Großbritanniens „Reform UK“ im Parteitag: Beste Stimmung im Farage-Fanclub
Die rechtspopulistische Kraft von Nigel Farage sieht sich im Aufschwung. Beim Parteitag in Birmingham ist sogar vom Wahlsieg 2029 die Rede.
Norman Maclean fällt durch seinen Schottenrock auf, dabei kommt der 54-jährige aus Luton nördlich von London. Das Kleidungsstück ist eine Referenz an die Herkunft seines Vaters. Im Wahlkreis Luton South kandidierte er sich bei den jüngsten Unterhauswahlen für Reform UK und landete auf dem vierten Platz. Jetzt hofft er auf „gute Stimmung“ im Messezentrum. „Die Zukunft wird strahlend sein“, schickt er gutgelaunt hinterher.
Tatsächlich strotzen die britischen Rechtspopulisten derzeit vor Selbstbewusstsein. Erstmals gelangte ihnen am 4. Juli mit fünf Direktmandaten der Sprung ins Unterhaus, mit 14 Prozent holte die Partei von Nigel Farage den dritten Platz.
Nach Angaben von Reform UK wurden 4000 Tickets für den Parteitag verkauft. Reges Treiben herrscht im Foyer mit seinem retrofuturistischen Raumschiffcharme, der Bierausschank ist schon vor Beginn stark frequentiert. In der Mitte des Foyers hat GBNews, das britische Pendant des ultrarechten US-Senders Fox News, ein Fernsehstudio aufgebaut, in Erwartung von Nigel Farage.
Der Bierausschank ist stark frequentiert
In erster Linie hat Reform UK ihm den Wahlerfolg zu verdanken. Nigel Farage, der mit seinen Kampagnen Großbritannien in den Brexit trieb und danach die von ihm gegründete und bei den Europawahlen 2019 erfolgreiche „Brexit Party“ in „Reform UK“ umbenannte, hatte eigentlich nach dem EU-Austritt der Politik den Rücken gekehrt und trat als Moderator bei GBNews auf. Aber als der letzte Tory-Premier Rishi Sunak überraschend Wahlen für den 4. Juli ansetzte, kam er zurück. Jetzt sitzt er im Unterhaus.
Unbestritten genießt Farage eine gewisse Popularität, weil er es geradezu meisterhaft versteht, sich in der Öffentlichkeit als Sprachrohr des sogenannten kleinen Mannes auszugeben. Reform UK ist praktisch ohne ausgearbeitetes Wahlprogramm auf einer Welle der Zustimmung ins Parlament geritten, die sich ohne Farages kurzentschlossene Kandidatur im Wahlkreis Clacton gar nicht erst aufgebaut hätte.
Dementsprechend ist die Choreografie des Parteitages ganz auf Farage zugeschnitten. Aus den Lautsprechern erklingt Eminems „Without Me“ als er, umringt von Security und Fotografen, die Halle betritt und durch die Reihen der Zuschauer schreitet, die ihn mit „Nigel, Nigel“-Rufen frenetisch bejubeln. Sobald er auf die Bühne tritt, wird um ihn herum ein Feuerwerk gezündet.
Während seiner frei gehaltenen Rede schaltet er sofort auf Attacke. Keir Starmer bescheinigt er, schon zu Beginn seiner Amtszeit so unbeliebt zu sein wie kein Premier vor ihm. Demonstrativ setzt er sich eine, wie er verlautet, „teure Brille“ auf, die er aber selbst bezahlt habe – eine Anspielung auf den ersten größeren Labour-Skandal – die Affäre um Freundschaftsdienste und Werbegeschenke für Starmer und seine Frau, darunter mehrere Luxusbrillen im Wert von 2485 Pfund. Aber auch die Konservativen, die erstmals nach 14 Jahren an der Macht wieder die Oppositionsbank drücken müssen und derzeit nach einer neuen Führung suchen, bekommen ihr Fett weg: „Die Marke ‚Tory‘ ist am Ende“. Bleibt: Reform UK.
Auf der Bühne erklärt Farage, ganz stolzer Vater, seine Partei endlich für erwachsen und nimmt seine Parteigänger auch gleich in die Verantwortung, überall Ortsvereine zu gründen, um in die Kommunalparlamente einzuziehen. Bei den Kommunalwahlen im Mai nächsten Jahres möglichst viele Sitze in Gemeinderäten und Stadtparlamenten zu ergattern.
