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Machtwechsel in BangladeschVom Regen in die Traufe?

Lalon Sander
Kommentar von Lalon Sander

Nach dem Regierungssturz sieht sich die Opposition im Aufwind. Doch die ist auch nicht makellos. Nötig ist eine echte Reform der Institutionen.

Muhammad Yunus winkt vor der Vereidigungszeremonie der neuen Übergangsregierung Foto: Abu Sufian/picture alliance

M it der Ernennung der neuen Interimsregierung in Bangladesch dürfte sich ein Albtraum der geschassten Premierministerin Sheikh Hasina erfüllt haben: Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus auf ihrem Posten an der Spitze der Regierung. In den vergangenen Jahren war Hasina ein persönlicher Feldzug gegen Yunus nachgesagt worden, getrieben von der Angst, dass der 84-Jährige versuche, mit seinem internationalen Ansehen in die Politik einzusteigen.

Ein Rückblick: Sheikh Hasina war seit 2008 Regierungschefin Bangladeschs. In dieser Zeit hatte sich die Menschenrechtslage im Land stetig verschlechtert. Hasina und ihre Partei, die Awami-Liga, schalteten die Opposition größtenteils aus und durchdrangen fast alle Bereiche der Gesellschaft. Im Juli begannen dann breite Studierendenproteste gegen Quoten bei der Vergabe von Regierungsjobs, die Mitglieder der Regierungspartei begünstigten.

Die Regierung ließ die Proteste blutig niederschlagen. Am Ende – als die Studierenden nur noch den Rücktritt der Regierung forderten und einen „Langen Marsch“ auf die Hauptstadt begannen – intervenierte das Militär. Sheikh Hasina trat zurück und floh nach Indien. Auf Vorschlag der Demonstrierenden wurde Yunus für eine noch unbestimmte Übergangszeit als Regierungschef ernannt.

Nach knapp zwei Wochen ist die Bilanz der neuen Regierung durchwachsen. Das berüchtigte Foltergefängnis Aynaghor (Haus der Spiegel) ist geschlossen worden; Oppositionspolitiker, die jahrelang verschwunden waren, sind wieder aufgetaucht.

Die an der Regierung beteiligten Studierenden haben eher randständige Ressorts bekommen

Zugleich ist die Menschenrechts- und Sicherheitslage weiter schwierig. Kurz nach dem Regierungssturz tauchten massenhaft Po­li­zis­t*in­nen unter – aus Angst vor Vergeltung für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste in den vergangenen Wochen. In den Tagen nach dem Regierungssturz gab es zahlreiche Berichte von Gewalt – einerseits gegen die religiöse Minderheit der Hindus, vor allem aber gegen Mitglieder der Regierungspartei.

Die Oppositionsparteien indes fühlen sich im Aufschwung. Als zwei hochrangige Mitglieder der Awami-Liga verhaftet wurden, vertrieben oppositionsnahe Anwälte deren Verteidiger. Als Mitglieder der Awami-Liga der Ermordung von Sheikh Mujibur Rahman, des ersten Präsidenten Bangladeschs und des Vaters Sheikh Hasinas, gedenken wollten, verhinderten Mitglieder der Oppositionspartei BNP (Bangladesh Nationalist Party) das Gedenken. Die Interimsregierung schien dagegen machtlos zu sein.

Viele Bangladescher befürchten nun, vom Regen in die Traufe gelangt zu sein. Während die BNP in den vergangenen Jahren machtlos war, erinnern sich viele nun an deren letzte Amtszeit vor der Hasina-Ära: Schon damals wurden der Grundstein für den autoritären Staat gelegt, der dann von der Awami-Liga perfektioniert wurden. Außergerichtliche Tötungen waren schon damals an der Tagesordnung, das Verschwindenlassen von Oppositionellen ebenfalls.

Unter der BNP wurde einst die paramilitärische Truppe RAB gegründet, die für außergerichtliche Ermordungen und für das Verschwindenlassen Hunderter Oppositionellen verantwortlich gemacht wird. Die große Frage ist nun: Was wird sich verändern? Und wie?

Die Studierenden, zeigt sich, können noch kein umfassendes politisches Programm formulieren. Zu vielfältig dürften die Proteste – erst gegen als ungerecht empfundene Quoten bei der Vergabe von Regierungsjobs und später gegen die gewaltsame Repression durch die Polizei – gewesen sein. Viele dürften über die Protestthemen hinaus keine großen politischen Ambitionen haben. Andere sind wiederum bereits Mitglied der etablierten Oppositionsparteien und dürften kein weiteres Interesse an einem alternativen politischen Programm haben.

Auf verfassungsrechtlich wackligen Füßen

Muhammad Yunus hat seinen Posten als Chef der Interimsregierung der Unterstützung der Studierenden zu verdanken, und erst vergangene Woche führte der Protest von der Straße zum personellen Wechsel an der Spitze des Innenministeriums.

Doch die an der Regierung beteiligten Studierenden haben außer dem Arbeitsministerium eher randständige Ressorts bekommen: einerseits die Ministerien für Digitales und Medien und andererseits für Sport und Jugend. Yunus’ Regierung steht – freundlich formuliert – auf verfassungsrechtlich wackeligen Füßen.

Dass sie dennoch so viel internationale Unterstützung erfährt, dürfte einerseits daran liegen, dass bekannt war, wie korrupt und autoritär die Regierung Hasinas ist – und andererseits am hohen Ansehen des Friedensnobelpreisträgers Yunus. Doch international dürfte es bald schon den Wunsch nach einer Rückkehr zu einer rechtlich abgesicherten Demokratie geben.

Ebenso gibt es von den zwei großen politischen Parteien in Bangladesch den großen Wunsch nach baldigen Wahlen. Die BNP rechnet sich nach 15 Jahren in der Opposition jetzt die besten Chancen für einen Wahlsieg aus, während die Awami-Liga befürchtet, dass ihre Macht noch weiter schwinden wird. Für beide dürfte es die größte Katastrophe sein, wenn sich mit der Zeit eine weitere Alternative bildet, die glaubwürdig eine veränderte politische Kultur anbieten könnte.

Endliche Vorschusslorbeeren

Ohne diese Alternative indes dürfte das Spiel der vergangenen zwanzig Jahren weitergespielt werden, bei dem ein Regierungswechsel die Fortführung der gleichen korrupten und repressiven Politik unter umgekehrten Vorzeichen bedeutet.

Verhindert werden kann das nur, wenn Institutionen wie Polizei, Bürokratie und Justiz so reformiert werden, dass sie sich nicht politisch vereinnahmen lassen können. In einer Rede vor Di­plo­ma­t*in­nen in Bangladesch kündigte Yunus entsprechende weitreichende Reformen an. Die Herausforderung seiner Regierung wird sein, diese und schnell spürbar umzusetzen, bevor seine Vorschusslorbeeren aufgebraucht sind.

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Lalon Sander
Datenjournalist
Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.
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1 Kommentar

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  • Es gibt keine Demokratie ohne bürgerliche Gesellschaft, das heißt ohne Menschen, die Freiheitsrechte als Voraussetzung ihres Handelns und Lebens begreifen.



    Alle Institutionen beruhen auf diesem Selbstverständnis.



    Was wir hier haben ist, den Austausch einer selbst ermächtigten Elite, durch eine andere.



    Es steht frei, über die Beteiligung anderer Kräfte zu spekulieren, aber das macht die Sache nicht besser.