Umbauen statt abreißen

In der Immobilienbranche gehört Abriss und Neubau zum Geschäftsalltag. Besonders nachhaltig ist das nicht. Dagegen formiert sich zunehmend Widerstand. Beim Senat ist das Umdenken noch nicht angekommen

Der Kreuzberger Hafenplatz soll komplett ebgerissen werden. Das muss nicht sein Foto: Jürgen Ritter/imago

Von Jonas Wahmkow

Die grauen Plattenbauten am Kreuzberger Hafenplatz sollen abgerissen werden. Nur wenige hundert Meter vom Potsdamer Platz entfernt will der in den 70er Jahren errichtete Gebäudekomplex so gar nicht in die von schmucken Neubauten geprägte Umgebung passen. In Instandhaltung haben die über die Jahre wechselnden Eigentümer schon lange nicht investiert; Be­woh­ne­r:in­nen klagen über Ratten, Vermüllung und defekte Aufzüge. Komplettabriss lautet der Plan von Eigentümer und Bezirk. In Zukunft soll hier der „Kulturhafen“ entstehen, ein Quartier, das verspricht, ebenso schick wie seine Umgebung zu sein, und dabei durch zwei Bürotürme noch mehr Gewerbefläche bietet als sein schmuddeliger Vorgänger.

In der Immobilienbranche gehört Abriss und Neubau wie am Hafenplatz zum Geschäftsalltag. Wenn unbebaute Grundstücke Mangelware sind, muss eben die bestehende Bebauung weichen. Besonders häufig trifft es die stark sanierungsbedürftige und oft zweckmäßig designte Nachkriegsbebauung der 60er und 70er Jahre. Doch gegen den Kahlschlag formiert sich zunehmend Widerstand: klimabewusste Ar­chi­tek­t:in­nen kooperieren mit Mieterinitiativen, um Abriss zu verhindern.

Am Hafenplatz waren es zuerst die Bewohner:innen, die die Verdrängung aus ihren Wohnungen nicht widerstandslos hinnehmen wollten. „Die Pläne für den Abriss wurden uns im Januar von Bezirksvertretern vorgestellt“, erinnert sich Noam Schuster, ein Anwohner, der anders heißt, aber lieber anonym bleiben will. „Man sagte uns, der Rückbau sei unausweichlich.“

Um den Bezirk von seinem Neubauvorhaben zu überzeugen, gab der Eigentümer des aus über 700 Wohnungen bestehenden Komplexes ein Gutachten in Auftrag. Die In­ge­nieu­r:in­nen eines privaten Prüfbüros rechneten verschiedene Szenarien durch. Das Ergebnis: Ein Komplettabriss wäre das nachhaltigste Szenario, da sich die Treibhausgasemissionen durch Einsparungen im Betrieb nach 18 Jahren ausgleichen würden.

Das Gutachten überzeugte den Bezirk, obendrauf winkte eine Kooperation mit dem landeseigenen Wohnungsbauunternehmen Gewobag, das auf dem Grundstück geförderten Wohnraum errichten sollte. „Uns geht es darum, kommunalen Wohnraum für den Bezirk zu sichern“, sagt Baustadtrat von Friedrichhain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), der taz.

Doch die Mieter:innen, die sich kurz darauf zu einer Initiative zusammenschlossen, hatten Zweifel: „Wie sicher sind überhaupt diese Gutachten, wenn sie der Eigentümer beauftragt?“, fragt Schuster. Die Mie­te­r:in­nen­in­itia­ti­ve fragte bei den Architects for Future an, ob sie ein Blick auf das Gutachten werfen könnten.

