Chaos beim Schulessen in Berlin: Hausgemachter Wahnsinn

Das Chaos mit 40 Seconds, dem neuen Großcaterer für Berlins Schulen, war absehbar. Das ganze Vergabesystem ist vermurkst und fördert Raffgier.

Das Bild zeigt eine Stulle

Heute bleibt die Küche kalt – zum Leidwesen vieler Berliner Grundschulkinder Foto: imago/photothek

Der Ärger mit dem Schulessen wird Berlin noch lange beschäftigen. Selbst wenn es ab kommender Woche gelingt, dass alle Kinder wieder Mittagessen bekommen – entweder weil ihre Schule flugs einen neuen Caterer findet oder der neue Großcaterer 40 Seconds endlich in die Puschen kommt: Man wird auf jeden Fall darüber diskutieren müssen, wie es so weit kommen konnte.

Warum hat es 40 Seconds seit zwei Wochen nicht geschafft, all „seine“ 103 Schulen mit ausreichend Essen zu versorgen? Wie kann es sein, dass ein Unternehmen so viele neue Aufträge bekam? Hat niemand geprüft, ob das Unternehmen überhaupt in der Lage ist, auf einen Schlag 38.000 bis 40.000 Essen pro Tag zu liefern, wo es bisher nur 5.000 produzieren musste?

Tatsächlich hat das Vergabesystem, mit dem in Berlin solche Großaufträge vergeben werden, seine Tücken. Es fängt damit an, dass in diesem Jahr die Mittagessensversorgung der Grundschulen und grundständigen Gymnasien von elf Bezirken neu ausgeschrieben wurde. Insgesamt betraf das immerhin 480 Schulen oder – im Vergabedeutsch – 480 „Lose“ für über drei bis vier Jahre laufende Aufträge: ein Jackpot für jede Firma im Bereich Großcatering. Auch wenn der Preis pro Essen bei 5,17 Euro gedeckelt ist und die Vorgabe gilt, mit Bio-Lebensmitteln zu arbeiten.

40 Seconds hat einen Gutteil dieses Jackpots „gewonnen“. Offenbar klang seine Speisekarte mit 20 vegetarischen Essen, die jeder Bewerber den Schulen vorlegen musste und die von diesen bewertet wurde, besonders lecker. So gingen 103 Lose an die Firma, die sich im Netz als Edel-Caterer präsentiert („High-end Locations, Catering & Fine Dining“) und nach Medienberichten auch das diesjährige Hoffest des Regierenden Bürgermeisters mit Essen versorgt hat. Der Bereich Schulessen heißt 40 Seconds Kids und wird so beworben: „Seit 2020 kochen wir täglich frisch, ausgewogen und abwechslungsreich für Berliner Schulen.“

Der Fehler liegt im System

Dass eine Firma sich auf mehr Aufträge bewirbt, als sie eigentlich leisten kann, ist zwar nicht zulässig. Aber wer glaubt ernsthaft, dass sich Unternehmen an dieses Verbot halten? Die wissen schließlich nicht, ob sie am Ende überhaupt einen Auftrag bekommen – also bewerben sie sich auf möglichst viele Losen, um ihre Chancen zu erhöhen. Dies umso mehr, wenn sie auf Wachstum aus sind und ein gutes Geschäft wittern.

Das Problem ist nur: Wenn man am Ende tatsächlich sehr viele, vielleicht sogar alle Zuschläge bekommt, kann man keinen Rückzieher machen. Eine Firma kann nicht sagen: Sorry, ich habe zu viele Aufträge bekommen, das wird mich überfordern, ich gebe lieber wieder etwas ab. Sobald die Abgabefrist abgelaufen ist, kann der Caterer sein Angebot nicht mehr zurückziehen. Tut er es doch, kann er haftbar gemacht werden.

Auf der anderen Seite prüfen zwar die Auftraggeber, in diesem Fall die Vergabestellen der Bezirke, ob ein Bewerber überhaupt die Kapazitäten hat, den Auftrag zu bewältigen. Aber: Sie prüfen dies nur in ihrem Bezirk. Bei einer fast berlinweiten Ausschreibung hat damit niemand den vollen Überblick, wer sich wo bewirbt.

Es kam also einiges zusammen: Ein Unternehmen, das wachsen will und dabei den Mund etwas sehr voll genommen hat, ein Großauftrag aufgeteilt in 480 Lose von elf Auftraggebern, von denen keiner den Hut auf hat, fragwürdige Entscheidungskriterien wie eine Speisenkarte – auf die schließlich jeder ein leckeres Wünsch-dir-Was schreiben kann.

Dazu kam wohl noch, dass ein Gutteil der Vergaben erst in den Sommerferien erfolgte, also zu einem Zeitpunkt, wenn in den Bezirksämtern und Schulen kaum jemand erreichbar ist. Und dieser Vorwurf von 40 Seconds an die öffentlichen Stellen ist durchaus plausibel und blieb bisher auch unwidersprochen.

Eine Pest für alle Beteiligten

Dass Vergabeverfahren und EU-Ausschreibungsrichtlinien eine überkomplexe Angelegenheit und für alle Beteiligten allzu häufig eine Pest sind, ist bekannt. Wie so oft sind nun auch beim Cateringchaos die Leidtragenden aber nicht die Chefs in ihren schicken Büroräumen und auch nicht die Bürokraten in den Behörden.

Dieses Mal sind es die Kinder. Darum regt es derzeit besonders viele Berlinerinnen und Berliner auf. Und die entscheidende Frage ist, ob aus der aktuellen Empörung wenigstens Lehren für das nächste Mal gezogen werden.

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Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.

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