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Wenn der Teekessel pfeift

Sally Rooney beschreibt Menschen, die ganz auf ihre Hoffnungen, Beziehungen und Verletzungen konzentriert sind. In ihrem neuen Roman, „Intermezzo“, träumen die Figuren, ein paar Jahre älter geworden, vom beschaulichen Glück. Leben Millennials so?

Hat längst ihr eigenes Genre geschaffen und damit viel Erfolg: Sally Rooney Foto: Basso Cannarsa/Opale/laif

Von Simon Sahner

Es mag Zufall sein, aber seit „Normale Menschen“, dem zweiten Roman von Sally Rooney, erschienen alle neuen Romane der irischen Autorin in der Zeit zwischen Herbst und Sommer, wenn die Tage wieder kürzer und die Abende kühler werden und die Nachmittage noch manchmal ein wenig Restwärme mit sich bringen. Dann setzt man sich ins letzte warme Sonnenlicht des Jahres oder kuschelt sich beim ersten Herbstregen auf das Bett und beginnt zu lesen.

Ungefähr so muss sich Sally Rooney die Rezeption vorstellen. Es sind Romane, für die man etwas Ruhe braucht, weil sie offensichtlich zum Nachdenken anregen sollen, manchmal zu offensichtlich. Gleichzeitig sind es auch Romane, die einen treffen können wie ein kühler Herbstnachmittag: Man traut sich nicht ganz raus in das schwere Wetter und ist dann doch froh, sich dieser Stimmung ausgesetzt zu haben. Aber es sind auch Romane, bei denen man sich zeitweise wünscht, sie wären nicht ganz so melancholisch träge, nachdenklich und voller tiefer Gespräche. Manchmal würde man gern das gesamte Personal schütteln, damit es endlich aufhört, so viel nachzudenken und immer die perfekte Sentenz parat zu haben. Vor allem aber sind es Romane, die gefühlt immer wiederkommen – wie der Herbst.

Es ist auffällig, dass sich diese Aussagen über alle Romane der Bestsellerautorin treffen lassen. Natürlich haben die meisten Au­to­r*in­nen ihre Themen und ihren eigenen Stil, Sally Rooney aber hat sich mit ihren bisher vier Romanen, „Gespräche mit Freunden“, „Normale Menschen“, „Schöne Welt, wo bist du“ und dem neuen, „Intermezzo“, ihr eigenes Genre geschaffen. Genreliteratur zeichnet sich dadurch aus, dass sich bestimmte Motive und Erzählmuster stets wiederholen und die Le­se­r*in­nen dadurch wissen, was sie erwartet. In Rooneys Fall sind das die Schauplätze Dublin und/oder eine Kleinstadt auf dem irischen Land, zwei bis fünf Figuren, mehr oder weniger gleich aufgeteilt in Männer und Frauen, im Alter von Anfang zwanzig bis Mitte dreißig, meistens in einem akademisch-künstlerischen Milieu, die zueinander in Beziehung stehen, wobei es um ein oder zwei romantische Verhältnisse geht. Sie reden sehr viel miteinander, diskutieren ihre Beziehungen und ihr Leben, haben stets sehr guten Sex und behindern und helfen sich gegenseitig bei der Suche nach dem einfachen Glück. Am Ende ist nicht alles gut, aber das ist in Ordnung, weil Rooneys Romane immer mit der Hoffnung in Sichtweite enden – ein verzögertes Happy End.

Das alles gilt auch für den neuen Roman, „Intermezzo“, der von Zoë Beck stilsicher ins Deutsche übertragen wurde. Er beginnt kurz nach der Beerdigung des Vaters der beiden zentralen Figuren: Peter, ein junger Anwalt Anfang 30, und Ivan, zehn Jahre jünger als Peter und ein Schachgenie mit neurodiversen Zügen. Peter befindet sich in einer romantischen Dreieckkonstellation mit der 22-jährigen Naomi, die als Studentin in prekären Umständen lebt, und Sylvia, Dozentin für englische Literatur Anfang 30. Sie war (und ist) Peters große Liebe, aber nach einem schweren Unfall, seitdem sie unter chronischen Schmerzen leidet und sexuell eingeschränkt ist, hat sie Peter offiziell verlassen. Ivan wiederum lernt zu Beginn der Romanhandlung die fast 15 Jahre ältere Margaret kennen, die auf dem Land lebt, ihren alkoholkranken Mann verlassen hat und ein Kulturzentrum leitet. Nach wenigen Seiten sind damit die Figuren aufgestellt und das Spiel beginnt. Nicht zufällig ist einer der Protagonisten ein begnadeter Schachspieler und der Titel „Intermezzo“ beschreibt – unter anderem – eine Schachstrategie, bei der ein Spieler einen unerwarteten Zug macht.

Was sich in der Folge entfaltet, ist dementsprechend ein dramatisches Beziehungsgeflecht mit Wendungen – oder Zügen –, die ungewöhnlich, aber erwartbar sind. Ausgelotet werden dabei große Fragen zwischenmenschlicher Verhältnisse: Was passiert mit einer Familie, wenn die Eltern alt werden, können Brüder zwischen Zuneigung und Konkurrenz ein gutes Verhältnis haben, wie groß darf der Altersunterschied in einer Beziehung sein, kann man eine Liebe ohne Sex leben, und wie geht eine Beziehung zu dritt?

