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Hier sozusagen am Arbeitsplatz: Georg Musiol ist einer der beiden Leiter des Projekts „Auenlandschaft Untere Wümme“ Foto: Cosima Hanebeck

Renaturierung von FlüssenZurück zur Natur

Flussläufe zu renaturieren ist eine sinnvolle Angelegenheit. Doch es ist ein schwieriges Unterfangen, wie ein Besuch an der Wümme bei Bremen zeigt.

Eiken Bruhn
Von Eiken Bruhn aus Bremen

D ie Wümme ist in ihrem Unterlauf nördlich von Bremen ein idyllisch mäandernder Fluss, gesäumt von breitem Schilfröhricht und Weiden. Hier ein Graureiher, dort eine Rohrweihe. Eine intakte Flusslandschaft, denkt, wer hier mit Rad oder Kanu unterwegs ist. Doch der Eindruck täuscht. „Hier fehlen sehr viele Arten“, sagt Georg Musiol.

Der sportliche 72-Jährige steigt vom Rad und zeigt auf einen der zahlreichen Tümpel, die die Wümme an beiden Ufern begleiten. „Das wären eigentlich ideale Kinderstuben für Fische.“ Doch sie fallen aufgrund des starken Tidenhubs in diesem Flussabschnitt zwei Mal am Tag trocken. Dann glänzt schokoladenbrauner Schlamm in der Sonne, zurück bleiben kleine Pfützen modrigen Wassers. Das und die hohe Fließgeschwindigkeit verhindern das Ansiedeln von Wasser- und Uferpflanzen. Diese fehlen nicht nur Laich und Larven vieler Arten, sondern auch Insekten als Lebensraum und diese wiederum Vögeln, die sich von ihnen ernähren.

Die Wümme

Die Wümme ist ein 121 Kilometer langer Fluss, der bei Bremen in die Lesum mündet – und die wiederum rund 10 Kilometer später in die Weser.

Die Quelle der Wümme liegt in der Lüneburger Heide, gespeist wird sie von unzähligen Zuflüssen. Ihr Einzugsgebiet macht eine Fläche von 2.280 Quadratkilometern aus.

Der Verlauf des Flusses führt von Ost nach West durch fünf Landkreise und bildet schließlich die Grenze zwischen Niedersachsen und dem Bundesland Bremen. (taz)

Georg Musiol ist angetreten, das zu ändern, Quappe, Hecht, Tüpfelralle und Löffelente anzulocken. Bis 2017 war er Abteilungsleiter in der Bremer Umweltbehörde. Jetzt leitet er gemeinsam mit einem anderen Rentner das auf sechs Jahre angelegte Projekt „Auenlandschaft Untere Wümme“ im Auftrag der Stiftung Nordwest Natur. 7,6 Millionen Euro stehen für eine Flussstrecke von 18,5 Kilometern zur Verfügung.

Man kann es nett finden, wenn Rentner Flüssen zu einem Zustand verhelfen, der nicht nur den Bedürfnissen von Menschen, sondern auch denen von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen gerecht wird. Oder man kann fragen: Echt jetzt? Das ökologische Gleichgewicht von Flüssen ist dem Engagement Einzelner und damit auch dem Zufall überlassen?

„Es ist ein zäher Kampf“

„Ja, das kann man so sagen“, sagt Rocco Buchta am Telefon. Er kennt sich so gut mit dem Thema aus wie vielleicht kein Zweiter. Beim Nabu, dem Naturschutzbund Deutschland, leitet er das Institut für Fluss- und Auen­ökologie. 1965 geboren, hat der promovierte Wasserbauingenieur schon während der Wendezeit angefangen, sich für die Renaturierung der Unteren Havel einzusetzen, lange Zeit in seiner Freizeit, unentgeltlich. Heute koordiniert er das von ihm initiierte Naturschutzprojekt Untere Havelniederung, das nach eigener Darstellung größte Projekt dieser Art Europas. 1995 schrieb Rocco Buchta das Konzept, 2005 begannen die Planungen, 2010 die Umbauten, 2034 soll das Vorzeigeprojekt abgeschlossen sein.

