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Gewinner des Alternativen NobelpreisesGetrübte Freude

Der Palästinenser Issa Amro wird mit seiner Organisation „Jugend gegen Siedlungen“ für sein Engagement gegen die israelische Besatzung ausgezeichnet.

„Es bricht mir das Herz, was in Gaza passiert, im Westjordanland und jetzt in Libanon“, sagt der Palästinenser Issa Amro Foto: Right Livelihood

Härnösand taz | Der Palästinenser Issa Amro spricht schnell, ernst und beherrscht. Aber immer wieder klingen bei dieser digitalen Pressekonferenz in seinem Zuhause in Hebron im Westjordanland am Donnerstagmorgen auch Wut und Ungeduld durch. Amro und seine Organisation „Jugend gegen Siedlungen“ (YAS) gehören zu den vier Preisträgern des Right Livelihood Award 2024, auch bekannt als Alternativer Nobelpreis. „Sie wehren sich mit bürgerlichem Engagement gegen die Brutalität der israelischen Besatzung und stärken so die palästinensische Bevölkerung“, begründet die Jury der in Stockholm ansässigen Stiftung ihre Entscheidung.

Er habe gemischte Gefühle über die Auszeichnung, sagt der 44-Jährige. Sich freuen oder nicht, angesichts der aktuellen Eskalation in Nahost? „Es bricht mir das Herz, was in Gaza passiert, im Westjordanland und jetzt im Libanon.“ Es ist Rosch ha-Schana, das jüdische Neujahrsfest, und für ihn, einen Palästinenser im von Israel kontrollierten Teil Hebrons, heißt das tagelange Ausgangssperre, noch bis Samstagabend dürfe er sein Haus nicht verlassen. „Damit die illegalen Siedler in meine Stadt kommen können, haben sie Checkpoints, Straßen und Schulen geschlossen, also die ganze Community“, sagt Amro.

Die Situation in Hebron sei schon vor dem 7. Oktober schwierig gewesen, seitdem aber noch viel schwieriger. Der Tag des Hamas-Terrorangriffs auf Israel mit rund 1.200 Toten und 250 Verschleppten jährt sich am Montag zum ersten Mal. Das israelische Militär und die Siedler hätten sich seither frei gefühlt zu tun, was sie wollen, und ihre Strategie fortgesetzt, Palästinenser aus ihren Häusern und ihren Communitys zu verdrängen. Amro wirft israelischen Soldaten vor, sich willkürlich zu verhalten wie eine Miliz, nicht wie Armeeangehörige.

„Es ist kein Leben“, sagt Amro. „Wir haben Probleme mit einfachen Services wie Handwerkern, Notarztwagen kommen nicht zu uns, wir kämpfen um ein bisschen Sozial­leben.“ Er rechne jedes Mal, wenn er das Haus verlasse, damit, dass er nicht mehr zurückkommen könne. „Ich gebe mein Bestes, trotz allem.“

Zivilgesellschaft im Fokus

Sein grundsätzlich gewaltloser Widerstand besteht nicht nur aus Protestaktionen. YAS erschafft auch Neues – einen Kindergarten etwa und ein Zentrum für Frauen. Jetzt planen sie ein Kinoprojekt. Die Stärkung der palästinensischen Zivilgesellschaft steht immer im Fokus. Andere Formen der Unterstützung seien das Dokumentieren von Menschenrechtsverletzungen und derzeit vor allem Besuche bei Familien, die aus ihren Häusern verdrängt werden sollen. Was Amro fordert, ist internationaler Druck auf Israel, auch von Deutschland. Teil seines Aktivismus sei deshalb Öffentlichkeitsarbeit, „um die Wahrheit über die israelische Besatzung und Apartheid zu erzählen“.

Was wünscht er sich für die Zukunft? „Mein Traum ist, dass die ganze Welt und Israel die Palästinenser als eine Nation behandeln, die Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Selbstbestimmtheit verdient.“ Er wolle eine bessere Zukunft, für Palästinenser und für Israelis, in einer Einstaaten- oder Zweistaatenlösung. Sie sollen gleichberechtigt zusammenleben.

Neben Amro und seiner Organisation YAS wurde auch die philippinische Aktivistin Joan Carling ausgezeichnet, die sich für die Rechte Indigener einsetzt. Weitere Preisträger waren die Umweltaktivistin Anabela Lemos, die in Mosambik gegen ausbeuterische Megaprojekte ankämpft, sowie die Londoner Gruppe Forensic Architecture, die Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen mit digitalen forensischen Methoden aufdeckt.

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2 Kommentare

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  • Der Rassismus gegen Palästinenser ist unerträglich für fühlende Wesen. Man muss schon abgestumpft sein um während solcher Ereignisse unbekümmert zu sein

  • Wäre jeder Palästinenser und jeder Israeli Mitglied in solch einer Organisation, wäre der Nahostkonflikt im Nu gelöst.

    Da könnten Hamas, Iran und die israelischen Rechtsextremisten zündeln wie sie wollten, all diese Milizen brauchen das empörte "Fußvolk", um ihre eigentlich ganz anderen Interessen durchzusetzen und die Instabilität zu bewahren.