Im Gegensatz zum vom Eigentümer bestellten Nachhaltigkeitskonzept kamen die Ar­chi­tek­t:in­nen zu einem vernichtenden Ergebnis. Dem Gutachten stellten sie grobe Mängel aus: Neben offensichtlichen Rechenfehlern und fehlenden Quellen bemängeln sie, dass eine Sanierung des gesamten Gebäudebestands überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. „Allein im Tragwerk des Komplexes sind geschätzt 3.000 Tonnen CO2 gebunden“, sagt Tai Schomaker von Architects for Future. „Unsere Idee wäre, zeitnah die Mietbereiche zu renovieren und dann im Zuge einer Fassadensanierung mit Holzaufbauten aufzustocken.“

Derzeit liegen die Planungen für den Kreuzberger Hafenplatz ohnehin auf Eis. Der Eigentümer, ein selbst für Berliner Verhältnisse besonders dubioser Investor, ist bei mehreren Projekten in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die landeseigene Gewobag kündigte bereits die Kooperation auf, der Bezirk hat sich distanziert. Doch ein liquider Investor könnte die Option des Komplettabrisses jederzeit wieder auf den Tisch bringen.

Kritische Ar­chi­tek­t:in­nen wie die Architects for Future arbeiten seit Jahren an einem Bewusstseinswandel in der Bauwirtschaft. Weniger Abriss, mehr Umbau lautet das Credo. Der Grund ist die „graue Energie“, die im Gebäudebestand gespeichert ist. Besonders bei der Produktion von Beton werden Unmengen an CO2 freigesetzt, was die Baubranche zu einem der klimaschädlichsten Wirtschaftszweige überhaupt macht.

„Die Sichtweise unter den Architekten hat sich deutlich verändert“, sagt Schomaker. „Bauen im Bestand und Umbau werden heute als die nachhaltige Alternative zum Neubau angesehen.“ Mit seinen Kol­le­g:in­nen lobbyiert Schomaker dafür, diesen Bewusstseinswandel auch in die Politik zu tragen. An konkreten Ideen mangelt es nicht. So fordern die Architects for Future ein Abrissmoratorium oder die Anpassung der Landesbauordnungen, um Bauen im Bestand zu erleichtern.

In Berlin haben die Ak­ti­vis­t:in­nen damit bislang wenig Erfolg. Mit der Novellierung der Bauordnung im Dezember zielte Schwarz-Rot vor allem darauf, Neubau zu erleichtern. Ein Passus des Vorgängersenats, der im Falle eines Abrisses vom Eigentümer ein Rückbaukonzept erforderte, wurde ersatzlos gestrichen. „Durch die Überraschungsregierung haben wir starken Gegenwind bekommen“, sagt Schomaker.

Den Forderungen nach einer Umbauordnung erteilt der Senat weiterhin eine Absage: „Die bisherigen Regelungen reichen unserer Ansicht nach aus“, sagt der Sprecher der Senatsbauverwaltung, Martin Pallgen, der taz. Klimapolitische Aspekte, wie in etwa die im Gebäude gespeicherte graue Energie, spielen bei der Genehmigung von Abriss in Berlin keine Rolle. Da sich In­ves­to­r:in­nen weder um ihre CO2-Emissionen noch um die Abfallbeseitigung Gedanken machen müssen, bleibt Abriss und Neubau meist die günstigste und profitabelste Variante.

Klimapolitische Aspekte sind bei Genehmigungen von Abriss irrelevant

Vergebens sind die Bemühungen der Anti-Abriss-Bewegung dennoch nicht. Schön gerechnete CO2-Bilanzierungen gehören heutzutage fast schon zum Standardrepertoire, wenn In­ves­to­r:in­nen versuchen, der Politik Bauprojekte schmackhaft zu machen.

Das liegt vor allem an dem gesteigerten Problembewusstsein in der Gesellschaft, das auch in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg angekommen ist. Dessen Verordnete sehen den Komplettabriss am Hafenplatz zunehmend kritisch.

Denn um bauen zu können, benötigt der Eigentümer einen Bebauungsplan, der zunächst einmal von der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen werden muss. „Man kann nicht davon ausgehen, dass das so durchläuft“, schätzt Friedrichhain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt.