 2006, übrigens Putins Geburtstag, im Fahrstuhl ihres Wohnhauses in Moskau erschossen wurde. Am Donnerstag wird in Hamburg der Platz vor dem Gebäude der Zeit-Stiftung Bucerius in der Feldbrunnenstraße nach der Investigativ-Reporterin und Kreml-Kritikerin benannt.

1999 begann Putins erste Amtszeit – und es begann der Zweite Tschetschenienkrieg, ausgelöst durch einen Anschlag auf Moskauer Wohnhäuser, der möglicherweise vom Kreml selbst befohlen worden war.

Anna Politkowskaja fing damals an, für die Novaja Gazeta zu arbeiten, eine der wenigen wirklich oppositionellen Zeitungen in Russland. Dort lernte ich sie im Jahr 2002 kennen, als ich an einem Austausch-Programm für junge Jour­na­lis­t:in­nen teilnahm.

Die Redaktion der Novaja Gazeta, 1993 gegründet vom späteren Friedensnobelpreisträger Dmitrij Muratov, arbeitete in einem Haus im Moskauer Zentrum, in Räumen mit knarzendem Holzparkett und überladenen Schreibtischen. Anna Politkowskaja hatte dort nicht nur Fans. Neid mochte eine Rolle gespielt haben: Weil ihre aus der Ukraine stammenden Eltern für die UdSSR bei den Vereinten Nationen arbeiteten, wurde sie in den USA geboren und besaß einen US-Pass. Das gab ihr Freiheiten, die andere Redaktionsmitglieder nicht hatten.

Ekaterina Glikman in der „Novaja Gazeta Europe“ über ihre Freundin Anna Politkowskaja

„Anna war intensiv lebendig. Und sie hatte Angst. Aber sie setzte ihre Arbeit fort“

Zeitweise lebte sie im Ausland, verlegte dort ihre Bücher, etwa die Analyse „In Putins Russland“. So wurde sie, zumindest jenseits von Russlands Grenzen, zum Gesicht der Novaja Gazeta. Dabei recherchierte nicht nur sie zum Tschetschenien-Krieg, zu Korruption und staatlich geduldeten Umweltzerstörungen. Vor ihr wurden drei andere Mitglieder der Redaktion ermordet.

Auch im Jahr 2002 kam Anna Politkowskaja aus dem Ausland zurück, um ihre Hilfe bei einer Geiselnahme anzubieten, die in jenem Sommer Moskau erschütterte: Tschetschenische At­ten­tä­te­r:in­nen hatten das Musical-Theater „Nord-Ost“ überfallen und hielten tagelang Hunderte Zu­schaue­r:in­nen gefangen. Doch Politkowskajas Vermittlung war nicht gewünscht: Die Polizei stürmte das Gebäude, ohne Rücksicht darauf, wie viele Geiseln starben. Dasselbe Vorgehen sollte sich im Jahr 2004 in der Kleinstadt Beslan wiederholen, wo 1.100 Schulkinder und Eltern in Geiselhaft geraten waren und blutig befreit wurden.

In den Anfangsjahren der Putin-Regentschaft gab es noch eine Reihe von Stimmen, die diesen brutalen Umgang mit der eigenen Bevölkerung kritisierten, darunter Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow und Wirtschaftsbosse wie Michail Chodorkowski. Chodorkowski wurde des Betrugs beschuldigt, er saß 2003 bis 2013 in Lagerhaft. Nemzow wurde 2015 auf offener Straße erschossen. Der letzte in dieser Reihe war Alexej Nawalny, der im Frühjahr 2024 in Haft starb.

Wie gefährlich die leben, die sich gegen das Regime stellen, wusste Anna Politkowskaja, schrieb ihre Redaktionskollegin und Freundin Ekaterina Glikman im Oktober 2023: „Anna war intensiv lebendig. Und sie hatte Angst. Aber sie setzte ihre Arbeit fort.“ Die Druckausgabe der Novaja Gazeta ist inzwischen in Russland eingestellt, ein Großteil der Redaktion um Dimitrij Muratov lebt im Ausland und berichtet als „Novaja Gazeta Europe“ weiter über den Krieg in der Ukraine, der in Russland immer noch nicht Krieg genannt werden darf.

Einer der Männer, die für Politkowskajas Ermordung verurteilt wurden – und die nie sagten, wer den Auftrag gegeben hatte – ist bereits wieder frei: Wladimir Putin begnadigte ihn im Jahr 2023. Umso wichtiger, dass es jenseits der russischen Grenzen Plätze gibt, die die Namen der Opfer wachhalten.

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