Film über Kriegsfotografin Lee Miller: Sie will das Grauen dokumentieren

In „Die Fotografin“ beschreibt Ellen Kuras das schillernde Leben der Lee Miller. Die Hauptdarstellerin Kate Winslet trägt den Film mit Leidenschaft.

Szene aus dem Film: Lee Miller, gespielt von Kate Winslet, steht in einem Raum mit Blumentapete und fotografiert etwas vor ihr mit konzentriertem und entsetztem Blick

Der weibliche Blick auf den Krieg: Kate Winslet als Lee Miller in „Die Fotografin“ Foto: Studiocanal

Zwischen „gaze“ und „view“ gibt es einen Unterschied. Der „gaze“ bezeichnet den Blick, aber auch das Starren; als „male gaze“ beschreibt er die Art und Weise, wie (Hetero-)Männer Frauenkörper wahrnehmen, und als Künstler, Regisseure oder Kameramänner darstellen. Der „male gaze“ ist somit zuweilen geprägt vom eigennützigen Begehren des Mannes, er kann den Frauenkörper objektifizieren. Beim „view“ dagegen wird die Intention des oder der Schauenden in Frage gestellt; er beschreibt ebenso eine Haltung wie einen Blick. Ein anderer „view“, eine andere Sichtweise kann den Horizont erweitern – vor allem, wenn es der „female view“ ist, der bei der Beschreibung unserer Welt lange nur eine Nebenrolle spielte.

Dass unsere Gesellschaft es dringend nötig hat, sich für diese Unterschiede und ihre Bedeutung zu sensibilisieren, ist ein Fakt. Denn es geht beim Berichten, beim Darstellen und Erzählen immer auch um eine Deutungshoheit: Das, was erzählt wird, ist wichtig. Allein die Auswahl ist eine subjektive Entscheidung.

Ein WW2-Foto aus den Quartieren der Soldatinnen des sogenannten Auxiliary Territorial Service, auf dem man vor einem Barackenfenster notdürftig zum Trocknen aufgehängte Damenunterwäsche, Strümpfe, Unterhosen, BHs sieht, eignet sich gut für die Horizonterweiterung. Es beweist, auf welch allgegenwärtige und alltägliche Dinge der Schrecken eines Krieges sich mitunter reduzieren lässt. Und wie tief er in die Intimität eindringt – in die der „Verlierer“ ebenso wie in die der „Gewinner“.

Auch ein solches Foto ist also ein „Beweis“. Es ist eines der Bilder, mit denen das ehemalige Model Lee Miller als (Kriegs-)Fotografin weltbekannt wurde. Ellen Kuras’ Biopic „Lee“ (deutscher Titel „Die Fotografin“) wird gerahmt durch ein Interview, das Miller (Kate Winslet) Jahrzehnte nach dem Krieg einem jungen Mann namens Tony (Josh O’Connor) gibt.

Von „Schönheit“ gelangweilt

Die Erzählung setzt an, als Miller, mittlerweile etablierte und von „Schönheit“ gelangweilte Fotografin, mit freiheitsliebenden Freun­d:in­nen wie den surrealistischen Künst­le­r:in­nen Paul und Nusch Éluard (Vincente Colombe, Noémie Merlant) einem Bohemien-Leben in den Bergen Cornwalls frönt. Es ist kurz vor Hitler, doch gerade die Künst­le­r:in­nen der Zeit verkennen die Gefahr – halbnackt schart man sich scharfsinnig plaudernd um die lange Wein-und-Käsetafel im malerischen Garten oder schaut rauchend die Wochenschau und kann nicht glauben, dass die „hässlichen Nazis“ eine solche Macht entwickeln.

„Die Fotografin“. Regie: Ellen Kuras. Mit Kate Winslet, Alexander Skarsgård u. a. Vereinigtes Königreich 2023, 116 Min.

Als der britische Kunstsammler und Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgård) die illustre Runde vervollständigt, wird die trotz Hedonismus tendenziell eher desillusionierte, zudem auch noch mit einem anderen Mann verheiratete Lee aufmerksam. Zwischen den beiden entwickelt sich eine große Liebe, es wird die größte in beider Leben.

Doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg mit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Deutschen auf Polen. Und je mehr Europa in diesen Krieg hineingezogen, von ihm gebeutelt wird, desto stärker fühlt die Film-Miller das Bedürfnis, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Alliierten zu stellen. Die englische Vogue in Form der feministisch denkenden Editorin Audrey Withers (Andrea Rise­borough) druckt, nach einigen Anfangsschwierigkeiten, Millers surrealistisch beeinflusste Bilder von Frauen mit Schutzmasken oder einem eleganten Model, das vor einer Karte mit Kriegsschauplätzen steht.

