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OderhochwasserAlles im Griff

Für eine Entwarnung ist es noch zu früh, aber die Pegel an der Brandenburger Oder sinken. Die Menschen nehmen das Hochwasser eher gelassen.

Das legendäre Pegelhäuschen in der Oder

Berlin taz | In Hausschlappen, die Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Jogginghose vergraben, steht ein Mann in einer Gasse und begutachtet die Oderflut. Eine mit Entengrütze bedeckte Pfütze schwappt vor seinen Füßen. Um zu messen, wie schnell sich das Wasser ausbreitet, hat der Mann am Morgen ein Stöckchen an den Wasserrand gesteckt. Jetzt, sieben Stunden später, steht es zehn Zentimeter vom Rand entfernt im Wasser. Zwei blau gekleidete Männer von der Freiwilligen Feuerwehr kommen vorbei. „Na, alles im Griff?“, fragt der eine. Der Mann zeigt auf das Stöckchen. Die Feuerwehrleute lachen. „Damit registrierst du aber nur die Weite, nicht die Höhe.“

Die Szene spielte sich am Mittwoch im Ortsteil Fürstenberg von Eisenhüttenstadt ab. Seit Tagen hält die Hochwasserwelle der Oder Landkreise im Osten Brandenburgs in Atem. In Frankfurt (Oder), Ratzdorf und Eisenhüttenstadt gilt aktuell die höchste Alarmstufe 4. In Ratzdorf, wo die Neiße in die Oder mündet, wurde am Mittwoch ein Wasserhöchststand von 6,09 Metern gemessen – normal sind dort 2,60 Meter.

Aber, auch wenn es noch keiner laut sagt: Entwarnung zeichnet sich ab. Am Donnerstag wurde vermeldet, dass die Pegelstände langsam sinken. Auch in Eisenhüttenstadt, wo am Mittwochmorgen noch 6,41 Meter gemessen wurden, ist das so. Und in Frankfurt (Oder), wo der Scheitelpunkt der Hochwasserwelle in der Nacht zum Donnerstag angekommen war.

Trotz Wällen aus Sandsäcken, Pumpen und anderer Vorsichtsmaßnahmen hat es das Wasser mancherorts in Keller und Garagen geschafft. Auch Fürstenberg, dem am Oder-Spree-Kanal gelegenen Ortsteil von Eisenhüttenstadt, ist das so. Die Leute nehmen es gelassen. „Musste die Fassade eben nicht mehr grün anstreichen“, sagt ein Mann zu einem anderen, mit Blick auf die im Vorgarten stehende Entengrütze.

Sehr gut vorbereitet

„Wir sind nach außen entspannt“, sagt Frank Balzer (SPD), Bürgermeister von Eisenhüttenstadt. „Entspannung ist erst, wenn das Wasser weg ist“. Man sei sehr gut auf das Hochwasser vorbereitet gewesen. Es habe noch gar keine Alarmstufe vorgelegen, da habe der Landrat von Oder-Spree schon alles Erforderliche veranlasst. Jetzt komme es darauf an, dass die Deiche dem Druck der Wassermassen trotz langsam sinkender Pegelstände weiter standhalten.

Bis zum Wochenende gilt im Landkreis Oder-Spree noch die Alarmstufe 4. Die Deichläufer sind weiterhin in Zweierteams im Dreischichtenrhythmus im Einsatz, um Schwachstellen aufzuspüren. Werden Blasen oder undichte Stellen gesichtet, sollen sie sofort das Landesumweltamt informieren.

Auch nach Bibern und Nutrias Ausschau zu halten, gehört zum Job der Ehrenamtlichen. Mit den großen Nagern wird dieser Tage nicht lange gefackelt. Rund 25 Biber wurden seit Beginn des Hochwassers an der Oder erlegt – „entnommen“ wie es im Fachjargon heißt. Wenn Hochwasser ist, gelten Ausnahmeregeln.

Auch sie sei mal Deichläuferin gewesen, erzählt eine 85-jährige Frau, die sich mit Wanderstöcken in die kopfsteingepflasterten Gassen von Eisenhüttenstadt vorgewagt hat, um einen Blick aufs Wasser zu werden. „Da oben, wo ich wohne, sieht man ja nichts.“ Zu DDR-Zeiten sei es üblich gewesen, dass jeder Betrieb Deichläufer gestellt hat. 1958 sei das gewesen.

Auch Dietmar Woidke ist da

Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist gekommen, um sich ein Bild zu machen. Zwei schwarze Limousinen aus Potsdam parken im unteren Teil der Stadt. Woidke spricht mit betroffenen Hauseigentümern, freut sich, dass die Sandsäcke Schlimmeres verhindert haben, und bedankt sich bei Einsatzkräften von THW, Feuerwehr und Ehrenamtlichen.

Dann geht es weiter nach Ratzdorf, dorthin, wo 1997 das sogenannte Jahrhunderthochwasser gewütet hatte. Im Unterschied zu heute gab es dort damals noch gar keinen Deich. Woidke hat die Jacke ausgezogen, die Sonne scheint, das blütenweiße Hemd kontrastiert mit dem hinter ihm ruhig strömenden Oderhochwasser. Er trägt derbe Schuhe, keine Gummistiefel. So eine PR habe er nicht nötig, bedeutet einer seiner Mitarbeiter. So habe sich vielleicht mal Gerhard Schröder beim Elbehochwasser gezeigt. Aber hatte nicht Matthias Platzeck 1997 an der Oder Gummistiefel an? „Ja, aber da war auch wirklich mehr Wasser“, sagt der Mitarbeiter und lacht. Alle sind aufgeräumter Stimmung.

Im Hintergrund, mitten im Wasser, steht das legendäre Pegelhäuschen. Beim Hochwasser 1997 schrieb es Geschichte, als sein hoher Sockel fast gänzlich umspült wurde. Normalerweise steht es auf dem Trockenen. Damals erreichte die Oder an dieser Stelle mit 6,90 Meter ihren Höchststand. An diesem Mittwochnachmittag sind es nur 6,08 Meter. Ein Ratzdorfer rüttelt spaßhaft an der Spundwand, als wolle er prüfen, ob die Wand dem Wasserdruck standhalten kann. 1997 sei er hier „selbst mit abgesoffen“ erzählt er. „Einmal das Wasser zu Hause reicht.“

Zurück in Eisenhüttenstadt, früher Abend: Von einer Brücke aus sieht man die blauen Fahrzeuge des THW, es ist die Stelle an der die Sandsäcke gefüllt werden, angeblich 1.500 pro Stunde. 1997 habe es viel mehr Freiwillige gegeben, erzählt eine Radfahrerin. „Das war ein tolles Gemeinschaftserlebnis.“ Eine Reporterin von RTL habe mit Gummistiefeln im Wasser gestanden und bei der Livereportage immer von „Ratzeburg“ gesprochen, belustigt sich ein Sportler in Funktionskleidung.

In einigen Tagen dürfte die Hochwasserwelle den Nordosten Brandenburgs erreichen. Der Kreis Märkisch-Oderland hat bereits die unterste Alarmstufe ausgerufen.

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