Auch wenn die Wümme bei Bremen idyllisch aussieht: der Weg zurück zur Natur ist noch weit Foto: Cosima Hanebeck

„Es ist ein zäher Kampf“, sagt er. Die Tatsache, dass Flüsse Kreis- und Ländergrenzen überqueren, mache ihn nicht leichter. Viele Behörden seien überfordert, auch wenn es in ihnen Leute gebe, die die Dringlichkeit verstanden hätten. Aber dann fehle an zu vielen Stellen doch das Geld, das Problem systematisch anzugehen. Naturschutz habe keine Priorität. Richtig schimpfen will Rocco Buchta allerdings nicht. Er sei froh über alle, die sich engagieren.

Zum Beispiel der Bremer Georg Musiol. Der ist seit November fast jeden Tag auf den Straßen links und rechts der Wümme unterwegs, mit einem eigens dafür angeschafften E-Bike. Mit 20 Wochenstunden ist er bei einer Tochtergesellschaft der Stiftung angestellt. Tatsächlich arbeite er viel mehr. Wie viel mehr, will er nicht sagen. Er möchte lieber über die Wümme reden, die in diesem Bereich eine natürliche Grenze zwischen zwei Bundesländern bildet.

Am Bremer Ufer fährt man auf dem Deich: An der schmalen, für den Durchgangsverkehr gesperrten Straße stehen ein paar Einfamilien- und viele Bauernhäuser; das Blockland ist Bremens Agrarzentrum. Die meisten Landwirte hier halten Milchvieh, für alles andere ist der Marschboden zu nass. Am niedersächsischen Ufer führt der Weg hinter dem Deich an Feldern und Wiesen entlang, Häuser stehen hier nur wenige.

„Wir wollten es noch mal wissen“

Die Gegend kannte Georg Musiol schon vorher gut, er war Präsidiumsmitglied der Stiftung Nordwestnatur. Diese bemüht sich seit 1999 um den Erhalt der Wümmelandschaft. Mit deren ehemaligem Geschäftsführer hat er das Projekt ausgeheckt. Beiden war Urlaub und Hobbypflege im Ruhestand zu wenig. „Wir wollten es einfach noch mal wissen.“

Sie wussten, woher sie das Geld für die Renaturierung bekommen würden: Aus dem 2017 beschlossenen Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“. Nach ihm sollen Flüsse vom Verkehrsministerium und seinen nachgeordneten Behörden nicht mehr nur als Wasserstraßen für den Schiffsverkehr entwickelt werden, sondern auch als Lebensräume. Es geht wie andere, teils ältere Renaturierungsprogramme der Bundesländer zurück auf die bereits im Jahr 2000 verabschiedete EU-Wasserrahmenrichtlinie. Bis 2027 sollen danach Oberflächengewässer „in einen guten ökologischen Zustand versetzt werden“.

Doch dem Bund gehören nur Flussbetten und unmittelbare Ufer der großen Bundeswasserstraßen sowie einiger Nebenstrecken, insgesamt 7.300 Flusskilometer. An ihnen haben die Wasser- und Schifffahrtsämter neun eigene Projekte umgesetzt, an Weser, Fulda und Rhein. Die meisten umfassen nur wenige Kilometer.

Fast ein bisschen wie Urwald: an der Wümme Foto: Cosima Hanebeck

Wer den ökologischen Zustand von Flüssen als Biotope verbessern will, muss sich aber auch um die angrenzenden Flächen kümmern. Deshalb hat das Bundesumweltministerium 2019 ein flankierendes Förderprogramm zur naturnahen Auenentwicklung aufgelegt. Auen sind natürliche Überschwemmungsgebiete, Landschaften, die Flüsse begleitet haben, bevor der Mensch sie begradigte und zwischen künstlich befestigte Ufer zwängte, oft vor Jahrhunderten schon. Sie bieten nicht nur besonders vielen Arten einen Lebensraum, sondern können zugleich Hochwasser regulieren, indem sie Wasser aufnehmen und langsam wieder abgeben.

