Antifa-Film von Leftvision: Weil der Staat versagte

Der neue Film „Antifa“ des linken Videokollektivs Leftvision erzählt die Geschichte der Bewegung. Was die Lehren für heute sind, bleibt jedoch unklar.

Die Premiere von „Antifa“, Schulter an Schulter, wo der Staat versagte. Berlin Friedrichshain Foto: Selena Magnolia Gatti

Eltern, die ihre Kinder durch hakenkreuzverschmierte Plattenbauten manövrieren, Nazis auf Fackelmärschen, Molotowcocktails, die auf Flüchtlingsheime fliegen: Der Einstieg in den Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ des linken Videokollektivs Leftvision ist schnell und brutal. Die Zu­schaue­r:in­nen werden zunächst in die Nachwendezeit geworfen, in die sogenannte Baseballschlägerjahre, in denen der Nationalismus grassiert und Flüchtlingsheime brennen.

Das ehrenamtlich arbeitende Medienkollektiv Leftvision bleibt damit seinem stilistischen Ansatz treu, durch beeindruckende Bildchoreografien die Lebenswirklichkeit linker Bewegungen verständlich zu machen. „Antifa“ ist der dritte Kinofilm des Kollektivs. Nach „Hamburger Gitter“ (2018), einer Analyse der Polizeigewalt und -militarisierung während des G20-Gipfels in Hamburg, folgte 2022 „Rise up“, eine Spurensuche nach den Beweggründen von Menschen weltweit, die für eine neue, bessere Welt kämpfen.

Stets sind die Filme schnell und mitreißend, arbeiten abwechselnd mit Riotporn und tiefgehenden Interviews. So ist auch „Antifa“ ein radikal parteiischer, subjektiver Film, in dem fünf Antifa-Aktivist:innen der 1990er Jahre ihre Geschichte erzählen. Eine einordnende Erzählstimme gibt es nicht. Was so entsteht, ist eine gelungene, vielschichtige Selbstreflexion der antifaschistischen Bewegung, die einige aktuelle Fragen zum Umgang mit Faschismus aufwirft – sich dann aber teilweise verweigert, sie auch zu beantworten.

Deutlich wird in den Interviews, wie sich die Antifa der 1990er Jahre in dem Vakuum entwickelte, das die staatliche Untätigkeit gegen Nazigewalt hinterließ. Eindrucksvoll erzählen die Interviewten im Film, wie die Polizei rechtsextreme Pogrome laufen ließ, aber groß aufrückte, wenn antifaschistische Ak­ti­vis­t:in­nen Flüchtlingsheime verteidigten. „Die Polizei kann das nicht machen, mit dem Faschisten umhauen, also machen wir das für sie. Ist doch logisch, ’ne?“, sagt ein Hamburger Teenager, vielleicht 17 Jahre, in einer Archivaufnahme. Seine Jugendgruppe nannte sich „Red Cops“ – eine kommunistische Polizei, weil die bürgerliche versagte.

Antifa heißt Recherchearbeit

Es war dieser Impuls der Selbstverteidigung, aus dem heraus sich die antifaschistische Gegenwehr professionalisierte. Die Entwicklung wird durch die Interviews detailliert nachgezeichnet. Um führende Neonazis „abfangen“ zu können, beginnen vielerorts Antifagruppen mit umfassender Recherchearbeit. In einer weiteren Archivaufnahme jammert ein Neonazi in die Kamera: „Die Autonomen haben einen Bespitzelungsapparat aufgebaut, der den Verfassungsschutz bald noch übertrifft“.

Doch schnell wird klar, dass die Nazis mit Gegengewalt allein nicht kleinzukriegen sein werden. Also wird am Aufbau einer Gegenkultur gearbeitet. Jugendklubs werden gegründet und Selbstverteidigungskurse angeboten. Antifagruppen machen Fortbildungen für Leh­re­r:in­nen, auch die Öffentlichkeitsarbeit verbessert sich. Selbst unter Bedingungen großer Repression entwickelt sich eine Professionalität, die junge Antifas der nachkommenden Generation beeindrucken dürfte.

Nicht ganz deutlich wird dann aber, was genau die Lehren für die Herausforderungen heute sind. Angesichts der AfD fällt das Resümee der meisten Interviewten nüchtern aus. „Wenn ich ehrlich bin, war unser Erfolg doch relativ dünn“, sagt einer der Aktivist:innen. In einem Film, der nicht primär Bewegungschronik, sondern politische Intervention sein will, lässt diese Abwesenheit von greifbaren Antworten etwas Unbefriedigung zurück.

Natürlich ist es auch nicht die Aufgabe eines Kinofilms, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung gegen den Faschismus zu liefern. Aber schon mit Blick auf die 1990er wäre es wohl hilfreich gewesen, das im Titel angesprochene Staatsversagen etwas näher zu betrachten. Im Film geschieht diese Auseinandersetzung fast ausschließlich mit Blick auf die Polizei. Unter den Tisch fällt dabei aber etwa die Mitschuld der Politik.

Angriff auf das Asylrecht

So waren es schließlich Union, SPD und FDP, die 1993 auf die rechten Anschläge unter anderem in Mölln und Rostock-Lichtenhagen ausgerechnet mit einer massiven Einschränkung des Asylrechts reagierten. Wie heute versuchten bürgerliche Parteien den Faschismus mit möglichst großen Zugeständnissen an die Fa­schis­t:in­nen zu bekämpfen. Ein Blick erfahrener Antifas auf diesen Teil des Staatsversagens und auch auf die Verteilungskämpfe der Nachwendezeit wäre sicher gewinnbringend gewesen, um doch noch mögliche politische Lehren aufzuzeigen.

Insgesamt liegt der große Wert des Films jedoch darin, einer Generation junger Antifas zu zeigen, wie schon vor ihnen Menschen ihr Leben dem Kampf um Menschlichkeit verschrieben haben. Das ist in Zeiten, in denen der intergenerationale Wissenstransfer durch Corona in vielen Bewegungskontexten unterbrochen wurde, ungemein wertvoll. Zu hören, wie am Ende des Films eine erfahrene Aktivistin sagt: „Ich würd’s genauso immer wieder machen.“

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