Gewalt in der Heimerziehung: Erste Stadt erkennt das Leid an

München will Kinder entschädigen, denen in Heimen Leid zugefügt würde. Das könnte erstmals auch einigen Opfern der Haasenburg-Heime helfen.

Gelber Wohnblock durch grünen Zaun fotografiert.

Kein trautes Heim: Ehemalige Gebäude der Haasenburg-Heime in Müncheberg im Landkreis Märkisch-Oderland Foto: Patrick Pleul/dpa

Hamburg taz | Die Geschichte könnte bitterer nicht enden. Nachdem die Justiz die in 2013 erfolgte Schließung der Haasenburg-Kinderheime als nicht rechtens einstufte, steht deren Betreiber eine Entschädigung durch das Land Brandenburg in Aussicht, während die Opfer vergeblich darauf warten. Doch nun kommt ein Hoffnungsschimmer aus München: Die Stadt legte einen allgemeinen Fonds auf, mit dem das Leid von Kindern, die im Heim, bei Pflege- oder Adoptiveltern Gewalt erlitten, durch eine finanzielle Leistung anerkannt wird.

Damit tut München, wozu sich bisher keine Kommune bereit fand. Die Stadt übernimmt Verantwortung für jene Münchner, die als Kind von 1945 bis in die jüngste Zeit durch ein Münchner Jugendamt fremdplatziert waren. Die Hilfe gilt auch Menschen, die als Kind in einem Heim der Stadt München lebten.

Es zählt auch psychische Gewalt wie Klima der Angst

Wie eine ältere Anfrage der Linken ergab, hatte München 2013 sieben junge Menschen in der Haasenburg untergebracht, auch in den Jahren zuvor wurden je fünf bis zehn Fälle gelistet. Es betrifft also Dutzende. „Die Betroffenen der Haasenburg können einen Antrag auf Anerkennungsleistung stellen“, sagt Ignaz Raab von der Münchner Expertenkommission, die dieses Verfahren entwickelte. Man unterscheide vier Gewaltformen: Geholfen werden soll neben Opfern sexueller und körperlicher Gewalt auch jenen, die unter staatlicher Obhut psychische Gewalt erfuhren. „Dazu gehört zum Beispiel Druck ausüben“, sagt Ignaz Raab – auch ein Verbot, Kontakt zu Eltern zu halten, oder das Bloßstellen eine Kindes, das ins Bett machte. „Psychische Gewalt liegt auch vor, wenn Kinder in einem Klima der Angst aufwuchsen“, ergänzt Kommissionsgeschäftsführerin Cornelia Abeltshauser. Und es zählt auch behördliche Gewalt, etwa das Wegschauen.

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Für die Betroffenen gibt es nun eine Anlaufstelle beim Verein Kinderschutz München, wo Psychologen bei den Anträgen helfen. „Die Betroffenen können sich darauf verlassen, dass ihre Geschichte vertraulich bleibt“, sagt Edith Petry, Sprecherin des Münchner Sozialreferats. Sie müssten auch nicht vollständig Täter nennen. Unterschieden wird zwischen „Soforthilfen“, die die Menschen in schwierigen Lagen gleich bekommen, und „Anerkennungsleistungen“, die sich am Umfang des Leids orientieren. Bislang hätten sich rund 180 Betroffene gemeldet, gerechnet wird bis Frühjahr mit rund 250.

Soforthilfen wurden bisher in 155 Fällen ausgezahlt im Umfang von 4,2 Millionen Euro. Für die Anerkennungsleistungen beschloss der Stadtrat jüngst einen Mittelbedarf von 35 Millionen Euro. In Summe stellt München somit 40 Millionen Euro bereit. Die Anträge werden von einem Gremium gesichtet und dem Stadtrat anonymisiert zur Entscheidung vorlegt. Die taz weiß von einer Münchner Angehörigen eines Haasenburg-Opfers, die bereits den Antrag zugeschickt bekam.

In Brandenburg indes tut sich wenig. Der Landtag beschloss vorigen Dezember, die Landesregierung möge sich im Bund für einen länderübergreifenden Fonds für Opfer von „institutioneller Gewalt“ in Heimen einsetzen. Daraus wurde bisher nichts.

„Ich habe alle Hebel versucht, um einen Entschädigungsfonds für die Betroffenen der Haasenburg zu schaffen“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Aber: „Zunächst scheiterte ein gemeinsamer Fonds an der Bereitschaft der anderen Bundesländer. Dann konnte sich die Landesregierung auf keine direkte Entschädigungsform verständigen“. Die Grünen würden nach der Wahl einen neuen Anlauf starten. „Das sind wir den Opfern schuldig“, sagt Budke. Das SPD-geführte Jugendministerium verwies ebenfalls auf besagten Landtagsbeschluss und erklärte, die Münchner Lösung könnte ein „interessanter Ansatz sein“.

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