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Kunstfestival „Steirischer Herbst“ GrazKultur, Polizei und alte Geister

Der „Steirische Herbst“ beginnt kurz vor den österreichischen Parlamentswahlen. Sein Motto „Horror Patriae“ wendet sich gegen Volkstümelei.

Horror Patriae: Blick in die Neue Galerie mit Bruegel'scher „Weinleise“ (1946) von Reinhold Ludwig Krassnig Foto: Universalmuseum Joanneum / J.J. Kucek, steirischer herbst '24

Dass das deutsche Popduo Modern Talking den inoffiziellen Soundtrack zur Peres­troika lieferte, weiß man vielleicht. Aber auch, dass ihr donnernder Synthieschlager die Lieblingsmusik von Kim Jung Un ist, dem Diktator Nordkoreas? Teilnahmslos stimmt der Sänger und Künstler Augustin Maurs auf der Bühne im Grazer Orpheum den Hit „Brother Louie“ an, nicht zu gefühlig darf er sein, kein Pathos, während er musikalisch in die Seele des despotischen Diktators vordringt.

Der Pianist haut derweil rabiat in die Tasten, um dem Trash von Modern Talking noch ein bisschen mehr Stumpfheit abzuringen. Jörg Haider, der sportliche, Tracht-tragende Faschist und daher auch als „Feschist“ bezeichnete FPÖ-Politiker, sang noch kurz vor seinem Tod 2008 „Pfiat Gott, liabe Alm“.

Auch das ist an diesem seltsamen Chanson­abend zu hören. Haiders einstiger Vertrauter Herbert Kickl tritt nun bei den Nationalratswahlen als FPÖ-Kanzlerkandidat an. Maurs lässt jedoch den Refrain des Volkslieds ganz schnell wieder abklingen, als sei es nur ein Phantom.

Wie eine Oase mitten in der Wüste

Der brüchige Liederabend ist wie ein Sinnbild für das kürzlich eröffnete Grazer Kunstfestival Steirischer Herbst. Der Widerspruch zwischen seinem oft gesellschaftskritischen Programm und dem konservativen bis rechten Umfeld ist seit seiner Debütausgabe 1968 charakteristisch. Und die jetzige Intendantin Ekaterina Degot, Kunsthistorikerin aus Russland und Putinkritikerin, zündelt immer wieder an seinen Grenzen.

Steirischer Herbst Graz

„Horror Patriae. Steirischer Herbst ’24“: Neue Galerie Graz/Österreich, bis 16. Februar 2025; Performancefestival bis 13. Oktober 2024

Am Vorabend der Eröffnung musste sogar die Polizei einschreiten, weil der in Wien lebende Künstler Yoshinori Niwa (geboren 1982) in Degots Auftrag ein großes Fake-Wahlplakat direkt am Ausgang der Stadtbrücke installiert hatte.

Fratzenartige, KI-generierte Wohlstandsmenschen schwingen darauf vor Alpenpanorama eine Käsekrainer-Wurst und werben mit der verdrehten Nazi-Sentenz „Jedem das Unsere“ für die „Ehrlichste Partei Österreichs“, kurz EPÖ. Die verballhornte FPÖ forderte sogleich eine Kürzung der Fördermittel für das Festival. Auch Graz ist im Wahlkampfmodus.

Täuschend echte Slogans

An jedem barocken Platz werben die Parteien mit ihren Giveways. Die Poster des Steirischen Herbsts in den Geschäftsvitrinen scheinen in den Chor von Logos und Slogans aller Wahlkampfparteien einzustimmen, würde ihre Message nicht so arg mit ihnen disharmonieren: „Horror Patriae“ ist das Motto der diesjährigen Ausgabe.

Erschreckendes Vaterland bedeutet der Titel in etwa. Erschreckend ist das vielleicht auch für die politisch Rechtsextremen, für deren Verständnis Kultur stets heimatbejahend sein sollte. Doch noch bleiben etwaige Drohungen der FPÖ leer, dem Festival die finanzielle Förderung zu entziehen, speist sich doch der Steirische Herbst aus Mitteln der Stadt Graz mit seiner kommunistischen Oberbürgermeisterin, dem konservativ geführten Kulturressort der Steiermark und dem Bundeskulturministerium.

Ihm steht zumindest bis zur anstehenden Nationalratswahl am Sonntag mit Werner Kogler ein Grüner vor. Ein politisch recht gemischtes Förderkonglomerat, das macht dieses Festival wenigstens ein bißchen immun gegen einen drohenden Rechtsruck in Österreich. Anders als in der benachbarten Slowakei, wo sich Ministerin Martina Šimkovičová mehr Volkstümlichkeit in der Kultur wünscht und dafür rabiat gegen eine progressive Kunstszene vorgeht.

