piwik no script img

Macron betrügt die WählerInnenDie Premierminister-Casting-Show

Kommentar von Christine Longin

Schon seit über einem Monat ignoriert Macron das Ergebnis der Parlamentswahlen. Er hat nur eines im Sinn: Sein Erbe zu retten – auf Kosten der Demokratie.

Präsident Macron und Premierminister Attal gedenken am 25. August der Befreiung von Paris Foto: Teresa Suarez/reuters

D er Élysée-Palast bildet in diesen Tagen die Kulisse für eine Casting-Show der besonderen Art. Emmanuel Macron sucht dort nämlich seinen Premierminister. Seit Tagen lässt der Präsident Vertreterinnen und Vertreter der Parteien kommen, um mit ihnen über die Bildung der nächsten Regierung zu sprechen. Mehr als 40 Tage ist die Parlamentswahl schon her, und noch immer ist die alte Riege der Ministerinnen und Minister geschäftsführend im Amt.

Frankreich befindet sich in einem Vakuum, das Macron selbst geschaffen hat. Der Präsident hatte nach der Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen überraschend das Parlament aufgelöst. Das Ergebnis des Urnengangs passte dann aber nicht in sein Schema: Das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP), dem auch die umstrittene Linksaußen-Partei La France insoumise (LFI) angehört, gewann mit einer kleinen relativen Mehrheit. Sozialisten, Grüne, Kommunisten und LFI präsentierten nach einigem Hin und Her Lucie Castets als Kandidatin für das Amt der Regierungschefin.

Am Freitag fühlte Macron der völlig unbekannten Finanzdirektorin der Stadt Paris wie bei einem Bewerbungsgespräch auf den Zahn. Doch der Ausgang war schon vorher klar: Der Präsident will die 37-Jährige und ihr Programm nicht. Ihr Bündnis würde sofort wieder durch ein Misstrauensvotum abgesetzt werden, begründete er am Montagabend sein Nein. Im Namen der „institutionellen Stabilität“ lehne er deshalb eine Regierung der NFP ab.

Doch damit macht Macron es sich zu leicht. Er hätte seine Niederlage anerkennen und der NFP den Regierungsauftrag geben müssen – auch wenn die Allianz womöglich schnell gescheitert wäre. Die Französinnen und Franzosen haben sich an den Parlamentswahlen im Juli so stark beteiligt wie kaum jemals zuvor. Sie haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie Macrons Politik nicht mehr wollen.

Die Französinnen haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie Macrons Politik nicht mehr wollen.

Aber der Staatschef reagiert nun, als habe es das Votum nicht gegeben. Er will um jeden Preis sein politisches Erbe retten. Deshalb versucht er, sich einen Premierminister nach Maß anzufertigen, der möglichst viel seiner Politik umsetzt. Die Mehrheit, die er dazu braucht, will er sich wie einen bunten Flickenteppich selbst zusammenbasteln.

Auf der Strecke bleibt dabei die Demokratie. Mit seinem Taktieren betrügt Macron die Wählerinnen und Wähler um ihre Stimme. Profitieren kann davon nur die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Sie hat schon lange vor dem Chaos gewarnt, das Frankreich droht – und für das sie sich als einziges Gegenmittel sieht. Ihr bereitet Macron den Boden.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Keiner agiert hier demokratisch. Die Neue Volksfront glaubt mit einer kleinen relativen Mehrheit ganz allein die Regierung stellen zu können. So wie zuvor seit 2022 die Macronpartei In Bewegung mit einer etwas grösseren relativen Mehrheit. Die Republikaner schliessen Zusammenarbeit aus. Monatelanges mit sich selbst beschäftigen, nicht eine Stunde Verhandlung zwischen Partei-Bündnissen.



    Von erwachsenen Menschen könnte man mehr erwarten, von Demokraten erst recht.



    Profilieren können sich dabei nur die Populisten der Nationale Vereinigung. Diese sind nun objektiv Opfer einer fehlenden Demokratie : die zwei anderen Parteienbündnisse haben deutlich weniger Stimmen erhalten, aber jeweils mehr Sitze im Parlament bekommen, und verhalten sich jetzt auf diesen Sitzen undemokratisch und kindisch.

  • In diesem Jupiter-Spiegel haben's die Deutschen ein bisschen besser, mit ihren Kanzler:inne:n. Ein bisschen...

  • So ist das, wenn man zwar der Wahlsieger ist, aber im Parlament keine Mehrheit hat.

    • @Matthias:

      Hmm.. Sieger/Verlier.. hmm.. parteipolitische Hierarchisysteme der post/monarchistischen Macht.. hmm..

      Alle Gewählten müss(t)en für die Menschen, mit den Menschen arbeiten – können und wollen. Einverstanden?

  • ... und Macron präsentiert sich ebenfalls als einziges Bollwerk gegen Le Pen.

    Demokratie ist, wenn es eben immer eine Alternative gibt ...

    • @Frauke Z:

      aber spätestens mit der nächsten Präsidentenwahl hat es sich dann ausgebollwerket....

  • Möglichkeit 1 : Macron will die Grünen oder marginalisierten Sozialisten aus der Volksfront rausbrechen. Möglichkeit 2 : Regieren kann Macron aufgrund der Machtbefugnisse, faktischbis zum Ende seiner Präsidentschaft. Die Verfassung erlaubt ihm, quasi per Notverordnung, weiter Gesetze zu erlassen. Für seinen Sturz fehlt der Opposition die Mehrheit im Parlament. L'etat c'est moi.....

    • @Philippe Ressing:

      Er muss allerdings irgendwie einen Haushalt 2025 durch die Assemblée Nationale bringen.

      Bonne chance, Monsieur le Président!

  • Neoliberalismus gebiert Faschismus.

    • @nutzer:

      Das ist auch sehr gut hierzulande zu beobachten.

    • @nutzer:

      Und NeoFaschismus gebiert..