piwik no script img

Interviewband über Musik und KarriereDer ganz normale Wahnsinn

Ein Interviewband befragt Indie-Musiker:in­nen nach ihrer Idee von Lohnarbeit. Die Gespräche sind vertraut, aber plätschern teils vor sich hin.

Je weniger Bohei um die Kunst, desto besser: Berliner Musikerin Albertine Sarges Foto: Sophie LeRoux

Gewohnheitsmäßige Abläufe, die uns zivilisieren – routiniert sind die bürgerlichen Abhandlungen, die wir als Alltag definieren, gleichgestellt mit Tugenden wie Reinlichkeit und Pünktlichkeit. Weicht jemand davon ab, wird diese(r) entweder als Bohème, faul oder unverantwortlich gescholten. Inzwischen manchmal auch: als freigeistig und kreativ.

Das Kün­s­te­r*­in­nen­da­sein ist prädestiniert für eine Aneinanderreihung von Vorurteilen, seien sie noch so negativ oder positiv. Allen voran die Beschäftigung jenseits der Bühne, den Mühen der Ebene. Aber passt solch ein unspektakulärer Alltag überhaupt zur Künstlerexistenz? Ab wann ist Musikmachen kein Hobby mehr, sondern Beruf(ung)?

Dass es zwischen dem einen und dem anderen Extrem (Frei-)Räume gibt, zeigt der Interviewband „Kommst du mit in den Alltag?“, den der Kulturhistoriker Andre Jegodka beim Mainzer Ventil Verlag herausgegeben hat. Der vor allem als Konzertveranstalter Tätige arbeitet seit vielen Jahren für die Musikindustrie und untersucht anhand von 15 Interviews „Mythen und Koordinaten, zwischen denen sich der Popkosmos aufspannt“.

Zwischen Sommer 2022 und Winter 2023 ist Jegodka mit Martin Schüler, Albertine Sarges und Theresa Graf unterwegs gewesen, um mit diesen drei Mu­si­ke­r*in­nen im deutschsprachigen Raum Routinen in einer Art Feldforschung zu untersuchen.

„Verdorbenes Unwort“

„Kommst Du mit in den Alltag?“

Andre Jegodka (Hrsg.): „Kommst du mit in den Alltag? Lebenswelten von Mu­si­ker*in­nen“, Ventil-Verlag Mainz, 2024, 220 Seiten, 16,80 Euro

Alle Interviews sind in die Kategorien Karriere, Alter, Geld, Arbeit und Umfeld unterteilt und Kulturjournalist Schüler führt zu Beginn mit dem „verdorbenen Unwort Karriere“ ein, dessen Definition sich wie klebriger Kuchenteig durch das gesamte Buch zieht. Unabhängig von der Einteilung verlaufen die Themen fließend ineinander, es geht weniger um den gelebten Alltag, sondern mehr darum, wie sich die interviewte Person als Künst­le­r:In identifiziert, ob sie die Bezeichnung Mu­si­ke­r*in eher idealistisch für sich beansprucht und wie sie das umsetzt.

Im kontroversen Gespräch etwa offenbart Katharina Kollmann, – die unter dem Alias Nichtseattle bekannt ist –, dass sie nie von der Musik leben wollte. Ihr sei die Kunst zu wichtig, als dass sie diese Tätigkeit als Karriere betrachten will. Damit setzt Kollmann die Kernaussage des Bandes um, ihren hehren Anspruch teilen fast alle der Porträtierten.

Während sich viele einig sind, dass der Begriff Karriere mit Kunst und Musik wenig gemein hat, entweder weil damit normative Implikationen einhergehen (Jonas Poppe), oder traditionell mit einer 60-Stunden-Büroarbeit verknüpft werden (Viktoria Kirner), gehen einige auch sogenannten Brot-und-Butter-Jobs nach, damit sie von der Kunst finanziell unabhängig bleiben.

Zwischen Supermarktkasse und Babysitten

Manche, wie Kollmann, sind akademisch beschäftigt, andere schreiben Texte für Steinehandel, wie Jana Sotzko. Während Christin Nichols viele „Scheißjobs“ – Supermarktkasse, Post ausfahren und Babysitten – gemacht habe, konnotiert Fiona Lehmann Lohnarbeit als etwas Negatives, da mit Anstrengung verbundenes Tun. Und: Dass sie dennoch eine Nebentätigkeit vorziehe, weil das weniger unangenehm sei, als umständliche Förderanträge auszufüllen.

Dabei werden Fördermöglichkeiten immer wieder hervorgehoben, wie durch Poppe, sie ermöglichen es Mu­si­ke­r*in­nen aus dem Prekariat herauszukommen und vielleicht auf Zuerwerb verzichten zu können. Die Frage, die dem Buch den Titel spendiert, stammt von einem Song, der durch die Band Blumfeld bekannt wurde und sie wird leider oft zum Schluss gestellt.

Die Dialoge kreisen stellenweise zu eng um die Laufbahn, die je nach Kün­s­tle­r*­in bis in die 1980er Jahre zurückreicht. Denn gerade die Alltagsfrage, beziehungsweise die Frage nach dessen Bewältigung offenbart die Interviewten als ausgesprochen ehrlich – und frei von der Angst vor Selbstwirkung.

Realitätsfern und elitär

Manchmal erscheinen sie realitätsfern und trotz aller prekären Verhältnisse elitär, manchmal sind sie nahbar und – Achtung – normal. Wenn beispielsweise Paul Pötsch davon erzählt, wie er während der Social-Media-Nutzung in einem Vergleichsmodus gerät, oder Bernadette Hengst den Zeitaufwand einer Mutterschaft an ihrer Biografie verdeutlicht.

Die Interviewten begleiten Jegodka seit seiner Jugend und sind Teil seines popkulturellen Umfelds. Das merkt man. Die Gespräche haben etwas Vertrautes und Freundschaftliches, die Biografien ähneln sich allerdings doch zu sehr und es plätschert teils zu wohlwollend vor sich hin.

Es hätte dem Buch gut getan, fremde Mu­si­ke­r*in­nen hinzuzuziehen, aus anderen Kulturen und Lebenswelten. Oder, um es mit der trockenen und geistreichen Schnoddrigkeit von Christiane Rösinger auszudrücken: Toll, „aus dieser Blase rauszukommen, mit anderen Menschen zu tun zu haben“ und gewöhnliche Leute „mit normalen Problemen“ zu treffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare