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Hart in der Sache

Nach dem Messerangriff in Solingen läuft die Debatte um ein schärferes Asylrecht auf Hochtouren. Regierungssprecher: Grundrecht auf Asyl steht nicht zur Debatte

Tatkraft demonstrieren, Haltung bewahren: Kanzler Scholz mit Ministerpräsident Wüst (3. v. l.) am Montag in Solingen Foto: Thomas Banneyer/dpa

Aus Berlin Dinah Riese
und Anna Lehmann

Drei Tage nach dem wohl islamistischen Anschlag in Solingen mit drei Toten kämpfen noch immer mehrere Menschen um ihr Leben. In der Politik ist derweil die Debatte um die nötigen Konsequenzen entbrannt. Ausgetragen wird diese vor allem auf einer Bühne: dem Asylrecht.

Zwar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch am Tatort (siehe Text unten) zuvorderst eine schnelle Verschärfung des Waffenrechts an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bereits Anfang August angekündigt, das Mitführen von Messern mit einer Klinge länger als sechs Zentimeter sowie Springmessern im öffentlichen Raum verbieten zu wollen. Scholz betonte aber auch: Es müsse geprüft werden, ob „neue Regelungen“ im Abschiebungsrecht nötig seien.

Dass dem so ist, davon ist vor allem die Union überzeugt. Ein mögliches Treffen zwischen Scholz und Merz in dieser Woche wollte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag zwar weder bestätigen noch dementieren. CDU-Chef Friedrich Merz forderte in seinem sonntäglichen Newsletter aber schon mal einen ganzen Katalog an weitreichenden Asylrechts­einschränkungen.

Am Freitagabend hatte der 26-jährige Syrer Issa al H. auf dem Fest zur 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen mit einem Messer gezielt auf Be­su­che­r*in­nen eingestochen. Drei Menschen starben, acht sind zum Teil schwerst verletzt worden. Al H. kam Ende 2022 nach Deutschland und hätte im vergangenen Juni eigentlich nach Bulgarien überstellt werden sollen, das für seinen Asylantrag zuständig war. Am Tag der Abschiebung trafen die Beamten ihn jedoch nicht an. Er sei jedoch, anders als zunächst kommuniziert, nicht abgetaucht, sagte am Sonntagabend NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). In dem Fall hätte sich die Frist für eine Überstellung auf 18 Monate verlängern lassen. So aber war nach sechs Monaten ganz regulär Deutschland zuständig, und al H. bekam subsidiären Schutz.

Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan müssten möglich sein, forderte Merz nun – nicht zum ersten Mal. In diesem Punkt stimmt er zumindest mit Teilen der Bundesregierung überein: Scholz hatte im Mai nach dem Messerattentat in Mannheim schnelle Rückführungen von Straftätern und Gefährdern nach Syrien und Afghanistan angekündigt. Vom Bundesinnenministerium (BMI) hieß es am Montag, dazu gebe es vertrauliche Gespräche mit mehreren Ländern. Faeser sei überzeugt, dass es Mittel und Wege gebe. Zum genauen Stand der Gespräche gab das BMI keine Auskunft.

Auch SPD-Chefin Saskia Esken hatte diese Forderung am Sonntagabend bekräftigt, die FDP ist sowieso dafür. Am Montag sagte auch Grünen-Chef Omid Nouripour, wer schwere Straftaten begehe, müsse seinen Schutzstatus verlieren: „Mörder und Terroristen sind in diesem Land nicht willkommen“. Das grün geführte Auswärtige Amt hingegen schätzt die Lage in Syrien weiterhin als gefährlich ein. Nach Auskunft der UN gebe es Kämpfe in allen Landesteilen, es komme zu schwersten Menschenrechtsverletzungen mit Folter. Laut UN seien Bedingungen für eine sichere Rückkehr derzeit nicht gegeben.

