Abstimmung in Russland: Regionalwahlen ohne Gegenwehr
Ein Gesetz zu „ausländischen Agenten“ schränkt die russische Opposition ein. Die Regionalwahlen verliefen laut Moskauer Bürgermeister „störungsfrei“.
Es wurden Lokalabgeordnete bestätigt oder neu auf die Posten gesetzt, und auch Stadträte ins Amt befördert oder in diesem Amt belassen. Eine wirkliche Wahl aber haben die Menschen seit Jahren nicht. Diese Abstimmung jedoch zeigte besonders eindrücklich, wie der politische Prozess einer Wahl praktisch vor den Augen der Wähler*innen hingerichtet wird.
Seit vergangenem Freitag gaben die Menschen ihre Stimmen ab. Meist online. Um im Wahllokal abzustimmen, mussten sie sich – auch das meist online – anmelden. So saßen manche Wahlleiter*innen in den Wahllokalen tagelang nur herum, aber es kam niemand, um sein Kreuz auf einem Zettel zu machen. In Moskau waren 44 Plätze des städtischen Parlaments zu besetzen.
Sicher drin sind der Sohn eines kremlloyalen Sängers, die Direktorin des Theaters der russischen Armee, eine mehrmalige Weltmeisterin und Europameisterin im Eiskunstlauf. Kandidat*innen, die der Staatsmacht genehm sind. Unbequeme Kandidat*innen hatten gar nicht erst die Chance, überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden.
Restriktionen für Oppositionelle
Seit Mai darf kein sogenannter ausländischer Agent bei Wahlen teilnehmen. Die so Gebrandmarkten dürfen nicht einmal über die Wahl reden, auch keine Kandidat*innen unterstützen, sonst bekommen auch diese ein Problem mit der Staatsmacht. Wollen oppositionell Gesinnte sich zur Wahl registrieren lassen, laufen sie Gefahr, auf der Liste der „Agenten“ zu landen.
Damit wird ihr Leben bürokratisch erschwert, politisch sowieso. Sie sind letztlich geächtet im Land, müssen vor sich selbst überall warnen. So sind sie etwa dazu verpflichtet, vor jedem ihrer Posts in den sozialen Medien, bei Interviews und vor Veranstaltungen über ihren Status als „Agent“ zu informieren. Tun sie das nicht, riskieren sie Strafen, auch Haft. Außerdem müssen sie alle ihre Ausgaben auflisten und beim Justizministerium einreichen.
Die Regionalwahl war nun die erste, bei der diese Neuerung angewendet wurde. Sie zeigte ihre Wirkung. Kein auch nur annähernd oppositionell kritisch eingestellter Mensch durfte antreten.
Vor fünf Jahren noch waren in Moskau Zehntausende Menschen Samstag für Samstag auf die Straßen der Hauptstadt gezogen, um ihren Unmut loszuwerden. Sie hatten die Wahl der Moskauer Stadtduma, dieser Institution, die kaum politisches Gewicht hat, zu ihrem Ventil für den Kampf gegen systematische politische Repressionen im Land gemacht. Vorbei die Zeiten.
Kaum Straßenproteste
2024 geht kaum noch einer auf die Straße. Nur noch vereinzelt stehen besonders Mutige mit ihren Plakaten bei Einzelmahnwachen in den Zentren ihrer Städte. Sie fordern meist Freiheit für politische Gefangene und riskieren, selbst zu solchen zu werden. Der Staat duldet keinen Protest.
Er duldet keine Kritik. Duldet keine Opposition. Hinter jeglicher kritischer Haltung sieht das System Putin ausländischen Einfluss. Keiner darf im Land ein politisches Subjekt sein. Der Staat redet den Menschen ein, er wisse, was für diese gut sei. Die meisten fügen sich. Machen – wenn verlangt – ihr Kreuz dort, wo der Chef das Kreuz zu machen befohlen hat. Sie wollen keinen Ärger.
Das aktuelle Wahlgesetz stellt derweil jedes beliebige Ergebnis sicher, die russische Gesellschaft kann es gar nicht kontrollieren. Das darf sie auch nicht.
Denn die repressiven Gesetze machen es unmöglich. Möglich wird dadurch ein russischer Staat, der nach einer fast schon still verlaufenen Regionalwahl weiterhin von sich behaupten kann: „Wir haben die Mehrheit. Unsere Macht ist legitimiert.“
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