Ziel: Wahlsieg 2029
Den Vorwurf, in seinem eigenen Wahlkreis kaum anwesend zu sein, ja bisher nicht einmal Bürgersprechstunden anzubieten, hatte Farage vergangene Woche mit dem Hinweis auf seine prominente Stellung gekontert. Obwohl während Farages Auftritt auf die Leinwand hinter ihm Ansichten von Clacton-On-Sea projiziert werden, scheint ihm das Tagesgeschäft des Wahlkreisabgeordneten einfach ein paar Nummern zu klein. Seit Beginn der Legislaturperiode weilte er aber schon dreimal in den USA, zu Anlässen in Donald Trumps politischen Umfeld.
Seine Vorredner in Birmingham geben sich sowieso überzeugt davon, dass Farage 2029 in 10 Downing Street einziehen wird, und auch Farage selbst schwört die Anwesenden auf das Ziel ein, Reform UK zur Gewinnerin der nächsten Parlamentswahlen zu machen.
Wenig überraschend, bemüht Farage die „schweigende anständige Mehrheit im Land“, die sich mit einem „kaputten Großbritannien“ konfrontiert sehe. „Britain is broken“ – wie ein Mantra zieht sich diese Phrase durch alle Redebeiträge, im seltsamen Kontrast zur nüchternen Funktionalität des Messezentrums, in dem ein ethnisch gemischtes Servicepersonal für den reibungslosen Ablauf sorgt, während Farage und seine Parteikollegen für praktisch alle Probleme des Landes die ihrer Meinung nach außer Kontrolle geratene Einwanderung ins Königreich verantwortlich machen.
Der Fokus auf das Thema Einwanderung ist ganz nach dem Geschmack des Publikums. In der Konferenzpause verweigern einige Besucher das Gespräch mit der Presse. Immerhin äußert Pamela Taylor, eine Rentnerin aus Wales, gegenüber der taz, dass sie eigentlich nichts gegen Einwanderung habe, aber ihr mache Sorgen, dass der Islam sich in den Schulen, Schulbehörden und in der Führung der Polizei ausbreitet. „In jede Organisation gelangen immer mehr Muslime. Mag sein, dass sich die Dinge gar nicht so sehr ändern, aber ich denke, dahinter steckt ein größerer Plan,“ sagt sie.
Für Norman Maclean, den Reform-Kandidaten aus Luton, der sich nun ein Bier gönnt, ist Einwanderung „zu hundert Prozent“ der Grund für sein Engagement, da sie „die Menschen in diesem Land tötet“. Sie würde „jeden ärmer machen, weil sie auch für den Anstieg der Lebensmittelpreise und der Mieten sorgt“, fügt Maclean hinzu, der nicht nur Sohn eines Schotten, sondern auch einer Süditalienerin ist.
Wogegen die Partei ist, ist klar – aber nicht, wofür
Angesichts der Dominanz dies Themas gerät ein wenig in den Hintergrund, dass Reform UK tatsächlich auch in voller Fahrt auf die Kulturkampfschiene setzt. Jeglichen Bemühungen um mehr Diversität in allen Gesellschaftsbereichen erteilen sie eine Absag, erklären Multikulti für gescheitert, stellen Transgenderrechte infrage, erklären die kritische Aufarbeitung britischer Kolonialgeschichte für unpatriotisch, verschmähen Veganismus und brandmarken das Streben nach Netto-Null-Emissionen bis 2050 als schädlich.
Welche eigene Agenda die Partei zu verfolgen gedenkt, bleibt demgegenüber unklar. Verurteilen die einen Redner die Labour-Regierung scharf dafür, dass diese im kommenden Winter Heizzuschüsse nur noch für die bedürftigsten Rentner auszahlt, singt der Abgeordnete Rupert Lowe das Hohelied des schlanken Staates im Sinne Maggie Thatchers, bevor er sich in konspirativen Narrativen über ein Großbritannien unter der Fuchtel supranationaler Institutionen und Covid-Impfungen als Massenexperiment ergeht.
Es ist wohl der bisher undemokratischen Verfasstheit von Reform UK zu verdanken – die Partei war bisher juristisch ein Unternehmen im Besitz von Nigel Farage, aber das soll sich jetzt ändern – dass die etatistischen und die libertären Strömungen innerhalb der Partei noch gar keine Gelegenheit hatten, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Am Samstagmorgen stimmen die Konferenzmitglieder per Hand mehrheitlich für ein Parteistatut, das den Mitgliedern überhaupt erst ein Recht gibt, über Inhalte und Personal mitzureden.
Nun wird sich zeigen, ob aus Reform UK eine breiter aufgestellte Partei mit streitenden Flügeln wird oder ein Farage-Fan-Club bleibt.
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