Die Emissionen der Autoindustrie: Das Problem mit dem Rückspiegel

Manchmal ist Vergesslichkeit ein Segen. Unpraktisch nur, wenn das Langzeitgedächtnis sich noch gut an alte Versäumnisse beim Klimaschutz erinnert.

Stau auf der Autobahn - im Seitenspiegel ist ein Caravan und ein SUV zu sehen

Es gibt kein Problem mit dem Rück- oder Seitenspiegel sondern mit dem Autoverkehr Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Beim letzten Kneipenbesuch mit Freund R. waren wir schnell beim Jammern: Rücken und Knie ächzen und knarren, die Blase führt ein Eigenleben, die Augen brauchen Gleitsichtbrillen. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, sagte er, das klingt gut, und wir fühlten uns an der Schwelle zum neuen Jahrzehnt richtig tapfer.

Das Alter ist ja auch wirklich eine Zumutung: Superman war gestern, und dann kommt noch die verbale Verwirrung dazu, dass „älter“ gefühlt jünger ist als „alt“, obwohl es die Steigerung davon ist: „Ältere Menschen“ sind fitter und längst nicht so abgeschrieben wie „alte Menschen“. Um das zu verstehen, muss man wohl jünger sein.

Und dann noch diese Lücken in der Erinnerung: Wo habe ich die Schlüssel hingelegt? Wie heißt noch mal der Kollege mit Nachnamen, den ich seit 15 Jahren kenne? Was früher Schusseligkeit war, fällt heute unter beginnende Demenz. Aber vor allem vergisst man immer nur die falschen Sachen. Und erinnert sich an Dinge, die man lieber vergessen würde.

So auch diese Woche, als ich las, wie der Chef des Autokonzerns Renault, Luca de Meo, vor „hunderten von Millionen Euro“ an Strafzahlungen warnte. Denn die europäischen Hersteller halten ihre EU-Flottengrenzwerte für CO2 nicht ein. Ab nächstem Jahr drohen hohe Strafen. Nicht schön für sie. Unschön für uns alle ist aber auch, dass sie die Atmosphäre mit zu vielen Auspuffgasen verpesten, weil sie zu wenig E-Autos verkaufen. Und dass diese Regeln seit fünf Jahren gelten.

Alte Menschen wie ich erinnern sich aber auch daran, dass es zu dieser Regelung nur kam, weil die Autohersteller vor 20 Jahren ihre „freiwillige Selbstverpflichtung“ zum Klimaschutz krachend verfehlt haben. Und Tattergreise wie ich erahnen in den Nebeln der Vergangenheit sogar noch die Zeiten, als solche Grenzwerte einfach als Gesetz verabschiedet wurden (huch!).

Die Selbstverpflichtung scheitert

Was wir nicht vergessen sollten: Die Matrix der Industrie zum Umgang mit Grenzwerten, die uns alle vor Umwelt- und Klimagefahren schützen sollen, sieht seit Jahrzehnten gleich aus: ein Gesetz? Lauter Protest. Jahre vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. Dann hurra: eine Selbstverpflichtung mit Grenzwerten in einigen Jahren. Jahre vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. Die Selbstverpflichtung scheitert, neue Debatten. Jahre vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. Eine EU-Richtlinie schreibt Grenzwerte in fünf Jahren vor. Jahre vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. EU-Grenzwerte nicht erreicht, es drohen Strafen. Nur die Industrie beklagt ausufernde Bürokratie und wünscht sich, dass noch ein paar Jahre vergehen.

Tut mir leid, wenn ich Sie als alter Mann mit meinen Erinnerungen belästige. Man lebt einfacher und verkauft mehr Verbrennerautos für noch ein paar Jahrzehnte, wenn man das Langzeitgedächtnis ausknipst. Und wie Herr de Meo einfach nicht in den Rückspiegel schaut – ganz egal welche Unfälle da hinten passieren und was da rasend schnell auf uns zukommt.

Ich hoffe auch oft auf das große Vergessen, wo ich still und zufrieden am Fenster sitze und glücklich senil lächelnd in meiner Straße den Sonnenuntergang zwischen den Abgaswolken betrachte. Ich fürchte nur, diese Hoffnung ist trügerisch. Für mich und für uns alle. Schließlich sind wir eine Gesellschaft, die immer älter wird. Und wenn dann bei uns noch was funk­tio­niert, ist es das Langzeitgedächtnis.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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