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orte des wissensKlangorkan im Kirchenraum

Zur Orgelakademie Stade, die nicht nur alte, nicht reproduzierbare Unikate pflegt und Konzerte auch für Kita-Kinder organisiert, kommen Studierende aus ganz Europa, um zu lernen

Als schallende Wundermaschinen entwickeln Orgeln eine majestätische Kraft, wenn sie über dem Bassgrummeln ein Notenmeer wellen lassen, mit warmen Tönen der Streicherregister, luftigen Flötensounds sowie blechblasbrausenden Einwürfen verweben und alles mit hohen Frequenzen silbrig krönen. „Da die Orgel mehr Klangfarben als jedes andere Instrument produzieren kann, gilt sie zu Recht als Königin der Instrumente“, sagt Annegret Schönbeck.

Die Kirchenmusikerin zog aus leidenschaftlichem Interesse für Arp Schnitgers ersten großen, mit 2.500 Pfeifen ausgestatteten Orgelbau von 1675 in St. Cosmae et Damiani nach Stade. Dort leitet sie inzwischen die Orgelakademie, einen Verein mit 66 Mitgliedern. Er wurde 2002 gegründet, um das „wertvolle kulturelle Erbe“ mit rund 80 Denkmalorgeln zwischen Elbe und Weser zu erhalten, zu pflegen, zu erforschen, zugänglich zu machen und lebendig zu halten. In der Akademiearbeit verbindet sich die Musik-, Kunst- und Stadtgeschichte mit dem Wissen über die Kirchenorgeln in der Region, die noch heute rein mechanisch funktionieren wie vor 300 Jahren. Es sind individuell klingende, nicht reproduzierbare Unikate.

Die Orgelakademie residiert in einem winzigen Raum des ehemaligen Johannisklosters. „Wir sind ja meistens unterwegs“, erklärt Schönbeck. Sie hat eine Dreiviertel-Stelle, dazu eine Halbtagskraft fürs Büro, die weitere Arbeit wird ehrenamtlich oder von Honorarkräften geleistet. Einerseits ist das Team Anlaufstelle für internationale Orgeltouristen.

Auch organisiert, vernetzt und bewirbt sie moderierte Konzerte sowie Gelegenheiten, selbst Klangorkane in den Kirchenraum zu orgeln. Dafür kommen Orgelstudierende aus ganz Europa nach Norddeutschland. Mit der Hochschule für Musik und Theater (HFMT) Hamburg gibt es einen Kooperationsvertrag. Gemeinsam arbeiten sie gegen den Mangel an Kirchenmusiker:innen. Ergänzt werden diese Angebote für jährlich rund 3.500 Erwachsene um Exkursionen, Führungen und Workshops mit Fachleuten sowie das Orgeltage-Festival. Ab und an werden auch musikwissenschaftliche Arbeiten finanziell unterstützt.

Besonders wichtig ist Schönbeck die praktisch-pädagogische Nachwuchsarbeit. Motto: „Alte Orgeln für junge Menschen“. Jährlich etwa 750 Kita- und Schulkinder können das Instrument kennen- und schätzen lernen. Dabei hat die Orgel ein großes Problem. Sie steht in Kirchen und ist unverzichtbar für die Liturgie, mit der junge Menschen eher fremdeln. Beispielsweise auch, weil sie Muslime sind.

Die Orgelakademie hat unter anderem auch Kinderbücher ediert und lässt Do­zen­t:in­nen in Schulen die Funktionsweise von Orgeln erklären

„Gegen diese Hürden setzten wir bei der Erstbegegnung mit den Instrumenten auf die unmittelbare Wirkung der Musik“, so Schönbeck. Sie lässt spüren, wie eine Orgel alles in Schwingungen versetzt, den Holzcorpus des Instruments, Kirchenboden und -bänke wie auch die Körper der Hörer:innen. Und was sagen die? „Ich habe die Musik als etwas sehr Erhebendes erfahren“, sei häufig zu hören. Also klassisches christliches Andachtserleben, das aber nicht als Gottesdienst vermittelt wird, sondern als Ausdruck menschlicher Innenwelten.

Die Orgelakademie hat auch Kinderbücher ediert und lässt Do­zen­t:in­nen in Schulen die Funktionsweise von Orgeln erklären – anhand eines tragbaren Instruments. Spielerfahrene 12- bis 19-Jährige werden zum Jugend-Orgel-Forum geladen, das gerade zum 16. Mal stattfand. In diesem Jahr spielten die Jugendlichen Werke von Bach und Buxtehude, experimentierten aber auch mit Klangschichtungen und improvisierten über harmonische Modelle, melodische Entwicklungen sowie grafische Notationen. Versuchten also geradezu beispielhaft, sich die historische Orgelkultur als vitale Kunst im Hier und Heute anzuverwandeln.Jens Fischer

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