Nach jedem Hochwasser aufs Neue

Doch zwei Drittel der Auen sind eingedeicht und können dieser Funktion deshalb nicht nachkommen, wie der letzte Auenzustandsbericht aus dem Jahr 2021 zeigt. Dabei heißt es seit über 25 Jahren, man müsse „den Flüssen mehr Raum geben“. Nach jedem Hochwasser aufs Neue, auch dieser Tage wieder. Tatsächlich hat sich die Fläche der überschwemmbaren Auen zwischen 2009 und 2021 um gerade einmal 1,5 Prozent vergrößert. Seitdem sind zwar weitere Deiche zurück verlegt worden, wie dem aktuellen Bericht des nationalen Hochwasserschutzprogramms zu entnehmen ist. Aber das Tempo wirkt behäbig angesichts der sich häufenden Flutkatastrophen.

Nun haben Deichrückverlegungen und andere Hochwasserschutz-Maßnahmen nicht automatisch einen ökologischen Mehrwert. So wie umgekehrt Flüsse renaturiert werden können ohne nennenswerte Effekte für den Hochwasserschutz. Auch an der Unteren Wümme geht es in erster Linie um Artenvielfalt. Aber nicht nur.

Georg Musiol lehnt sein Rad an das Geländer der Wümme-Brücke bei Lilien­thal. Von hier bis zur Mündung soll der Fluss renaturiert werden. Georg Musiol hat im Winter gesehen, wie hier das Wasser wochenlang auf den Wiesen stand und in die angrenzenden Wohngebiete drückte. In der Region mussten Häuser und Höfe evakuiert werden, die Pegel stiegen an vielen Stellen so hoch wie nie zuvor. Eine Machbarkeitsstudie soll nun prüfen, ob ein künstlicher Nebenarm an dieser Stelle für Entlastung sorgen kann.

Beantragt hatten Georg Musiol und seine Mitstreiter die Studie lange vor dem Hochwasser. Nach vier Jahren Planung und Abstimmung kam Ende 2023 die Finanzierungszusage für ihr Projekt. Allerdings aus dem ganz neuen, erst im März 2023 beschlossenen Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Der Bund übernimmt drei Viertel der Kosten, den Rest teilen sich die Länder Bremen und Niedersachsen sowie die Stiftung, die dafür von den Umweltschutzverbänden BUND und WWF unterstützt wird. Mit dem Geld sollen unter anderem Schwellen zwischen Fluss und Tümpeln eingebaut werden, damit das Wasser nicht mehr ganz abfließen und strömungsberuhigtes Süßwasserwatt entstehen kann. An anderen Stellen werden ehemalige Entwässerungsgräben mit einem Propfen verschlossen, sodass die Wiesen dauerhaft feucht bleiben.

Der menschengemachte Unterschied

Verantwortlich für den großen Einfluss der Gezeiten auf den Wasserstand bis hinein in die Stadt Bremen ist der kontinuierliche Ausbau von Außen- und Unterweser als Schifffahrtsstraße. Jede Vertiefung deren Fahrrinne wirkt sich auch auf die Zuflüsse aus. Die Wümme fließt in die Lesum und diese nach zehn Kilometern in die Weser. Mit der Flut drängt das Wasser ins Land zurück.

Den menschengemachten Unterschied kann man messen. Im Blockland liegen Georg Musiol zufolge zwischen Hoch- und Niedrigwasser im Mittel 225 Zentimeter. Um 1900 sollen es nur 80 Zentimeter gewesen sein. Man könne den Tidenhub auch durch technische Maßnahmen an der Mündung reduzieren, sagt Georg Musiol. „Wir erwarten vom Bundesverkehrsministerium, dass hier etwas passiert.“ Es gelte das Verursacherprinzip.

