Scheindemokratische Farce: Ignoriertes Bür­ger*in­nen­vo­tum

Auch die zweite Dialogwerkstatt zur Randbebauung des Tempelhofer Felds lehnt das Vorhaben des Senats deutlich ab. Das wird aber auch nicht nützen.

Hände weg vom Feld steht auf einem Banner neben gebrauchten Weihnachtsbäumen auf dem Tempelhofer Feld

Schon länger Thema: Protest der Initiativen „100 Prozent Tempelhofer Feld“ und „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ Foto: dpa/Annette Riedl

Ich mach mir das Feld, widdewidde wie es mir gefällt – diese Einstellung scheint derzeit im Berliner Senat zu herrschen. Der hat nicht zum ersten Mal einen Volksentscheid ignoriert und will auf Teufel komm raus das Tempelhofer Feld bebauen. Die größte unbebaute Freifläche inmitten der dicht besiedelten Hauptstadt ist bei den Ber­li­ner*in­nen als Freizeitgelände allerdings sehr beliebt, wie sich mal wieder gezeigt hat. Anfang der Woche lehnte auch die zweite Dialogwerkstatt zur Zukunft des Tempelhofer Felds eine Randbebauung eindeutig ab.

Wie schon die erste Dialogwerkstatt Anfang September. Und wie schon vor zehn Jahren, als die Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen ein Bebauungsverbot für das ehemalige Flughafengelände durchsetzte. Die schwarz-rote Koalition und allen voran der Regierende Bürgermeister Kai Pippilotta Wegner-Langstrumpf (CDU) will jedoch unbedingt 5.000 Wohnungen auf das innerstädtische Grün pflanzen.

Dafür müsste jedoch das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Felds geändert werden. Also behauptete Wegner einfach, dass sich die Stimmung dazu in der Stadt mittlerweile geändert habe. Und initiierte die Dialogwerkstätten, die aber nicht über das Ob, sondern das Wie einer Randbebauung beraten sollten.

275 unabhängig ausgeloste Ber­li­ner*in­nen unterschiedlicher Herkunft nahmen an dem Bürgerbeteiligungsformat teil. Und erteilten der scheindemokratischen Farce eine Absage, indem sie sich entgegen ihrem Auftrag für eine Weiterentwicklung des Felds als Naherholungsgebiet aussprachen und die Bedeutung des Felds für den Natur- und Klimaschutz hervorhoben.

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Bür­ge­r*in­nen­rat degradiert

Weil das demokratische Ergebnis nicht ihren Wünschen entspricht, reagiert Berlins CDU wie ein verzogenes neunjähriges Kind in einer Villa, das noch immer seinen Willen bekommen hat: Es ging ja gar nicht um die Frage, ob gebaut wird, sondern darum, was, sagte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, nach der Abstimmung trotzig zur taz. Dass das aus demokratischer Per­spek­ti­ve ohnehin schon problematisch ist, interessiert ihn dabei wenig.

Stattdessen setzte er noch einen drauf und degradierte den selbst eingesetzten Bür­ge­r*in­nen­rat zur irrelevan­ten Einzelmeinung: Man wolle sich nicht auf die Empfehlungen einer kleinen Gruppe verlassen, sondern im Zweifel eher noch mal alle Ber­li­ne­r*in­nen befragen, so Gräff. Wäre das Ergebnis der Dialogwerkstätten im Sinne der CDU ausgefallen, wäre die „kleine Gruppe“ wohl als Stimme des Volkes präsentiert worden. Aber so gilt das Motto: Wir fragen weiter, irgendwann wird schon das Ergebnis herauskommen, das sich CDU und SPD und ihre Kumpel aus der Baulobby so sehnlich wünschen.

Das Ende vom Kinderlied: Das eindeutige Bür­ger*in­nen­vo­tum wird ignoriert. Zumal es ohnehin nicht bindend ist. Die Ergebnisse sollen vielmehr nun „aufbereitet“ und in einen internationalen Ideenwettbewerb „eingespeist“ werden. Der soll am 13. November starten und bis Mai 2025 laufen. Wie genau ein Votum, das sich für die „Bewahrung der weltweit einzigartigen Perle im Herzen Berlins“ einsetzt und als zentrale Punkte „keine Bebauung“, „Förderung und Ausbau des Bestehenden“ sowie „THF für alle“ beinhaltet, in einen Bebauungswettbewerb eingespeist werden soll, bleibt ein Geheimnis.

Die Missachtung des Willens der Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen lässt sich der Senat übrigens schlappe drei Millionen Euro kosten – obwohl Berlin auch ohne das Tempelhofer Feld ­Platz für den Bau neuer Wohnungen hat, wie aus einem Stadtentwicklungsplan des Senats hervorgeht. Aber aus dem Haus will Wegner nun mal aufs Tempelhofer Feld rausschauen. Dafür macht zwei mal drei dann auch mal vier.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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