Weitergehenden Forderungen von Merz erteilte die Bundesregierung eine klare Absage. So forderte der CDU-Chef etwa, überhaupt keine Geflüchteten aus Syrien oder Afghanistan mehr aufzunehmen. Die deutschen Grenzen sollten dauerhaft kontrolliert werden, Schutzsuchende sollten dort „konsequent“ zurückgewiesen werden. Zudem forderte Merz für ausreisepflichtige Straftäter einen „zeitlich unbefristeten Abschiebegewahrsam“ – und die Rücknahme der von der Ampel in diesem Jahr beschlossenen Einbürgerungsreform, die unter anderem die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, forderte bei Table Media einen Asylkompromiss zwischen Bundesregierung und Union wie im Jahr 1993. Damals wurde das Grundrecht auf Asyl im deutschen Grundgesetz fast vollständig abgeschafft, die heute tragenden Regelungen basieren vor allem auf internationalem Recht. „Das brauchen wir jetzt nochmal. Dazu reichen wir die Hand“, sagte Frei.

Regierungssprecher Hebestreit wies am Montag in Berlin darauf hin, dass die Bundesregierung bereits eine massive Wende in der Asylpolitik vollzogen und etwa die Hürden für Abschiebungen gesenkt habe. Abschiebungen würden derzeit nicht an rechtlichen Fragen, sondern an der praktischen Umsetzung scheitern. Das individuelle Grundrecht auf Asyl stehe aber nicht zur Debatte: Er erkenne „keinerlei Bestrebungen der die Regierung tragenden Parteien“, an diesem Artikel im Grundgesetz etwas zu verändern. Dieser sei eine zentrale Errungenschaft. Auch einen generellen Aufnahmestopp für Menschen aus Bürgerkriegsländern könne die Union zwar fordern. Dies würde aber gegen das Grundgesetz und die EU-Menschenrechtsverordnung verstoßen.

Sie finde es „bemerkenswert, dass der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Forderungen erhebt, die an unterschiedlichen Stellen das Recht brechen“, sagte der taz die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic. „Ich frage mich ja, ob sich der Vorsitzende einer sich christlich nennenden Partei einmal mit den Kirchen über einen generellen Aufnahmestopp von Afghanen und Syrern unterhalten hat. Wenn nicht, dann sollte er das einmal tun.“ Statt sich in einen „Wettbewerb der Billigkeit mit Populisten“ zu begeben, erwarte sie von der Union ein klares Signal dafür, die Sicherheitsbehörden grundlegend zu stärken. „Die Union erwartet alles von Polizei und Diensten, ist aber nicht bereit, sie entsprechend aufzustellen. Das hat mit gelebter Verantwortung wenig zu tun“.

„Nichts von dem, was gerade diskutiert wird, schafft mehr Sicherheit oder hilft gegen Islamismus“, sagte der taz die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. „Wir müssen etwas tun, damit Menschen sich nicht dazu entscheiden, anderen Menschen das Leben zu nehmen.“ Momentan erreiche der IS sein Ziel in doppelter Hinsicht: „Menschen wurden getötet, und die Gesellschaft weiter gespalten.“ Die aktuelle Debatte schüre Vorurteile und Rassismus, Geflüchtete würden unter Generalverdacht gestellt – dabei seien viele von ihnen selbst vor islamistischer Gewalt geflohen. „Das trägt zu islamistischer wie auch rechter Radikalisierung sogar noch bei, statt diese zu verhindern“, so Bünger. „Was ich von der CDU aber nicht höre, sind Forderungen nach mehr Prävention und einer Stärkung der Gesellschaft.“

Viele der Forderungen seien überhaupt nicht realisierbar, kritisierte auch Berenice Böhlo vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). „Man darf niemanden dorthin zurückschicken, wo ihm Folter, unmenschliche Behandlung oder Menschenrechtsverletzungen drohen“, sagte Böhlo der taz. Ebenso sei es unmöglich, Menschen aus bestimmten Ländern pauschal das Asylverfahren zu verweigern. „Wenn man Merz’ Vorschläge umsetzen wollte, müsste Deutschland nicht nur das Grundgesetz ändern und aus der Genfer Flüchtlingskonvention austreten, sondern auch aus der Europäischen Union – denn diese Dinge sind auch in der EU-Grundrechtecharta verankert“.

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