Es gibt nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz zehn Projekte, die seit 2020 über die zwei Programme im Blauen Band Deutschland gefördert wurden, die meisten davon mit Beträgen zwischen 2 und 17 Millionen Euro, vier befinden sich entweder ganz oder teilweise in Niedersachsen. Hinzu kommen drei Vorhaben, bei denen die Voruntersuchung gefördert wird. Antragsteller sind häufig Naturschutzverbände. In einem Fall arbeitet der Nabu mit einem Landkreis zusammen; eigene Anträge haben nur drei Kommunen gestellt. An der Unteren Wümme kooperieren neun Organisationen und Institutionen, deren Interessen miteinander abgestimmt werden müssen.

Hier sozusagen am Arbeitsplatz: Georg Musiol ist einer der beiden Leiter des Projekts „Auenlandschaft Untere Wümme“ Foto: Cosima Hanebeck

Die überschaubare Zahl an Projektanträgen – nur einer wurde nach Angaben des Bundesamts abgelehnt – hat damit zu tun, dass man sich durch ein Dickicht an Förderrichtlinien kämpfen muss. „Naturnahe Gewässerentwicklung ist ein komplexes Unterfangen“, heißt es auf der Homepage des Bundesumweltamts, „es gilt verschiedene Interessen abzuwägen und vielfältige Gesetzesvorgaben zu berücksichtigen“. Wie komplex das ist, illustriert ein schwindelerregendes Schaubild auf der Seite. Nicht minder abschreckend wirkt die Auflistung der diversen Finanzierungsquellen von Bund, Ländern, Kommunen und der Europäischen Union; das blaue Band ist nur eins von vielen Förderprogrammen.

Problem der Flächenverfügbarkeit

Und dann ist da noch das Kleingedruckte: „Eine wesentliche Voraussetzung für eine naturnahe Gewässerentwicklung ist die Sicherung der dafür notwendigen Flächen“ – „die fehlende Flächenverfügbarkeit“ sei „die größte Herausforderung“. Das ist auch einer der Gründe, warum der Hochwasserschutz nur so langsam voran kommt. Denn die Auen, wenn sie nicht überbaut wurden, gehören immer irgendwem, im ländlichen Raum meistens Bauern. Und die hängen an ihrem Besitz, selbst wenn es sich um landwirtschaftlich nicht nutzbare Flächen handelt.

Diese Erfahrung macht gerade ­Georg Musiol. Er muss mit etwa 30 bis 40 Parteien darüber verhandeln, ob sie der Stiftung Nordwest Natur Flächen verkaufen oder die Nutzungsrechte abtreten. Mit etwa der Hälfte habe er schon gesprochen, die ersten Verträge seien unterschriftsreif, ein Verkauf abgeschlossen. Manche Grund­stücks­ei­gen­tü­me­r:in­nen seien sehr aufgeschlossen, sagt der studierte Jurist. „Andere gucken konsterniert, wenn sie den Quadratmeterpreis hören.“

Eine halbe Million Euro hat er insgesamt für den Flächenankauf zur Verfügung, er orientiert sich an den Preisen des Deichverbands rechts der Weser. „Manche Eigentümer hätten gerne das Doppelte.“ Und dann gebe es die, die partout nicht verkaufen wollen, weil die Flächen schon immer in Familienbesitz waren. Oder mehrere Parteien, die sich nicht einigen können, etwa zerstrittene Geschwister. Solche Befindlichkeiten können dazu führen, dass sich eine Maßnahme an einer Stelle nicht umsetzen lässt.

Georg Musiol deutet an, dass er Fingerspitzengefühl für die Verkaufsgespräche braucht. Er bekommt mit, welche Nachbarn seit Jahrzehnten nicht mehr miteinander reden, hat zum Teil mit sehr betagten Menschen zu tun, hört von Leid und Krankheit. Er bittet die taz darum, in dieser Phase des Projekts nicht die Land­be­sit­ze­r:in­nen anzusprechen. „Die Gefahr ist hoch, dass die Türen zugehen und die kriegen Sie nicht mehr auf.“

„Auen des Blauen Bands“

Das bestätigt Thomas Arkenau aus dem benachbarten Landkreis Verden. Dieser setzt als Kommune gemeinsam mit dem Nabu derzeit das Projekt „Allervielfalt Verden“ um. Es ist mit 16,8 Millionen Euro für eine 30 Kilometer lange Flussstrecke das bislang finanzstärkste Renaturierungsvorhaben im Förderprogamm Auen des Blauen Bands.

