piwik no script img

Polizeigewalt in GriechenlandVerhaftet, verprügelt, tot

In einer Athener Polizeiwache stirbt ein 37-jähriger Pakistaner. Gruselige Bilder des Körpers gelangen an die Öffentlichkeit. Es ist kein Einzelfall.

Migranten in Polizeigewahrsam können sich nicht darauf verlassen, dass ihre Rechte gewahrt bleiben Foto: Nick Hannes/panos pictures/visum

Anm. der Redaktion: Achtung. Der folgende Text enthält Gewaltdarstellungen in Wort und Bild, die Le­se­r:in­nen verstören können.

Athen taz | Es sind zutiefst verstörende Bilder. Geschwollene Handgelenke, mutmaßlich durch Handschellen verursacht, überdies ein mit blauen Flecken geradezu übersäter Körper: am Kopf, am Rücken, an den Beinen. Die grausam zugerichtete Leiche von Mohammed Kamran trägt unzählige Folterspuren, als sie am 21. September um 7.30 Uhr in der Früh in einem Haftraum der Polizeiwache im Athener Stadtteil Agios Panteleimon aufgefunden wird.

Im Totenschein steht „unbestimmte Todesursache“. Es sei „keine unmittelbare pathologische Ursache für sein Ableben“ festgestellt worden. Festgehalten werden im Dokument ausdrücklich die Wunden an seinem ganzen Körper. Rasch kommen unglaubliche Details zum Vorschein: Binnen neun Tagen – vom 13. bis zum 21. September – wurde Mohammed Kamran in gleich fünf Athener Polizeirevieren festgehalten – bis er stirbt.

Kamrans Odyssee nimmt ihren Anfang, als er am 13. September nach einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt von der Polizei in die Wache am zentralen Athener Omonia-Platz gebracht wird. Die Polizeistation liegt in einem Stadtviertel, wo viele Migranten, vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika leben. Tags darauf wird er zum Gericht gebracht. Doch die Verhandlung wird auf den 16. September vertagt. Es wird angeordnet, dass Kamran bis zum neuen Gerichtstermin in derselben Polizeistation festzuhalten ist. Zwei Tage später wird die Verhandlung am Gericht abermals vertagt, diesmal auf Dezember. Das Gericht ordnet Kamrans Freilassung an.

Stattdessen aber bringt ihn die Polizei in eine andere Athener Polizeiwache im Stadtteil Patissia. Dort soll festgestellt werden, ob der Pakistaner über eine legale Aufenthaltserlaubnis verfügt oder ob etwa Voraussetzungen für seine Abschiebung vorliegen. Weil just jene Polizeiwache nicht über Hafträume verfügt, wird er zu einer weiteren Wache im Athener Vorort Galatsi gebracht. Dort bleibt er bis zum 17. September in Polizeigewahrsam, bis er zu einer Polizeiwache im Athener Stadtteil Kolonos gebracht wird. Tags darauf, am 18. September, wird Kamran freigelassen. Denn die Behörden haben derweil festgestellt, dass der Pakistaner eine Aufenthaltserlaubnis hat.

Vier Monate Haft wegen eines beschädigten Waschbeckens

Aber damit war Kamrans Irrfahrt nicht vorbei. Unmittelbar nach seiner Freilassung greifen ihn Streifenpolizisten auf. Sie wollen seine Identität überprüfen. Er wird zur Polizeiwache im Athener Stadtteil Agios Panteleimon gebracht, auch ein Viertel mit hohem Migrantenanteil. Dort wird Kamran wegen Beschädigung fremden Eigentums und Ungehorsam verhaftet. Die Straftaten habe er in der Polizeiwache begangen, so die Polizei. Konkret soll er ein Waschbecken beschädigt haben. Ein Schnellgericht verurteilt Kamran dafür am 18. September zu vier Monaten Haft ohne Bewährung. Nach dem Gerichtstermin wird er in dieselbe Polizeistation zurückgebracht. Drei Tage später, am 21. September, wird er dort tot aufgefunden.