Lokalpatriot Johann

In Graz rückt Intendantin Ekaterina Degot derweil tief in die museale Geschichte der Stadt vor, macht sie zu einem Fallbeispiel dafür, wie sich die fixe Idee einer „Heimat“ über Jahrhunderte in ihr einschreiben konnte. Die Kunstausstellung findet in der Neuen Galerie statt, einem Teil des von Erzherzog Johann einst gegründetem Universalmuseums Joanneum. Johann (1782–1859), der Habsburger, der eine Bürgerliche ehelichte und noch heute als steirischer Lokalpatriot gefeiert wird.

In den nur dunkel ausgeleuchteten Ausstellungskabinetten des neobarocken Museumsbaus begegnen einem die alten Geister der Sammlung, etwa eine Kassette mit Napoleonporträt, die noch um 1900 einen Personenkult um den europäischen Herrscher bezeugt, ein heute recht kurioses, um 1910 wohl eher typisches Freizeitfoto von Sigmund Freuds Söhnen in steirischer Tracht.

Ein Druck vom Avantgardisten Fer­nand Léger mit römischer Frauenbüste und Kaktustopf – Léger sollte wohl nach 1945 damit beauftragt werden, den Grazer Hauptbahnhof mit einer Wandmalerei auszustatten und damit die NS-Vergangenheit der Stadt mit einer fröhlichen Moderne zu übertönen, doch daraus wurde nichts.

Verdrängte Ideologien

Die Ideologien der Geschichte und ihre Verdrängung wiegen schwer auf diesen Objekten. So schwer, dass die Ku­ra­tor:in­nen zwei riesige Gemäldeschinken derart schräg von der Wand hängen lassen, sie drohen einen glatt zu erschlagen. Eines davon zeigt eine Weinlese in Bruegel’scher Orgienhaftigkeit. Sein Urheber, der Maler Reinhold Ludwig Krassnig, war während des Zweiten Weltkriegs aus Mallorca in die Steiermark zurückgekehrt, um sie nach 1946 sofort wieder zu verlassen.

Wer ist denn hier das authentische Kürbis­gewächs? Aus der Videoinstallation „Pumpkinville“ (Club of Opportunities, Episode 9) Foto: Jakub Jansa, 2024

Das macht seine groteske Landidylle noch etwas rätselhafter. Die historischen Artefakte sind in der Ausstellung wie Triggerpunkte in die Gegenwart. Hinter Krassnigs Orgie flimmern Jakub Jansas (geboren 1989) comichafte Kürbiskreaturen auf Bildschirmen. In einer Art Fernsehtalkshow behaupten sie je von sich, doch ein traditionelles Gemüse zu sein. Aber wessen Tradition beanspruchen sie?

Eine Landkarte von 1681 zeigt die Steiermark in der Form des Kriegsgottes Mars – die Steiermark als Bollwerk gegen den islamischen Osten. Das Narrativ nahmen die Nazis wieder auf und auch jetzt schimmert es erschreckend durch die Asyldebatte im Wahlkampf durch. Nur wenige Meter entfernt läuft der Film „Noreia“ von Jan Peter Hammer (geboren 1970).

Umstrittene Geschichte

In dokumentarischen Bildern erzählt er, wie der Landesarchäologe der Steiermark zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine vorgefundene keltische Siedlung mit einer germanischen Schlacht aus vorchristlicher Zeit ideologisch verwoben hat. Bis heute hadern Dorf­be­woh­ne­r:in­nen damit, dass ihre vermeintlich stolze Lokalgeschichte wissenschaftlich längst umstritten ist.

Woanders lässt sich die ukrai­nische Künstlerin Alina Kleytman (geboren 1991) auf einem Bildschirm eine riesige Zunge aus dem Schlund wachsen. Der russische Angriffskrieg in der Ukrai­ne, er ist auch Kampf gegen Kultur und Sprache, man droht an seiner eigenen Sprache zu ersticken.

Die Ausstellung des Steirischen Herbsts ist eine sehr kuratierte Schau, jedes Objekt hat hier seinen Platz. Man wird umschlungen von den Ideologien der Vergangenheit, um sie sogleich durch den Blick der Gegenwartskunst wieder dekonstruiert zu sehen. Mit welcher Erkenntnis kommt man da wieder raus? Dass „Heimat“ nur Erzeugnis von den manchmal selbst widersprüchlichen Protagonisten der Geschichte ist, so vage wie wandelbar – und deswegen so gefährlich. Stimmt: Horror Partriae.

Recherchen zu diesem Artikel wurden vom steirischen herbst ’ 24 unterstützt.

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