Thomas Arkenau hat es noch in seiner Funktion als Leiter der Naturschutzbehörde mit angeschoben, den Impuls hatte der örtliche Nabu-Verein gegeben. Jetzt, ebenfalls als Rentner, ist Arkenau mit zehn Wochenstunden angestellt. Er ist wie Georg Musiol in Bremen nicht der einzige Mitarbeiter im Team und will das Projekt nicht bis zum Ende leiten, sondern vor allem die schwierigen Verhandlungsgespräche am Anfang führen. „Ich weiß, mit wem man in welcher Reihenfolge reden muss“, sagt er am Telefon.

Er kennt viele Bauern in der Gegend, weil er das alles schon einmal gemacht hat, die Wümme ein paar Kilometer flussaufwärts. Ende der 80er Jahre war das, nach einem Studium der Landschaftsplanung und Ökologie hatte er in der Naturschutzbehörde angefangen. Die hatte sich vorgenommen, die Fischerhuder Wümmeniederung zu renaturieren, ein verzweigtes Binnendelta, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf drei Wümme-Hauptarme verknappt wurde. Der Tidenhub fällt hier nur gering aus.

Thomas Arkenau traf damals auf Carsten Puvogel, dessen Familie seit mindestens 400 Jahren in Fischerhude Landwirtschaft betreibt. Heute führt Carsten Puvogel – „Jahrgang 1957, derselbe wie Thomas, glaube ich“ – mit seiner Tochter einen von nur noch sechs Höfen im Ort, sie halten 140 Milchkühe, seit zwei Jahren mit Biosiegel. Als er 1987 erstmals Wind bekam von den Plänen, die Wümmeniederung unter Naturschutz zu stellen, fürchtete er wie die anderen Bauern im Ort um seine Existenz. „Wir hätten uns an alle möglichen Auflagen halten müssen, die Flächen nicht mehr wirtschaftlich nutzen können“, erzählt er auf der Kücheneckbank im Bauernhaus. In der Lokalzeitung lässt sich nachlesen, wie die verschiedenen Parteien miteinander stritten, sich gegenseitig der Kompromisslosigkeit bezichtigten. Gegner des Vorhabens stellten Schilder auf – „Dieser Ort stirbt durch Naturschutz“ –, auch Treckerdemos soll es gegeben haben.

Heute ein Vorzeigeprojekt

Die Fischerhuder Wümmeniederung gilt heute als Vorzeigeprojekt gelungener Flussrenaturierung, 1992 hat sie begonnen. Gelöst wurde der Konflikt, als den Landwirten im Rahmen einer Flurbereinigung Flächen zum Tausch angeboten wurden, was ihnen größere Einheiten bescherte. Zudem verzichtete die Behörde auf Flächen, die nah an Hof oder Ställen lagen. Statt 840 war das Naturschutzgebiet so nur noch 750 Hektar groß.

Nicht alle waren damals zufrieden, sagt Carsten Puvogel, aber heute beschwere sich niemand mehr. Auch er ist froh, dass er seinen ursprünglichen Widerstand aufgab. „Es würde hier heute sonst ganz anders aussehen“, sagt er. „Noch mehr Mais.“ Der Fischotter und andere Arten wären wohl nicht zurück gekommen, sogar der Lachs hat sich nach einem Bericht des Landes Niedersachsen aus dem Jahr 2012 wieder vermehrt. Er, der langjährige CDU-Politiker, sei über die Aus­einandersetzung damals zum Umweltschützer geworden, sagt Carsten Puvogel, und Thomas Arkenau, der von der anderen Seite, ein Freund.