Auch wenn sich das Alter der Figuren von 22 bis 36 erstreckt und die beiden zentralen Protagonisten Peter und Ivan an unterschiedlichen Enden dieses Spektrums stehen, kann man sagen, dass Rooneys Figuren mit ihrer Autorin älter geworden sind. Das liegt auch daran, dass Ivan trotz seiner 22 Jahre sehr reif ist und eine tiefgehende Beziehung mit einer wesentlichen älteren Frau eingeht. Auch sein Verhalten und seine Wünsche entsprechen eher denen eines bürgerlichen Mannes Mitte 30. In den wenigen Szenen, in denen Ivan und Naomi allein miteinander reden, hat man deswegen auch kaum den Eindruck, dass hier zwei Gleichaltrige miteinander sprechen. Naomi selbst bleibt als Figur eher blass.

Sally Rooney: „Intermezzo“. Aus dem ­Englischen von Zoë Beck. Ullstein, Berlin 2024. 496 Seiten, 24 Euro

Auch mit „Intermezzo“ ist Rooney, selbst inzwischen 33 Jahre alt, den Erwartungen ihrer Le­se­r*in­nen­schaft treu geblieben, die seit dem ersten Roman vor sieben Jahren auch älter geworden ist und sich von den Romanen stets ein Spiegelbild ihrer eigenen Lebensrealität erhofft, das aber etwas dramatischer ist und dabei sehr gut aussieht. Das Älterwerden der Figuren offenbart sich vor allem in den Träumen, Hoffnungen und Kämpfen der Protagonist*innen. „Intermezzo“ist vielleicht Rooneys existenziell drängendster Roman.

Konnte man die Herausforderungen, denen sich ihre Figuren bisher stellen mussten, noch unter Identitätssuche von adoleszenten Erwachsenen verbuchen – ohne die Dramatik dieser Lebensphase abzuschwächen –, hat das Personal in „Intermezzo“ bereits Phasen durchlebt, die es traumatisiert zurückgelassen hat. Vor allem Peter, Sylvia und Margaret, die drei Älteren in „Intermezzo“, haben ihre Träume am Ende ihrer Lebensrealität angepasst. Ihr bisheriges Leben hat ihnen tiefe Verletzungen zugefügt und sie erhoffen sich ihre Zukunft in einer ruhigen, beinahe biedermeierlichen Zufriedenheit, in der morgens der Teekessel pfeift, der Garten durch die Jahreszeiten geht und die Wochenenden aus langen Spaziergängen und ruhigen Abenden bestehen.

Die Figuren diskutieren ihre Beziehungen und haben dabei sehr guten Sex

Damit ist auch „Intermezzo“ wie bei Sally Rooney stets der Fall – ein gegenwarts- und weltarmer Roman geworden, in dem sich Menschen stets um sich und ihren engen Bekanntenkreis drehen und sich dank einiger Privilegien vor allem um sich selbst kümmern können. Margaret wohnt in einem Cottage auf dem Land, Peter und Sylvia haben ausreichend große Wohnungen in Dublin, und Ivan lebt bald im vom Vater geerbten Haus. Naomi wird zwar aus ihrer Wohnung geworfen, kommt aber bei Peter und später im Haus der Familie unter. Irgendjemand hat immer zufällig Geld übrig, ein Haus auf dem Land herumstehen oder noch ein Zimmer frei. Rooney braucht diese Gegebenheiten, damit sich ihre Figuren ganz auf ihre Beziehungen und Hoffnungen konzentrieren können. Viele Le­se­r*in­nen dürften sich wünschen, ihre Sorgen auch auf dem irischen Land aussitzen zu können.

Das alles macht „Intermezzo“ nicht zu einem schlechten Roman, aber inzwischen hat man den Eindruck, dass Rooney ihr Muster gefunden hat und es mit kleinen Abweichungen immer wieder neu durchspielt, und man fragt sich, ob da noch einmal etwas Neues kommt. Doch dazu müsste Rooney der Sprung in die Lebenswelt von den Menschen gelingen, die nicht noch immer darauf warten, dass ihr Leben beginnt, obwohl es schon längst über sie hereingebrochen ist. Rooney wurde stets als die Autorin der Millennials bezeichnet, doch viele derjenigen, die dieser Generationskohorte zugerechnet werden, leben inzwischen ein ganz anderes Leben: haben Familie mit Kindern, haben feste Jobs oder haben ihre Träume aufgegeben oder leben sie. Sie steuern auf die Mitte des Lebens zu, während Rooneys Figuren zwar älter geworden sind und andere Sorgen haben, aber letztlich weiterhin darauf warten, dass ihr Leben beginnt. Vielleicht ist das auch die zentrale Aussage von Rooneys gesamten Werk: Das Leben ist das, was passiert, während man darauf wartet, dass es beginnt. Das wäre keine schlechte Pointe, aber so langsam ist sie auserzählt.

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