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Alltag im Krieg im Südlibanon„Der reinste Horror“

Im Dorf Mardsch Uyun sind die Kämpfe zwischen Israel und der Hisbollah in Hörweite. Wer es sich leisten kann, geht und wer bleibt, lebt in Angst.

Im Südlibanon und auch in Nordisrael derzeit Alltag: Luftangriffe, wie hier nahe Mardsch Uyun im Südlibanon Foto: Karamallah Daher/rtr

Mardsch Uyun taz | Der Litani im Südlibanon ist nicht, wie meist geschrieben, ein Fluss, sondern eher ein kleiner Bach. Er trennt den südlichsten Teil des Libanons, unweit der israelischen Grenze, vom Rest des Landes. Gleich danach kommt der letzte Checkpoint des libanesischen Militärs.

Und dann beginnt die Gefahrenzone: Jederzeit könnte die Hisbollah aus einem der Täler dort Raketen abfeuern, die sie dort in unterirdischen Anlagen versteckt hält. Jederzeit könnten auch israelische Artilleriegranaten einschlagen oder die Luftwaffe des südlichen Nachbarlandes einen Angriff fliegen. Die dunklen Flecken verkohlter Vegetation bezeugen die letzten Kampfhandlungen. Und in der Luft sind ständig israelische Aufklärungsdrohnen zu hören.

Nur wenig hinter dem Litani liegt das Dorf Mardsch Uyun, in dem Christen und schiitische Muslime leben. Von hier sind es gerade einmal acht Kilometer zur israelischen Grenze. Die Hügelkette, in der die grenznahe israelische Ortschaft Metulla und zahlreiche israelische Militäranlagen liegen, ist vom Rand Mardsch Uyuns klar am Horizont zu sehen.

Im Dorf selbst ist nichts los, die meisten Läden sind geschlossen. Nur wenige Autos fahren die Hauptstraße entlang. Weit über die Hälfte der Einwohner, vor allem Familien mit Kindern, sind in den Norden geflohen, meist in die Hauptstadt Beirut.

„Ein Kind wurde vor Angst ohnmächtig“

Assad Abu Abbas ist in Mardsch Uyun geblieben. Er erinnert sich: Als es vor gut einer Woche zu dem bisher schwersten Schlagabtausch zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee kam, habe er die Angriffe gehört. „Bumm, bumm, bumm hat es gemacht“, erzählt Abu Abbas und macht mit jedem Bumm mit seinen Armen eine Bewegung, die anfliegende und einschlagende israelische Raketen symbolisieren soll.

„Zwanzig Minuten ist das so gegangen. Kurz darauf begann die Hisbollah, ihre Raketen abzufeuern“, blickt er zurück. „Es war der reinste Horror“, sagt er. Laut israelischen Angaben waren über hundert Kampfjets im Einsatz. Die Hisbollah feuerte wiederum über 300 Raketen in Richtung Israel ab.

Auch Natalie hatte damals Angst, ihr Haus zu verlassen. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Die Menschen sind hier vorsichtig. „Von fern und nah waren Explosionen zu hören“, sagt sie rückblickend. „Wir saßen herum, ich machte mir Sorgen um die Kinder. Eines hat seine Hand auf sein Herz gedrückt, ein Kind ist vor Angst ohnmächtig geworden. Das war furchtbar“, erzählt sie.

Südlibanon und Nordisrael Infografik: Grafik: taz

Die Familie ist nicht nach Beirut geflohen. Sich in der Großstadt eine Wohnung zu mieten, kann sie sich nicht leisten. Denn seit einem Jahr habe die Familie praktisch kein Einkommen mehr, erzählt Natalie. „Wir versuchen, irgendwie ein normales Leben zu führen. Immer wieder mache ich meinen Laden auf, aber keiner kommt.“ Die Menschen hätten kein Geld mehr. Trotzdem müssten die Rechnungen bezahlt werden. „Wir sind am Ende. Wir möchten, dass dieser Krieg vorbeigeht. Er dauert jetzt bald ein Jahr. Weißt du, wie lang ein Jahr ist, wenn du keine Arbeit hast und es um dich herum dauernd kracht?“, fragt sie.

Auch der Kellerraum schützt nicht mehr

Das alles hinterlasse seine Spuren: „Frag jeden unserer Nachbarn. Alle nehmen Psychopharmaka. Wir leben jeden Tag diesen Horror. Es gibt keine Pause, du kannst nie durchatmen. Wir fragen uns immer, ob die nächste Rakete in unsere Richtung fliegt.“

Auch die Kinder ihres Bruders Toni, der ebenfalls seinen Nachnamen nicht nennen will, bräuchten psychologische Hilfe. Er erzählt: „Meine älteste Tochter hat Angstzustände. Selbst wenn es an der Tür klopft, rennt sie weg und versteckt sich.“ Bei Toni wechseln sich Hoffnung und Verzweiflung ab. „Wir halten das nicht mehr aus.“ Es gebe hier ein Sprichwort, sagt er: „Du bist tot, nur dein Begräbnis ist verschoben.“ Natalie, die neben ihm sitzt, nickt.