Zum Schluss des Besuchs zeigt Carsten Puvogel im Ort eine der Sohlgleiten, die die alten Wehre ersetzt haben. Der von Erlen gesäumte Fluss rauscht über Stufen aus großen Feldsteinen ein leichtes Gefälle hinunter. Fische und Kleinstlebewesen können hindurch, der Fluss wird vor dem Austrocknen geschützt. „Manche im Ort hatten Sorge, dass das nicht klappt, aber ich habe den Ingenieuren vertraut“, sagt der Landwirt und guckt von der alten hölzernen Wehrbrücke hinunter aufs Wasser. Langsam fließt es auf die Stufen zu und schnell hindurch.

500.000 Kilometer Fluss soll es in Deutschland geben, das entspricht 12,5 Erdumrundungen. Es ist mehr blaues Netz als blaues Band. Es gibt ein unsichtbares, sehr lockeres Netz, was darüber liegt. Menschen verbinden sich miteinander, um Flüssen ihre Lebenskraft zurück zu geben.

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7 Kommentare

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  • Das sieht aber manchmal recht unordentlich aus.

    Heute mal: Achtung, Ironie!

  • Ein wirklich guter Artikel zu einem wichtigem Thema unserer gebeutelten Gewässer. In der Realität gleicht die Mehrheit unserer Gewässer, drei Jahre vor Fristablauf der WRRL eher trostlosen Kanälen, sofern sie überhaupt sich oberirdisch schlängeln dürfen! Nur 9 % unserer Gewässer haben zur Zeit einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand. Lobenswert, dass sich Pensionäre so stark engagieren. Traurig, dass die zuständigen Behörden und Verwaltungen diese Hilfe brauchen. Mit der Wasserqualität und den Fischbeständen gab es tatsächlich an Flüssen große Verbesserungen. An unseren vielen kleinen Bächen geht es leider eher rückwärts. Die Einleitungen aus den, im ländlichen Raum üblichen, Teichkläranlagen überfordern regelmäßig die kleineren Gewässer. Entsprechend oft fehlt die natürliche Bachfauna oder ist auf Störanzeiger wie Stichlinge und Wasserassel degradiert.

  • Wunderbar - danke für den schönen und informativen Artikel zu einem oft vernachlässigten Thema. Würde man konsequent die Auen renaturieren, hätte man einen wirklichen Schritt zur Befriedung sehr vieler Naturschutz- und Nutzungskonflikte getan.

  • Also geht es gar nicht um Natur, sondern um eine Art Zoo, ein großes Aquarium, wo Natur so angelegt wird, wie der Mensch sich das vorstellt. Warum kann man nicht einfach mal den Fluß in einem definierten Raum in Ruhe lassen? In einem Gebiet, was trocken fällt und dann wieder überschwemmt, werden sich nur Arten ansiedeln, die damit leben können. Das ist übrigens im Watt auch der Fall, alle 6 Stunden.

    • @fleischsalat:

      Es geht um Rückbau von Eingriffen. Das Watt wurde nicht begradigt – und zumindest seine aktuell vorhandenen Flächen auch nicht künstlich trocken gelegt.

  • Wow. Das nenne ich einmal einen ausführlich geschriebenen Artikel zu einem wichtigen, aber selten erwähnten Thema und zu grossem Idealismus.

    Umweltschutz ist auf dieser Ebene also primär Verhandlung, Zähigkeit und Planung. Sehr schön in dem Projekt, wie versucht wird, die Bauern mitzunehmen und auch für ihre Standpunkte Verstaendnis aufzubringen. Es geht nur so.



    Sehr gut auch, dass die unterschiedlichen möglichen Zielsetzungen erwähnt werden und was hier Priorität hat (oft gegen in Berichten unterschiedliche Aspekte aneinander vorbei, so dass man von ganz Unterschiedlichem redet)

    Chapeau für diese Qualität der Berichterstattung.

    • @Werner2:

      Dem kann ich mich nur anschließen.



      Der Artikel hat mich nicht losgelassen, sehr gut!