: „Die Beine sind das Pferd“
Hobby-Horsing ist eine neue Trendsportart. Von den einen wird sie als Witz mit Besenstiel verspottet, von anderen wird sie geschätzt, weil sie Bewegung und Spaß verbindet – und weniger kostet als Reiten
Aus Leipzig Luisa Holzkamp
Ein starker Pferdegeruch liegt auf der Galopprennbahn Scheibenholz in Leipzig in der Luft, und aus der Ferne hört man Wiehern – doch das sind keine Pferde. Zehn Mädchen laufen in der sandigen Halle mit Steckenpferden in der Hand wild durcheinander. Was auf den ersten Blick kurios aussieht, ist eine Trainingseinheit der neuen Sportart Hobby-Horsing.
Viele Videos dieser Sportart, die auch „Steckenpferdreiten“ genannt wird, kursieren. Die Grundidee: Mit einem Steckenpferd werden Elemente aus dem Pferdesport nachgeahmt. Der Trendsport aus Finnland ist in den vergangenen Jahren nach Deutschland übergeschwappt und seit dem 1. Januar offiziell in die Wettbewerbsordnung für Breitensport (WBO), die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung herausgegeben wird, aufgenommen worden. Während es für viele Hobby-Horser nur um Spaß geht, werden mittlerweile auch Wettkämpfe ausgerichtet. Bewertet werden dabei vor allem die Gangarten der Reiter und meist Reiterinnen.
Andreas Karasek, Mitarbeiter des Deutschen Hobby Horsing Verbandes, erklärt es so: „Der Oberkörper ist der Reiter, die Beine sind das Pferd.“ Es geht entsprechend darum, die Bewegungen des Pferdes nachzuahmen. In den verschiedenen Disziplinen Spring-, Dressur- und Stilreiten werden unter anderem Gangarten wie Schritt, Trab und Galopp, aber auch der Rhythmus, die Gleichmäßigkeit sowie die aufrechte Körperhaltung der Reiter*innen bewertet. Das Steckenpferd muss dabei immer ordnungsgemäß zwischen den Beinen gehalten werden.
An diesem Mittwoch im Oktober üben die Mädchen in der Leipziger Reithalle deswegen besondere Bahnfiguren, die sie ausführen müssen – genau wie beim echten Reiten. Auch über kleine Hürden müssen die Reiterinnen springen – natürlich mit dem Pferd in der Hand. In dieser Disziplin erreichen Sportler*innen erstaunliche Höhen. Der Weltrekord, den eine 14-jährige Deutsche im vergangenen Jahr aufgestellt hat, liegt derzeit bei 1,42 Metern.
Neben der sportlichen Leistung spielt auch das Steckenpferd selbst eine wichtige Rolle. Besonders jüngere Reiterinnen verleihen ihren „Pferden“ eigene Charakterzüge, erklärt Lena Günther, Trainerin der Hobby-Horser in Leipzig: „Die Mädchen sagen zum Beispiel, ihr Pferd hat Angst vor fremden Menschen oder vor Wasser. Das hat auch eine schauspielerische Komponente.“ Für Günther ist es ein gutes Mittel, damit junge Sportlerinnen ihre Gefühle ausdrücken können: „Manchmal kommen sie und sagen: ‚Mein Pferd ist heute frech.‘ Dann weiß ich, dass vielleicht etwas in der Schule passiert ist, das sie beschäftigt. Das Hobby-Horse hilft ihnen, diese Emotionen auszudrücken.“
Wer das alles etwas kurios findet, ist nicht allein. Bekannt wurde die Sportart in Deutschland vor allem durch einen negativen Trend in den sozialen Medien. Videos von Hobby-Horsern gingen viral. Influencer*innen und andere User begannen sich online über die neue Sportart lustig zu machen und sie nachzuäffen. In den Medien wurde ein Fest der Satire gefeiert – zulasten der Sportler*innen, die diese Sportart mit ernsten Intentionen ausführen. „Es gibt teils regelrechte Hasskommentare unter den Videos“, erzählt Andreas Karasek. Das bereitet seinem Verband Sorgen. „Wir versuchen, die Kinder zu ermutigen, solche Kommentare nicht zu lesen oder sie zu ignorieren“, betont er. Auch Trainerin Lena Günther bespricht diese negativen Reaktionen mit den Kindern. Der stärkste Rückhalt sei dabei die eigene Community: „Ich glaube, sobald die Mädchen hier ankommen, blenden sie alles aus. Hier sind Menschen, die das auch cool finden, und niemand, der lacht.“
Lena Günther, Hobby-Horsing-Trainerin
Trotz des Spotts hat die Sportart in Deutschland bereits rund 5.000 aktive Anhängerinnen, verteilt auf über 200 Vereine. Im September fand die erste Deutsche Meisterschaft statt. Auch wenn der Sport vor allem für Kinder ausgerichtet ist, traten Teilnehmer*innen im Alter bis zu 48 Jahren bei der Meisterschaft an.
Oft wird die Frage aufgeworfen, warum die jungen Sportler*innen nicht einfach Reiten oder Leichtathletik betreiben. Lena Günther sieht dafür viele Gründe. „Reiten ist in der Stadt ein Luxus“, sagt sie. Der Kontakt zu echten Pferden sei mit hohen Kosten und viel Zeitaufwand verbunden, was für viele Eltern eine Hürde darstelle. Ein weiterer Faktor sei die mangelnde Attraktivität vieler Sportarten für junge Mädchen. „Viele Mädchen fühlen sich von herkömmlichen Sportarten nicht angesprochen. Gleichzeitig sind sie oft mit hohen Erwartungen an ihr Körperbild konfrontiert und verlieren so den Spaß an Bewegung“, stellt Günther fest. Hobby-Horsing biete hingegen eine Möglichkeit, sich zu bewegen und gleichzeitig Spaß zu haben. Zum Spott, den die jungen Sportlerinnen aufgrund ihres Hobbys aushalten müssen, hat Günther eine klare Ansage: „Ich sage den Mädels immer wieder: Wer andere runtermachen will, der findet immer etwas – ob da nun ein Hobby-Horse dabei ist oder nicht.“
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