Im hinteren Teil des Hauses der Familie gibt es eine hölzerne Klappe im Boden. Dort kann man in einen Kellerraum hinabsteigen, der ist gerade einmal zwei auf drei Meter groß. In diesem Raum hätten sie sich bei früheren Kriegen – und auch bei dem letzten großen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 – immer versteckt, erzählt Natalie.

Aber heute mache das keinen Sinn mehr. Die modernen israelischen Raketen hätten eine zu große Durchschlagskraft, sagt sie. Stattdessen sitzt die ganze Familie nun bei jedem Angriff zusammen in einem Raum des Hauses, erzählt sie. Und hofft, dass sie alle verschont bleiben.

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10 Kommentare

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  • Wer hat der Hisbollah eigentlich erlaubt, die (libanesische) Bevölkerung als Geiseln zu nehmen? Scheint ein beliebte Strategie bei palästinensischen Gruppen zu sein.

    • @vieldenker:

      Hisbollah eine "palästinensische Gruppe"? What?! Sie sind neu in diesem Bereich oder?

      Und warum die Bevölkerung als Geisel nehmen? Wer erlaubt Israel seine Staatsbürger als Geisel zu nehmen, in dem sie immer mehr Menschen in besetzte Gebiete verfrachten. Achso die "menschlichen Schutzschilde" meinen sie ja gar nicht oder?

    • @vieldenker:

      Und woher haben Sie den Glauben, dass die Hisbollah eine "palästinensische Gruppe" sei?

  • Die Menschen im Libanon tun mir leid. Sie sind die Opfer des vom Iran initierten Krieges gegen Israel. Die Hizbollah hatte am 07. Oktober 23 fast zeitgleich mit der Hamas den Krieg gegen Israel begonnen.

    An ihrer Spitze stehen schiitische Gelehrte; als oberste geistliche Autorität Irans Chameini.

    Die Hizbollah ist international als Terrororganisation anerkannt.

    Die Hizbollah unterstützt Assad.

    Man wünscht Israel viel Erfolg damit sich gegen diese vom Iran bestens ausgerüstete Terrortruppe zu verteidigen, die übrigens zudem viel Geld mit Drogenschmuggel verdient.

    Die Hizbollah ist ein Staat im Staate, gefürchtet von der Bevölkerung, ähnlich wie die Hamas.

    Alles Gute für Libanons Bevölkerun!. Vielleicht können sie sich irgendwann von der Hizbollah und dem iranischen Imperialismus befreien.

    • @shantivanille:

      Wow....also Israelis haben auch Angst vor ihrem Kriegskabinett. Demonstrieren gegen deren Politik etc.

      Der Rest ist zwar toll niedergeschrieben, aber viel ist davon nicht wahr. Waren Sie selbst mal im Libanon? Nein oder?

      Ich selbst bin durch das Hisbollah-Viertel in Beirut mehrere Male gewandert und siehe da ich lebe noch. Es gab keine Anfeindungen etc.

      Dis Hisbollah hat keine Machtfunktion wie sie es die Hamas in Gaza hat. Sie stellt zusammen mit der lib. Armee die Sicherheitskräfte. Unter anderem auch dadurch das Libanesen diesem mehr Erfahrung und Unterstützung beimessen als der schwachen lib. Armee.

    • @shantivanille:

      Die Hisbollah ist durch die israelische, illegale Besatzung im Südlibanon entstanden und hat die israelische Armee Anfang 2000 erfolgreich vertrieben. Daher hat sie Rückhalt in Teilen der Bevölkerung. Sie einfach nur als Handlanger des Iran darzustellen greift zu kurz. Sollten das Regime im Iran zusammenbrechen, wird es die Hisbollah weiterhin geben. Es ist richtig, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Hisbollah ablehnt aber ebenso halt auch die Politik Israels. Sollte die Hisbollah sich irgendwann auflösen, werden die Libanesen nicht automatisch zu Freunden Israels, dafür wiegt die Geschichte zu schwer.

  • Die Durchsetzung der un Resolution liegt wohl nicht im Interesse der teheraner ajahtollahs.

    • @Trebla:

      Die Durchsetzung der un Resolution liegt wohl nicht im Interesse der westlichen Staaten.

      Sie wissen schon dass die UN-Resolution mehr als nur die Anforderungen an die libanesische Seite hat, oder? Es waren die französischen UNIFIL-Truppen die nach Etablierung des Mandats als erstes anfragen ließ die Überflüge isr. Jets über den Libanon unterbinden zu dürfen...bis heute fehlt das Go.



      Später gab es auch die Anfrage die lib. Aufrüstung im Süden Libanons unterbinden zu dürfen ... bis heute fehlt das Go.

  • Ich fordere die Durchsetzung der UN Resolutionen im Libanon, konkret also die Entwaffnung von Hisbollah (z.B. durch den Libanesischen Staat, eine UN Mission, die Arabische Liga) und die darauf folgende Demilizatisierung des Streifens in dem die Familie lebt. Dann sind sie sicher und sie verdienen Sicherheit.

    Eigentlich ist es Aufgabe libanesischer Polizei ihre Territorium zu kontrollieren und Angriffe der Hisbollah zu verhindern - wie es einige Drusen Gemeinden ja erfolgreich geschafft haben.

    • @ToSten23:

      Sie sollen sich Sicherheit verdienen? Müssen die Israelis auch was machen, um sich ihre Sicherheit zu verdienen? Zweistaatenlösung?