Die Polizei bestreitet die sofort erhobenen Vorwürfe der Angehörigen, wonach Kamran zu Tode gefoltert worden sei. Im Polizeibericht über den Vorfall ist von einem „drogenabhängigen Obdachlosen ohne Griechischkenntnisse“ die Rede. Sein Tod sei auf „pathologische Ursachen“ zurückzuführen.

Das widerlegen indes von der Familie des Opfers vorgelegte Dokumente. Demnach lebte der 37-Jährige schon seit 20 Jahren in Griechenland, er sprach fließend Griechisch. 2017 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Der von ihm gemietete Wohnsitz lautete auf seinen Namen, er arbeitete als Händler.

Wie seine Angehörigen offenbarten, habe er stets zwei Handys bei sich gehabt. Sie seien unauffindbar. „Wir haben seit dem 13. September nach Mohammed gesucht. Seine Telefone waren ausgeschaltet“, sagen sie. Die Familie des Opfers kündigte an, alle nötigen Schritte zu unternehmen, um die Umstände seines Todes zu klären. Kein leichtes Unterfangen. Der Haftraum in der Polizeistation, in dem Kamran tot aufgefunden wurde, verfügt nicht über eine Kamera. Die Anwältin der Familie, Maria Sfetsa, sprach mit Blick auf Kamrans Folterspuren von „Schlägen mit zwei Geschwindigkeiten“. Einige hätten sich „vier bis 48 Stunden vor seinem Tod ereignet, andere einige Tage zuvor“.

Viel mehr Fälle von Folter als angenommen

Die Causa Kamran ist hierzulande kein Einzelfall. Im Gegenteil. Dies belegt eindrücklich ein im September veröffentlichter 106-seitiger Bericht der „Griechischen Union für die Menschenrechte“ unter dem Titel „Eine Übersicht über die polizeiliche Willkür in Griechenland“.

Darin heißt es, dass „die Zahl der Fälle, in denen griechische Bürger oder Drittstaatsangehörige Opfer von Handlungen wurden, die unter die Definition von Folter fallen, viel höher ist, als man erwarten würde“. Es sei „unmöglich, das genaue Ausmaß des Phänomens zu kennen“. „Die einzige Gewissheit ist, dass die Fälle, die das Licht der Öffentlichkeit gesehen haben, nur die Spitze des Eisbergs darstellen.“

Das Foto zeigt den Arm der Leiche des gefolterten Pakistaners Mohammed Kamran Foto: privat

Der in Straßburg ansässige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Griechenland wegen Verstößen gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach niemand der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden dürfe, in bislang über einhundert Fällen verurteilt. Obgleich das Gros der Fälle desaströse Haftbedingungen in Hellas’ Gefängnissen betreffe, gebe es auch „viele Fälle von Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch Polizeibeamte“.

Besserung ist nicht in Sicht. Ein paar Tage nach dem Auffinden der Leiche von Mohammed Kamran fand man den Migranten Mia Harizul tot in der Polizeiwache am Athener Omonia-Platz. Der 29-Jährige Bangladescher wurde anderthalb Stunden nach seiner Festnahme wegen der Beschädigung eines Polizeiautos mit einer „Schlinge“ aus seinem Hemd erhängt im Haftraum aufgefunden. Die Polizei spricht von Suizid. Wieder gibt es im Haftraum keine Kamera.

Unterdessen fordern Athener Menschenrechtler „die Bestrafung der Mörder von Mohammed Kamran und Gerechtigkeit für Mia Harizul“. „Die rassistische und unterdrückende Politik der Athener Regierung hat Polizeistationen in Leichenhallen verwandelt“, so ihr Vorwurf.

Was bisher nur passierte: Der Leiter der Athener Omonia-Polizeistation wurde ersetzt. Das heißt aber nicht, dass er aus dem Staatsdienst entlassen ist oder suspendiert wurde. Griechischen Medien zufolge wurde er nach eigenem Antrag an eine andere Athener Polizeiwache versetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Warum in die Ferne schweifen. Da gab es doch mal was in Dessau. Oder dass die Polizei häufig unfähig ist, mit psychisch Kranken umzugehen, ist auch nichts Neues. Warum also mit den Fingern auf andere zeigen, die NOCH schlimmer sind als unsere.