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: Die Frage
der Sicherheit

Nach dem islamistischen Messeranschlag in Solingen vermitteln manche politische Forderungen vor allem Hilfslosigkeit. Doch nichts hindert Sicherheitsbehörden daran, die Propaganda und Netzwerke der Szene stärker in den Blick zu nehmen

Der mutmaßliche Täter von Solingen, 25. 8. 2024 Foto: Uli Deck/dpa

Von Konrad Litschko

Am Ende gab sich die Polizei martialisch. Barfuß und mit Beinfesseln wurde Issa al H. am Sonntagabend aus dem Helikopter in Karlsruhe geführt, die Augen verdeckt, der Oberkörper von vermummten Spezialkräften nach unten gedrückt. Der 26-jährige Syrer wurde mehr zum Haftrichter des Bundesgerichtshof geschleift, als dass er laufen konnte. Die Botschaft: Jetzt wird hart gegen den Terror durchgegriffen.

Stunden zuvor waren die Bilder noch andere. Einen Tag lang konnte die Polizei den Messerangreifer von Solingen nicht fassen, der auf dem Stadtfest drei Menschen erstach und mehrere lebensgefährlich verletzte – trotz Großfahndung. Es waren Stunden der Unsicherheit, das Bild einer hilflosen Polizei. Am Ende stellte sich Issa al H. selbst einer Polizeistreife, seine Kleidung soll noch blutverschmiert gewesen sein.

Inzwischen bekannte sich der IS zu der Tat, nannte den Täter von Solingen „einen Soldaten des Islamischen Staates“, der „aus Rache für die Muslime in Palästina und überall“ gehandelt habe. Ein Video eines Vermummten soll Issa al H. zeigen, der Ende 2022 als Geflüchteter nach Deutschland kam.

Und ab da bleiben vorerst nur Fragen, die unweigerlichen: Warum diese Tat? Hätte sie nicht verhindert werden können? Und: Haben die Sicherheitsbehörden die Lage noch im Griff? Fragen, die auch die rabiaten Bilder aus Karlsruhe nicht überdecken können.

Es sind auch aber auch politischen Forderungen, die jetzt im Raum stehen, die Hilfslosigkeit vermitteln: Messer verbieten, Grenzen dichtmachen, nun auch nach Syrien und Afghanistan abschieben. Es bleibt das Problem, dass schnelle, harten Antworten verlangt werden, wo die zentralen Fragen längst noch nicht geklärt sind. Was war das Motiv? Ab wann verfolgte er seinen Plan? Radikalisierte er sich erst hierzulande oder schon zuvor? Hatte er wirklich Kontakt zum IS? Und wenn ja, war er ein Einzeltäter, der sich erst kurz vor der Tat mit der Terrorgruppe in Verbindung setzte? Oder war er Teil eines Netzwerks, wurde gar für das Attentat beauftragt? Wir wissen all dies noch nicht. Aber genau davon hängen die Antworten ab, die jetzt gegeben werden müssen.

Was dagegen klar scheint: Die Sicherheitsbehörden haben es auch in Deutschland wieder mit einem Islamismus zu tun, von dem viele dachten, dass er mit der Niederlage des „Islamischen Staats“ in Syrien und dem Irak 2019 erledigt sei. Nur war er das nie. Auch zuletzt noch zählten die Sicherheitsbehörden in Deutschland 27.200 Islamisten, in Essen, Hamburg oder Berlin. Immer noch wurden 470 islamistischen Gefährder hierzulande schwerste Gewalttaten zugetraut. Wollen wir über Solingen reden, sollten wir darüber reden.

Man kann den Sicherheitsbehörden nicht vorwerfen, sie hätten das Problem nicht kommen sehen. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, die Gefahr sei wieder „so hoch wie lange nicht“. Aber tun die Sicherheitsbehörden auch genug? Offen reden diese über diese Arbeit ja kaum, aber bekannt ist, dass die Behörden nach den 9/11-Anschlägen alles auf die islamistische Gefahr ausrichteten, mit fatalen Folgen für den Blick auf den Rechtsterror. Und dass sie auch nach den islamistischen Angriffen 2016 in Hannover, Ansbach, Würzburg und schließlich auf den Berliner Breitscheidplatz erneut die entsprechenden Abteilungen weiter stärkten. An Personal mangelt es also nicht. Und auch nicht an Befugnissen: Die Geheimdienste dürfen Kommunikation mitlesen, Treffpunkte überwachen, Spitzel einsetzen. Tatsächlich wurden zuletzt immer wieder Terrorverdächtige festgenommen, 15 Anschläge wollen die Sicherheitsbehörden nach eigener Auskunft in den vergangenen Jahren verhindert haben.

Die Sicherheitsbehörden zählten in Deutschland 27.200 Islamisten. 470 Gefährdern werden schwerste Gewalttaten zugetraut

Das Problem der Sicherheitsbehörden bleibt: Sie müssen Terrorwillige überhaupt erst mal auf dem Schirm haben – und richtig bewerten. Viele der zuletzt Radikalisierten taten dies aber im Stillen, abseits von Szenetreffpunkten, aufgeputscht von Social-MediaContent. Es waren dann oft noch ausländische Geheimdienste, vornehmlich aus den USA, die den Deutschen halfen und entscheidende Hinweise auf Terrorverdächtige gaben. Und es ist kein Geheimnis, dass die Befugnisse dort weitergehend sind.

Die Frage ist: Sollen nun auch die deutschen Geheimdienste aufgerüstet werden? Wollen wir eine digitale Rasterfahndung? Wollen wir flächendeckende, anlasslose Kontrollen in Fußgängerzonen, wie sie Markus Söder ins Spiel bringt? Heimliche Durchsuchungen von Wohnungen, wie es Nancy Fae­ser zuletzt in einen Gesetzentwurf schrieb? Eine offene Gesellschaft kann das nicht wollen. Der Preis ist: Eine Unsicherheit wird bleiben.

Nichts aber hindert diesen Staat und seine Sicherheitsbehörden daran, weiter sehr präzise die islamistische Terrorgefahr in den Blick zu nehmen – ihre Netzwerke, ihre Anheizer, ihre Trefforte. Nichts, islamistische Propaganda aus Onlinekanälen zu verbannen. Nichts, aufpeitschende Gruppen wie „Generation Islam“ in die Schranken zu weisen und wenn möglich zu verbieten. Und vor allem hindert diesen Staat nichts, auf breiter Front auf Präventionsprojekte zu setzen, um Radikalisierungen schon im Keim zu verhindern. Ja, auch damit wird am Ende keine absolute Sicherheit garantiert. Aber das ist der Weg, den eine Gesellschaft gehen muss, wenn sie ihre Freiheiten nicht preisgeben will.