Der „Blitz“ macht England 1940 ebenfalls zum Kriegsschauplatz, die britische Regierung gestattet der inzwischen mit Penrose in London lebenden Fotografin allerdings aus Sicherheitsgründen keine Reise an die Front, denn den „embedded journalism“ erachtet man als zu gefährlich für eine Frau. Anders die US-Regierung: Durch ihren amerikanischen Pass gewährt man ihr den Status. Gemeinsam mit dem US-amerikanischen Fotografen David Scherman (Andy Samberg), der ein enger Freund wird, reist Lee mitten in den Krieg, schaut in die Quartiere, Baracken und von Schmerz und Leid geprägten provisorischen Krankenzelte, fotografiert Unfassbares. Und schickt die Bilder ihrer verlässlichen Freundin Audrey.

Das Thema der „verfilmten Fotografien“

Regisseurin Kuras, die mit „Lee“ ihren ersten Film inszeniert, aber auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Kamerafrau zurückschaut, geht das Thema der „verfilmten Fotografien“ ähnlich an wie viele Re­gis­seu­r:in­nen vor ihr. Anhand berühmt gewordener Schnappschüsse oder gestellter Fotos schickt sie ihr Publikum durch Lees Erleben bis hin zum Kriegsende, das auf ikonischen Momenten völlig unterschiedlicher Natur festgehalten wird: Dem (mit Schermans Hilfe entstandenen) Foto von Miller in Hitlers Münchner Badewanne, kurz nach dessen Selbstmord im Bunker, welches das surreale Element perfekt einfängt; und den unbeschreiblichen Bildern der KZ-Gräuel.

Trotz der Bedeutung dieser Fotos und der authentischen Kamera­arbeit Paweł Edelmans, die sich mit dem Kriegsausbruch von opulent-weit-bunt zu schmerzhaft-eng-grau verändert, gestattet Kuras ihrer Hauptfigur nur eine recht kleine eigene Dramaturgie. Denn von Anfang an ist Lee auf der „richtigen Seite“, von Anfang an weiß sie, was sie will: Kuras lässt ihre Hauptfigur aus moralischen Gründen zur Kriegsreporterin werden. Sie will das Grauen dokumentieren. Was sich entwickelt, das ist einzig das Trauma, das Lee – wie viele andere Zeu­g:in­nen – nie wieder verlassen wird.

Ihr weiblicher Blick, überhaupt der Blick von Kriegsreporterinnen hat trotzdem Bestand und Bedeutung. Intensiver und mit einer ambivalenteren Erzählhaltung als in ­Kuras’ Spielfilm wurde er jedoch just in Buch- und Dokumentarform erforscht: Judith Mackrells Sachbuch „Frauen an der Front“ über Miller und Kolleginnen wie Martha Gellhorn, Helen Kirkpatrick und Clare Hollingworth kann man viel von der anfänglichen Begeisterung der Protagonistinnen für den Krieg entnehmen.

Und in der 2023 im Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation „Drei Frauen – ein Krieg“ von Luzia Schmid, die auf der Tonebene ausschließlich originale Tagebucheinträge und Briefe der Reporterinnen Miller, Gellhorn und Margaret Bourke-White zitiert, drücken die Porträtierten anfangs ebenfalls enthusiastische Erregung aus. Erst sukzessive weicht ihr freudiger Kriegstaumel Angst, Entsetzen und Verzweiflung. Ihr „view“ verändert sich, angesichts der unfassbaren Schrecken kommt ein verstörter „gaze“ dazu. Diese Veränderung bleibt ­Kuras ihrer Protagonistin schuldig.

Winslets große Portion stetiger „grumpyness“

Unabhängig von den Vereinfachungen auf der erzählerischen Ebene wird „Lee“ von seiner Hauptdarstellerin Kate Winslet dennoch mit Leidenschaft, absolutem Vertrauen in die Geschichte, einer großen Portion stetiger „grumpyness“, die sie Lee mitgibt, und – wie man hört – auch sehr viel Kapitaleinsatz getragen: Aus eigener Tasche zahlte Winslet ein paar Wochen lang sämtliche Gagen, weil die Dreharbeiten sonst hätten ruhen müssen.

So ist der Film, der auf dem Buch von Lee Millers Sohn Antony beruht und ihm am Ende eine besondere Rolle zukommen lässt, trotz seiner harten Geschichte vor allem eine Hommage; ein bewundernder, vermutlich ein liebender Blick auf eine zunächst durch das Leben verwöhnte, dann gestählte, am Ende desillusionierte Frau. Deren Fotos sind über jeden Zweifel erhaben: Sie demonstrieren, wie Frauen den Krieg wahrnehmen. Und beweisen gleichzeitig, dass seine Zerstörungswut kein Geschlecht kennt.

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