Bahnchaos in Norddeutschland: Ein systemisches Problem

Wegen eines Unfalls kollabierten weite Teile des Bahnverkehrs zwischen Hamburg und Dänemark. Das zeigt ein tiefgreifendes Problem auf.

Bahnanzeige informiert über ausfallende Züge

Nichts geht mehr: Bahnanzeige in Hamburg vergangene Woche Foto: Bodo Marks/dpa

Just zum Ferienende herrschte im Norden Bahnchaos pur, nach dem Motto: Wenn es schief geht, dann geht es aber auch richtig schief. Am vergangenen Freitag fuhr ein Elektrobus durch eine zu niedrige Unterführung am Bahnhof Elmshorn, löste mit seinen auf dem Dach liegenden Akkus einen Brand aus und beschädigte mehrere für den Zugbetrieb wichtige Kabel.

Die Deutsche Bahn stoppte alle Züge von Hamburg nach Kiel, die private Nordbahn steuerte über einen Pendelverkehr von Hamburg via Elmshorn wenigstens noch Wrist und Itzehoe an. Aber dann durchschnitt am Montag zwischen Wilster und Hochdonn ein Gärtner bei Vegetationsarbeiten an der Strecke auch noch ein Kabel – und für drei Stunden war damit auch dieser Ersatzverkehr erlahmt.

Seit Dienstag fahren die Züge wieder. Aber nun gilt es Lehren zu ziehen. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) mahnt: „Dieser Feuer-Unfall macht einmal mehr deutlich, dass es im Bahnsystem an Resilienz fehlt“ – gemeint ist Widerstandsfähigkeit bei Krisen. Da zudem gerade die Bahnstrecke von Kiel über Plön nach Kaltenkirchen wegen Bauarbeiten von Sperrungen betroffen ist, habe in diesen Tagen zwischen Kiel, Neumünster, Flensburg, Dänemark und Hamburg „keine leistungsfähige Verbindung mehr“ bestanden.

Und das, so der Minister, obwohl es ein erhöhtes Reiseaufkommen wegen der Kreuzfahrtschiffe in Kiel sowie des Ferienendes in Bayern und Baden-Württemberg gab.

Zu lange gespart

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, was zu tun ist: Von Hamburg aus führen zwei Strecken in den Norden nach Neumünster, eine im Westen über Elmshorn und eine im Osten über Bad Oldesloe. Nur die westliche Strecke ist elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut. Auf der Strecke von Bad Oldesloe nach Neumünster gibt es weder Strom noch ein zweites Gleis. Diese Strecke müsse „rasch als Ausweichstrecke ausgebaut werden“, sagt Ruhe Madsen.

Das Land sei hier schon massiv in Vorleistung gegangen. Laut seinem Sprecher kostet das etwa 200 Millionen Euro, wovon der Bund das meiste beisteuern müsse. Wichtig sei, dass die Bahn das Projekt personell unterfüttert, „damit das Gleis spätestens 2030 zur Verfügung steht“, mahnt der Minister.

Bahnkritiker sehen hier aber ein systemisches Problem. Auch die Strecke von Neumünster nach Heide, über die Sylt erreichbar ist, ist nur eingleisig. „Das Hauptproblem ist, dass nötige Ersatzlösungen, die man im Bahnverkehr immer braucht, seit 30 Jahren abgeschafft werden“, sagt der Nahverkehrsexperte Dieter Doege.

Es seien sogar viele Weichen und Überholgleise rausgerissen worden, ergänzt Joachim Holstein von der Gruppe „Bürgerbahn Denkfabrik“. Es gebe infolge der Vorbereitung auf den letztlich nicht erfolgten Bahn-Börsengang kaum noch Reserven im Streckennetz. „Das fällt uns jetzt auf die Füße“, sagt Holstein.

„Kontraproduktive Großprojekte“

Auch die Hamburger Initiative „Prellbock Altona“ sieht das Problem im Zustand der Ausweichstrecke Bad Oldesloe–Neumünster. „Der Ausbau wird seit Jahren diskutiert. Getan hat sich nichts“, sagt Sprecher Michael Jung. Stattdessen werde Plan- und Baukapazität für „kontraproduktive Großprojekte“ verschwendet.

Er meint die Verlegung des Fernbahnhofs Altona, in dessen Folge Kapazitätsengpässe entstehen würden und für dessen Behebung durch Hamburg wiederum ein acht Milliarden Euro teurer Tunnel gebaut werden soll. Gewonnen wäre durch die Verlegung Platz für 1.900 Wohnungen in Altona: Frühestens aber im Jahr 2032 – teure Wohnungen, rechnet man diese Infrastrukturkosten mit. Dabei sagt Jung, es könne die Hälfte der Wohnungen gebaut werden, wenn man den Bahnhof dort ließe und nur ein paar überflüssige Gleise und eine Diesellok-Betankungsanlage entfernt.

Immerhin ist es um diesen Tunnelbau zuletzt still geworden. Und vielleicht zeigt das Bahnchaos im Norden den Entscheidern in Berlin, wo die Prioritäten liegen müssen.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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